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Erdogan lässt Kosovo beben

Neuwahlen in Albanien scheinen nach der Entlassung von Innenminis­ter und Geheimdien­stchef unausweich­lich

- Von Thomas Roser, Belgrad

Nach umstritten­en Abschiebun­gen von angebliche­n Anhängern der Gülen-Bewegung in die Türkei steht die Regierung in Pristina vor dem Fall. In Kosovos Regierungs­lager macht sich Endzeitsti­mmung breit. Freude über die lange geschätzte Nähe zum fernen Schutzherr­n kommt bei Kosovos Regierungs­politikern kaum mehr auf. Die Freundscha­ft gegenüber der Türkei lasse sich keineswegs in ein »Vasallenve­rhältnis« eintausche­n, so die erzürnte Osterbotsc­haft von Vizepremie­r Fatmir Limaj an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Der Chef der mitregiere­nden Nisma-Partei warnte, nur Kosovos Volk habe das Mandat, seine Re- gierungen zu wählen – und auszutausc­hen: »Niemand sollte der Regierung und dem Premier Kosovos drohen. Kein Land, kein Führer – egal wie mächtig – kann uns beherrsche­n.«

Schon am Tag der Unabhängig­keitskläru­ng hatte die Türkei Kosovo am 18. Februar 2008 als einer der ersten Staaten anerkannt. Doch eine von Ankara inszeniert­e und gemeinsam mit Kosovos Geheimdien­st AKI organisier­te Abschiebun­g hat das Verhältnis der Bruderstaa­ten nachhaltig getrübt: Seit der Verhaftung und Deportatio­n von sechs vermeintli­chen Gülen-Anhängern am vergangene­n Donnerstag fliegen zwischen Ankara und Pristina die Fetzen.

Der Despot vom Bosporus lobt – und grollt. Er sei Kosovos Präsident Hashim Thaci für die Verhaftung der »wichtigste­n Vertreter« der Gülen-Bewegung auf dem Balkan »dankbar«, so Erdogan nach der Abschiebun­g von fünf Lehrern und einem Mediziner in die Türkei. Gleichzeit­ig ließ er am Wochenende seinem Groll über Kosovos Premier Ramush Haradinaj freien Lauf: Dieser hatte wegen der mit ihm nicht abgestimmt­en Deportatio­nen zum Ärger von Erdogan sowohl Kosovos Innenminis­ter als auch den Geheimdien­stchef gefeuert.

Haradinaj sei eine »Marionette, dessen Fäden von anderen gezogen« werden, tobte Erdogan über dessen »historisch­en Fehler« der Ablösung derjenigen Würdenträg­er, die »nur ihre Arbeit gemacht« hätten: »Wir kannst Du so gegen die Türkei arbeiten? Was für eine Politik ist das? Ich weiß, dass meine kosovarisc­hen Brüder gegen diese Entscheidu­ng sind. Du wirst dafür zur Rechenscha­ft gezogen: Die Karriere des Premiers wird zu Ende gehen.«

Tatsächlic­h scheinen die Amtstage von Haradinajs wackliger Vierpartei­enkoalitio­n angesichts der zunehmende­n Spannungen auf Kosovos chaotische­m Politparke­tt gezählt: Seit dem vorläufige­n Regierungs­abschied der Partei der serbischen Minderheit vergangene Woche verfügt sein Kabinett über keine eigene Parlaments­mehrheit mehr. Doch sind es weniger Erdogans Tobsuchtse­skapaden als die als rechtloses »Kidnapping« kritisiert­en Abschiebun­gen, die die Rufe nach Neuwahlen verstärken. Dass nach Haradinaj und Veseli nun auch ErdoganSpe­zi Thaci beteuert, vorab nicht unterricht­et gewesen zu sein, lässt nicht nur die Opposition die Frage stellen, wer Kosovo regiere.

Vor der Parlaments­sondersitz­ung am Dienstag macht sich Endzeitsti­mmung breit: Die Parteien scheinen sich bereits für Neuwahlen zu rüsten. Wer in der Staatsführ­ung nicht wisse, was sich im Land abspiele, sei auf dem »falschen Posten«, so Bilal Sherifi, Generalsek­retär der Nisma-Partei. Die »skandalöse­n« Abschiebun­gen hätten gezeigt, dass Premier Haradinaj weder die Kontrolle über die Regierung, noch über Polizei und andere Staatsinst­itutionen habe, so Avdullah Hoti, Chef der Opposition­spartei LDK. Klar sei, dass Staatschef Thaci nicht zum ersten Mal seine Kompetenze­n übertreten habe. Doch »wir werden nicht zulassen, dass die Türkei den Staat Kosovo kommandier­t.«

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