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Nackte Offenbarun­gen

Rubens und seine Vorbilder: Das Städel-Museum in Frankfurt (Main) zeigt den Maler im Lichte der Verwandlun­g

- Von Björn Hayer

Sein Blick ist unfassbar, rätselhaft, luzide, er zielt unmittelba­r auf den Betrachter, der eines Menschen gewahr wird, der schon nicht mehr ganz von dieser Welt zu sein scheint – eines Nächsten, der angesichts seines Martyriums längst allem Irdischen entsagt hat. Peter Paul Rubens Meisterwer­k »Ecce Homo« (vor 1612) fängt die Expressivi­tät des von dannen scheidende­n Jesu wie kaum ein anderer Maler der Kunstgesch­ichte ein. Zwischen Pilatus und einem römischen Soldaten und umfangen von einem roten Tuch streckt der Sohn Gottes seinen nackten Oberkörper leicht nach hinten, bäumt sich auf gegen eine seine Haare nach hinten ziehende Hand, derweil die Helligkeit seines Torsos nur eine leise Ahnung vom Licht höherer Gefilde erkennen lässt. Dass dem Künstler für jenes sakrale Gemälde eine gewisserma­ßen heidnische Figur als Inspiratio­nsquell diente, hätte man nicht unbedingt erwartet. Genauer greift er auf den Gipsabguss »Der von Cupido gezähmte Zentaur« (1.–2. Jhr. n. Chr.) im Louvre zurück.

In mehrerlei Hinsicht lässt Rubens’ Transforma­tion dabei brisante Aussagen zu: Zum einen wird der Messias dadurch vermenschl­icht, dass er, als Wesen aus Fleisch und Blut, Begierden und Trieben Geltung verschafft, zum anderen gewinnt die Rede von der sogenannte­n christlich-abendländi­schen Kulturtrad­ition, auf die sich heute so mancher Populist pauschal beruft, an echter und begründete­r Plastizitä­t. Denn erst indem der Maler mythologis­che und biblische Aspekte mit- einander verknüpft, zeigt er Verborgene­s auf. Im Übereinand­erlegen mehrerer Folien wird so ein Narrativ hergestell­t.

Dieses strategisc­he, wohl das gesamte OEuvre des Malers bestimmend­e, Raffinemen­t kann man nun in seiner gesamten Bandbreite in der hervorrage­nd kuratierte­n Ausstellun­g »Rubens. Kraft der Verwandlun­g« im Frankfurte­r Städel bewundern. Wie der Titel schon andeutet, stehen seine Metamorpho­sen im Vordergrun­d der Betrachtun­g. Auf welche Weise nahm der Künstler Vorbilder aus der Antike und anderen Kunstwerke­n auf? Wie verän- derte er sie in seinen Arbeiten, und welche Schlüsse ergeben sich daraus? Das sind Fragen, die sich der Besucher während seines Rundgangs stellt. Durch all seine Gemälde schimmern unterdesse­n Figuren des Goldenen Zeitalters durch. Im Kriegsgott in »Mars und Venus« mag man die Marmorskul­ptur »Verletzter Gallier« aus dem Louvre wahrnehmen, in seinem Ganymed das Werk »Dionysos mit einem Löwen«. Was der niederländ­ische Maler der frühen Neuzeit gerade mit der Adaption von dreidimens­ionalem Körpern bezwecken wollte, war vor allem ei- nes: Vitalisier­ung. Aus Stein wird Leben und die Leinwand zu einem Ort der Offenbarun­g. Auf ihr als Medium ereignen sich Verschiebu­ngen und Neuinterpr­etationen, sie entpuppt sich als Instrument der Verwandlun­g.

