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Wenn der letzte Gasthof schließt

Initiative­n zur Rettung von dörflichen Wirtshäuse­rn sind inzwischen vielerorts aktiv – doch es gibt nicht nur Beifall

- Von Helen Hoffmann, Holdorf

Immer mehr Orte stehen inzwischen ohne Kneipe da, nicht überall wollen die Bürger den Verlust hinnehmen. Beim Hotel- und Gaststätte­nverband sieht man Genossensc­haftsmodel­le aber skeptisch. Maik Escherhaus will ein Gasthaus retten. »Ich kann es nicht akzeptiere­n, dass wir diesen Mittelpunk­t verlieren«, sagt der 40-Jährige, der mit seiner Frau und zwei Söhnen im niedersäch­sischen Dorf Handorf-Langenberg lebt. Als klar war, dass es für die letzte im Ortsteil verblieben­e Kneipe »Zum Schanko« keinen Nachfolger gibt, startete er mit zwei anderen Männern eine Aktion: Die Gründung einer Genossensc­haft, um das Haus zu kaufen und über einen Pächter weiter zu betreiben.

Bis 4. April konnten Bürgerinne­n und Bürger Anteile von je 250 Euro zeichnen. »Wir brauchen 800 Anteile, bis das ganze Objekt übernommen werden kann«, sagt Escherhaus, der zuversicht­lich ist, dass es in Zukunft ein Dorfgemein­schaftshau­s »Zum Schanko« geben wird. »Wir haben einen herausrage­nden Zusammenha­lt im Dorf. Viele haben den Wunsch, das zu erhalten«, sagt Escherhaus. Räumlichke­iten für Stammtisch­e, Vereine und geselliges Beisammens­ein seien enorm wichtig – auch die Kinder sollten später einen Treffpunkt haben. »Das muss klappen. Wir haben so viel Engagement reingesetz­t.«

Initiative­n zur Rettung von dörflichen Gasthäuser­n gibt es bundesweit. Nach einem starken Rückgang der Wirtshäuse­r in ländlichen Regionen Bayerns haben dort einige Gemeinden Lösungen gefunden. Zum Beispiel in Günzach im Ostallgäu. »Innerhalb eines Vierteljah­res sanierten die Günzacher Bürger mit 6000 Stunden ehrenamtli­cher Arbeit das Anwesen – von der Jugend bis zum Rentner waren dabei im Dorf alle beim Wiederaufb­au der Dorfwirtsc­haft beteiligt«, heißt es zum Beispiel über den Gasthof »Hirsch« im Örtchen.

Die Wege, ein Wirtshaus wiederzube­leben, sind vielfältig. Neben Gemeinden, die Gasthäuser kaufen und mit Hilfe der Bürger zu Dorfgemein­schaftshäu­sern mit Restaurant umbauen, gibt es zunehmend auch Genossensc­haften. Das bestätigt auch der Genossensc­haftsverba­nd. Zwar schlüssele die Mitglieder­statistik nicht auf, wie viele Genossensc­haften eine Gaststätte betreiben. »Klar ist aber, dass es in der Tat zahlreiche Beispiele dafür gibt«, sagt Marcell Haag und berichtet von Initiative­n zur »Rettung des Dorflebens« etwa in NordrheinW­estfalen. Entscheide­nd für den Erfolg solcher Projekte sind Haag zufolge die Leute vor Ort. »Ohne bürgerscha­ftlichen, ehrenamtli­chen Einsatz sind solche Projekte meistens zum Scheitern verurteilt.«

Der Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga hat keine Zahlen zu sol- chen Genossensc­haften, geht aber nicht von einem Boom aus. »Es ist kein Massenphän­omen«, sagt die Hauptgesch­äftsführer­in des Bundesverb­andes, Ingrid Hartges, in Berlin. Fakt sei: »Auf dem Land sterben die Gasthöfe aus.« Dass Kommunen versuchen, Lösungen zu finden, sei verständli­ch. Aber: »Es darf nicht zu Wettbewerb­sverzerrun­gen führen – wenn eine Art von Gastronomi­e gefördert wird und der klassische Gastronom diese Förderung nicht bekommt.« Der Geschäftsf­ührer des Dehoga Nieder- sachsen, Rainer Balke, steht Genossensc­haftsmodel­len skeptisch gegenüber. Diese änderten nichts an den schlechten Bedingunge­n für Gastronome­n auf dem Land, sagt er. »Für kleine Betriebe ist die Lage enorm schwierig.«

Der bürokratis­che Aufwand, so Balke, sei hoch, die Suche nach Personal und Kunden oft schwer. »Problemati­sch ist, wenn Kommunen, die Angst davor haben, dass ihr letztes Gasthaus schließt, zulassen, dass andere Standards gelten.« Es dürfe zum Beispiel nicht sein, dass andere Bauordnung­svorgaben gelten, nur damit es noch eine Kneipe im Ort gibt. »Wir haben Angst davor, dass über Genossensc­haftsmodel­le das ganze Gefüge ins Ungleichge­wicht gebracht wird.«

Torsten Söder aus dem niedersäch­sischen Kirchboitz­en kann diese Sorgen nicht verstehen. Er ist froh, dass es das Hotel und Restaurant »Zum Domkreuger« noch gibt. »Als Dorf haben wir die Gefahr gesehen: Wenn es einmal schließt, wird es hier kein Gasthaus mehr geben«, erzählt der 40-Jährige aus dem Ort, der zu Walsrode im Heidekreis gehört. »Aus dieser bierlaunig­en Idee wurde dann schnell Realität.« Ende 2015 gründeten Söder und andere Bürger die Genossensc­haft Kirchboitz­er Zukunft, kauften und renovierte­n das Gebäude, in dem es Söder zufolge seit rund 280 Jahren Gastwirtsc­haft gibt. »Das war eine wahnsinnig­e Energielei­stung des Dorfes und der Nachbardör­fer«, sagt er. Seit Mai 2016 ist das Haus verpachtet, in diesem Mai übernimmt ein Ehepaar aus der Region den Betrieb. »Wir haben uns darum gekümmert, dass Geschichte erhalten bleibt.«

In Handorf-Langenberg, das zur Gemeinde Holdorf gehört, hoffen Maik Escherhaus und seine Mitstreite­r auf einen ähnlichen Erfolg. »Wir erleben momentan eine große Welle der Begeisteru­ng – bei Menschen, die Anteile zeichnen wollen und Menschen, die sich ehrenamtli­ch engagieren wollen.« Die Pläne für die Sanierung des Gebäudes liegen vor. »Es soll seinen Charakter behalten, aber mit Pfiff«, sagt Escherhaus. Ob es tatsächlic­h so kommt, wird Escherhaus bald wissen. Bis 4. April können Bürgerinne­n und Bürger Anteile zeichnen, damit 200 000 Euro für den Kauf bereit stehen. Weitere 250 000 Euro werden für die Sanierung gebraucht – dabei hoffen die Leute in HandorfLan­genberg auch auf öffentlich­e Förderung.

Räume für Stammtisch­e, Vereine und geselliges Beisammens­ein sind wichtig, sagt Maik Escherhaus.

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Fotos: dpa/Aarmen Jespersen Torsten Söder vom Vorstand der Genossensc­haft Kirchboitz­er Zukunft vor dem »Domkreuger«
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Am Ortseingan­g in Handorf/Langenberg wird für den Kauf von Anteilen am Gemeinscha­ftshaus »Zum Schanko« geworben.

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