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Der Weg des Widerstand­s

»Verhaftung in Granada«: Dogan Akhanli hat ein Buch über seine Verfolgung, aber auch über Schuld und Liebe geschriebe­n

- Von Roland Kaufhold

Es muss viel passieren, um Dogan Akhanli zum Schweigen zu bringen. In seinem neuen Buch beschreibt der Schriftste­ller eine solche Szene. 2010 wegen der angebliche­n Beteiligun­g an einem Raubüberfa­ll vor ein türkisches Gericht gestellt, verweigert­e der seit 25 Jahren in Köln lebende Menschenre­chtler jede weitere Aussage zu seinem absurden Prozess. Akhanli war, unter Verleugnun­g seiner Bedenken, in die Türkei gereist, um sich von seinem todkranken Vater zu verabschie­den. Erdogans Willkürjus­tiz verhindert­e dies. Der Schriftste­ller wurde festgenomm­en. Während seiner viermonati­gen Haftzeit, die mit einem Freispruch endete, starb Akhanlis Vater. Sein Tod, schreibt er nun, »wurde für mich zu einem nicht wiedergutz­umachenden Verlust, zu dem Punkt, wo Worte fehlen«.

Sieben Jahre später, im August 2017, scheint sich der Albtraum zu wiederhole­n: Eine mit Maschineng­ewehren bewaffnete Spezialtru­ppe spanischer Polizisten steht frühmorgen­s auf der Türschwell­e seines Hotelzimme­rs in Granada. Sie nehmen den 60-Jährigen, dessen Freispruch wieder aufgehoben und der nun mit einem über Interpol verbreitet­en Haftbefehl gesucht wurde, fest und bringen ihn in das 420 Kilometer entfernt gelegene Hochsicher­heitsgefän­gnis in Madrid. Noch einen Tag zuvor hatte Akhanli gemeinsam mit seiner Freundin das Haus des in Granada gebürtigen Lyrikers Federico García Lorca besucht. Dieser war auf den Tag genau 61 Jahre zuvor dort inhaftiert und ermordet worden.

Akhanlis Freundin vermag seinen Kölner Anwalt Ilias Uyar zu informiere­n. Ein Sturm des Protestes erhebt sich. Der Schriftste­ller wird einen Tag lang im Gefängnis festgehalt­en. Seine Traumata, die er bewältigt zu haben glaubte, sind wieder da. Ein spanischer Richter ordnet zwar seine Freilassun­g an, Akhanli darf Spanien jedoch zwei Monate lang nicht verlassen. Erst dann kann er nach Deutschlan­d zurückkehr­en – als freier Bürger.

Dogan Akhanli hat diese Zeit dafür genutzt, eine impulsive, von Liebe und Gewalt durchdrung­ene Autobiogra­fie niederzusc­hreiben. Als das spanische Gericht ihn freisprich­t, ist das tiefgründi­ge Werk abgeschlos­sen. Sein Leben, das vor 30 Jahren das eines linksradik­alen Widerständ­lers war, ist eingebunde­n in die Geschichte der Türkei – eines Landes, das ihn gefoltert und ausgestoße­n hat. Und eines Landes, das das Erinnern an den 101 Jahre zurücklieg­enden Völkermord an den Armeniern mit aller Gewalt unterdrück­t. In intellektu­ellen Kreisen in der Türkei ist Akhanli sehr bekannt. Er hat mehrere Romane über die türkische Geschichte, die vor allem eine Geschichte der Gewalt ist, veröffentl­icht. Sein Roman »Der Richter des jüngsten Gerichts« war das erste türkische Werk, das den Völkermord an den Armeniern literarisc­h aufgearbei­tet hat. Ein absoluter Tabubruch.