Geschwunge­ne Torsi, wohl proportion­ierte Frauenleib­er, die Haut so klar und rein wie Elfenbein, manieristi­sch überhöhte Szenen der christlich­en Heilsgesch­ichte, irdisches Jammertal gegen von Engeln bewohnte himmlische Gefilde, aber auch Erotik und bacchantis­che Freuden. Rubens Schöpfunge­n bezeugen das gleißende Pathos des Barock und kreieren eine Welt, die ständig in Bewegung ist, einen Kosmos der Hingebunge­n, Verzückung­en und Sehnsüchte. Er zelebriert das Spiel mit der Form, stilisiert das Geschehen bis zur völligen Künstlichk­eit und dokumentie­rt doch die unverfälsc­hte Dynamik des Daseins. Sein Interesse gilt dabei allen voran den Affekten. Fassungslo­sigkeit, Ohnmacht und Trauer vermischen sich in seinem Ölbildnis »Die Beweinung des Christi« (1614). Dramatisie­rt wird der Akt noch in seiner »Grablegung« (1612–14), die sich etwa an Vorbildern von Caravaggio oder Hendrick Goltzius orientiert. Von gleich mehreren Personen wird der gestorbene Sohn Gottes getragen, einer hält gar das weiße Leinentuch noch mit dem Mund.

Nach solcherlei ausdruckss­tarken Hinterlass­enschaften wundert es kaum, dass das Werkpanora­ma des 1577 in Siegen geborenen Niederländ­ers als eines der ersten für das Kino entdeckt wurde. Aus dem Jahr 1948 stammt der Film »Rubens« von Henri Storck und Paul Haesaerts.

Bezogen auf die ruhelosen Körper, zeichnet die Kuratierun­g filigran die Arbeitssch­ritte des Malers nach, veranschau­licht auf Basis von Skizzen die Bewegungss­tudien und die Entwicklun­gen Rubens berühmtest­er Bilder. Beinah immer strebt der Schaffensp­rozess nach Demonstrat­ion und Sichtbarma­chung. Keine noch so schöne Brust bleibt unbedeckt. So etwa eindrucksv­oll zu bewundern auf seinem formvollen­deten Gemälde »Venus und Adonis«, einer ludischen Variation der gleichnami­gen Vorlage Tizians. Während wir bei Letzterem die nackte Göttin der Schönheit lediglich von hinten wahrnehmen, die sich in der Gebärde des Verlangens nach ihrem männlichen Pendant verzehrt, gibt sie bei Ersterem ihre gesamte Bellezza mit offenem Haar und dem Betrachter zugewandte­m Körper preis – in einer mit vermeintli­cher Leichtigke­it vollführte­n Drehung um 180 Grad, die nicht das Geheime, sondern den vollen Sinnesgenu­ss feiert. Auch scheint Adonis hierin nicht mehr im Abgang mit seinen Hunden befindlich. Nein, bei Rubens neigt er zum Bleiben. Zumindest verrät sein Blick die tiefste Bereitscha­ft zur Verführung.

Nachdem zahlreiche Ausstellun­gen der letzten Jahre verstärkt den Kanon der Kunstgesch­ichte im Lichte von Zitat, Intermedia­lität und -pikturalit­ät betrachtet­en, reiht sich diese grandiose Retrospekt­ive auf Rubens in diese kuratorisc­he Linie ein. Wir erhalten dadurch ein differenzi­erteres Verständni­s des Malers und seiner Epoche. Nur selten ging es dem Künstler um eine bloße Imitation des Altertums. Wie die Exposition im Städel vor Augen führt, wohnt seinen Bezugnahme­n stets ein interpreta­torisches Moment inne. Seine Bilder sind Resultate einer Neukomposi­tion. Er über- führt bekannte Figuren und Mythen in überrasche­nde Arrangemen­ts, die mit Konvention­en brechen und erfrischen­de Sichtweise­n auf die Kulturgesc­hichte zulassen. Die virtuose Pracht verbirgt stets eine zweite Ebene, deren Erschließu­ng einer spannenden Fährtensuc­he auf den Spuren der europäisch­en Kulturgesc­hichte gleicht.

Bis 21. Mai 2018

Erst indem der Maler mythologis­che und biblische Aspekte miteinande­r verknüpft, zeigt er Verborgene­s auf.

 ?? Foto: The J. Paul Getty Museum ?? Venus und Adonis; Tizian (Tiziano Vecellio), um 1555 - 1560
Foto: The J. Paul Getty Museum Venus und Adonis; Tizian (Tiziano Vecellio), um 1555 - 1560

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