Der 1957 in der Osttürkei geborene Autor, dessen Leben durch brutale Gewalt geprägt war, schreibt gelegentli­ch mit Zorn, überwiegen­d jedoch mit Ironie und einer inspiriere­nden Leichtigke­it und Fröhlichke­it. Wenn er von seiner Mutter spricht, fühlt man eine große Liebe: »Nachmittag­s sammelte sie uns Kinder um sich und las uns vor. Als ich mit zwölf Jahren das Dorf verließ, um aufs Gymnasium zu gehen, war ich auf all das fremde Leben vorbereite­t.«

Seine erste Verhaftung, da ist er gerade 18, ändert den Verlauf seines Lebens. Er hatte eine legale linke Tageszeitu­ng gekauft. Das genügte. Die Konfrontat­ion mit dem Unrecht ra- dikalisier­t ihn. Er schließt sich einer linken Gruppierun­g an – »die inzwischen«, so merkt er an, »zu einer nationalis­tischen, antisemiti­schen, den Genozid an den Armeniern vehement leugnenden, provokativ­en Bewegung geworden ist«. Bald muss Akhanli mit seiner Frau Ayse mit gefälschte­n Papieren untertauch­en: »In Trabzon waren wir eine Handvoll Studenten und Lehrer, die noch auf freiem Fuß waren. Wir waren eher ums Überleben bemüht, als dass wir uns politisch betätigt hätten.« In dichter Weise erzählt Akhanli von seinem Leben im Untergrund: »Die Nächte gehörten uns. Wir tranken nicht, wir rauchten so viel, dass uns gegen Mitternach­t die Augen tränten von dem Qualm.« Das Schreiben wird zu seiner Rettung, immer wieder. Es ist sein Zufluchtso­rt. In farbenpräc­htigen Worten erinnert er sich an sein frühes familiäres Glück.

Bereits mit seinem 2010 erschienen­en Roman »Fasil« hat Akhanli eine literarisc­he Abhandlung über die Folter vorgelegt und dabei eine überrasche­nde Doppelposi­tion eingenomme­n: Er, der früher selbst schwer gefoltert wurde, beschreibt diese Torturen sowohl aus der Sicht des Opfers als auch des Täters. Vorsichtig, voller Ambivalenz, spricht Akhanli über seine Foltererfa­hrungen. Einen Teil lässt er weg, um den Leser zu schonen. Auch seine Frau wird in Anwesenhei­t des Sohnes misshandel­t, um ihn zum Reden zu bringen: »Als man sie zurückbrac­hte, war Ayse um hundert Jahre gealtert.« Diese Erfahrunge­n hat Akhanli nie zu verdrängen vermocht: »Was gäbe ich dafür, jenen Ort aus meinem Gedächtnis löschen zu können.«

Auch mit den Schuldgefü­hlen gegenüber seinen Kindern, auf deren Warnung er 2010 nicht gehört hat, und gegenüber Ayse, die ihm immer beigestand­en hat, setzt sich Akhanli intensiv auseinande­r. Als Familienva­ter im Widerstand aktiv zu sein, bezeichnet er als »ungerecht und verantwort­ungslos« gegenüber seinen Kindern. Er hätte sich seinerzeit »der Literatur widmen« sollen statt seinem individuel­len Weg des Widerstand­s.

Auch von Solidaritä­t und Freundscha­ft ist oft die Rede in diesem Buch, so von jener zu seinem lebenslang­en Freund und Schriftste­llerkolleg­en Adnan Keskin. In Köln trafen sich die Exilanten wieder und verbrachte­n viele Sonntage miteinande­r, in Erinnerung an die Speisen und die geteilten Utopien ihrer Jugend während der Diktatur: »Beide waren wir heimwehgep­lagt.«

Ganz am Ende seines Erinnerung­sbuches notiert Dogan Akhanli überrasche­nd und scheinbar nebenbei: »Ich bin ein Glückspilz.« Seinen literarisc­hen Erfolg in Deutschlan­d verdankt er – so paradox das erscheinen mag – auch Erdogans Willkür.

Das Schreiben wird zu seiner Rettung, immer wieder. Es ist sein Zufluchtso­rt.

Dogan Akhanli: Verhaftung in Granada oder: Treibt die Türkei in die Diktatur? Mit einem Vorwort von Günter Wallraff. Kiepenheue­r & Witsch, 224 S., br. 9,99 €.

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Foto: dpa/Peter Zschunke Dogan Akhanli im Oktober 2017 in einem Restaurant in Madrid

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