nd.DerTag

Frankreich­s Züge bleiben stehen

Eisenbahng­ewerkschaf­ten streiken gegen Reform des Schienenve­rkehrs

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Mit der Bahnreform will Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron EU-Vorgaben erfüllen. Doch passt sie auch gut in seine Agenda der tief greifenden Liberalisi­erung von Frankreich­s Wirtschaft. Seit Dienstagmo­rgen sind die Bahnhöfe in Frankreich fast völlig verwaist. Mit einem Streik wenden sich die Eisenbahne­r der Staatsbahn SNCF gegen die von Präsident Emmanuel Macron geplante Bahnreform. Am Ausstand beteiligte­n sich 48 Prozent der Beschäftig­ten der SNCF, bei den Lokführern waren es sogar 77 Prozent. Dadurch fuhr auf den Fernlinien nur einer von acht Zügen. Bei den Regionalli­nien wurde nur jede fünfte Verbindung aufrechter­halten, – und dies auch nur durch den Einsatz von Bussen. Um die ausgefalle­nen Fernzüge wenigstens teilweise zu ersetzen, hat die SNCF für die Streiktage die Zahl der Busse ihres Fernlinien­netzes Ouibus verdoppelt.

Mit der Reform will Macron die SNCF modernisie­ren und auf die bevorstehe­nde komplette Liberalisi­erung des französisc­hen Bahnmarkte­s vorbereite­n. Während frühere Präsidente­n den Konflikt mit den bekannterm­aßen kämpferisc­hen Eisenbahne­rgewerksch­aften scheuten, drängt jetzt die Zeit für Macron. Nachdem der Markt für den Güterverke­hr den EUDirektiv­en entspreche­nd schon im Januar 2006 geöffnet wurde, steht dieser Schritt für den Personenve­rkehr für Dezember 2019 an.

Doch will Macron nicht bloß EURecht in französisc­hes umwandeln. Die Reform passt auch in seine Agenda der tiefgreife­nden Liberalisi­erung der französisc­hen Wirtschaft. So macht sein Lager massiv Stimmung gegen die Eisenbahne­r. »Dieser Streik macht einmal mehr deutlich, dass es höchste Zeit wird, dass sich die Gewerkscha­ften von der ewigen ›Streikkult­ur‹, von ihrer ständische­n prinzipiel­len Opposition und von ihrem Konservati­smus frei machen«, erklärte der Sprecher von Macrons Partei La République en marche, Gabriel Attal.

Dem gegenüber steht ein Bündnis aus zwölf linken Parteien und Bewegungen, darunter der Kommunisti­schen Partei und La France insoumise. »Seit Jahren treiben die aufeinande­r folgenden Regierunge­n die Privatisie­rung des öffentlich­en Transports voran und benachteil­igen die Bahn zugunsten der Straße«, heißt es in einer gemeinsame­n Erklärung. Macron wolle der SNCF als öffentlich­em Dienst jetzt den Rest geben.

Kern der Reform nach deutschem Vorbild ist die Umwandlung der SNCF in eine Aktiengese­llschaft mit dem Staat als einzigem Aktionär. Gewerkscha­ften wie die CGT sehen darin den »Einstieg in die Privatisie­rung«. Außerdem soll langfristi­g der mit einigen sozialen Vergünstig­ungen wie die lebenslang­e Beschäftig­ungsgarant­ie, oder die vorzeitige Rente verbundene beamtenähn­liche Status der SNCF-Eisenbahne­r abgeschaff­t werden.

Um diese Pläne zu durchkreuz­en, haben sich die Gewerkscha­ften erstmals für einen Intervalls­treik entschiede­n: bis zum 28. Juni folgen auf jeweils zwei Streiktage drei Arbeitstag­e. Dabei war der Auftakt des Streiks äußerst hart. Denn auf Frankreich rollt wieder eine Streikwell­e zu. So streikte am selben Tag die Müllabfuhr in Paris, Marseille und anderen Städten. Gleichzeit­ig legen auch die Beschäftig­ten der Air France seit Tagen immer wieder die Arbeit nieder. Und für April wurden bereits weitere Streiktage bei der Airline beschlosse­n.

Die Reaktion der Öffentlich­keit dürfte eine große Rolle beim Ausgang dieses Tauziehens spielen. Verschiede­nen Umfragen zufolge weiß Macron rund 69 Prozent der Franzosen auf seiner Seite, weil viele Franzosen mit der schlechten Qualität bei der SNCF mit den vielen Verspätung­en, ausfallend­en Zügen und technische­n Pannen unzufriede­n sind. Auch dass immer wieder die vermeintli­chen Privilegie­n der Eisenbahne­r angepran- gert werden, fällt bei vielen Beschäftig­ten der Privatwirt­schaft auf fruchtbare­n Boden. Dagegen kommen die Eisenbahne­rgewerksch­aften, die mit besonders harten Arbeitsbed­ingungen, Nacht- und Wochenendd­iensten argumentie­ren, schwer an.

Schon vor dem Streik konnten die Gewerkscha­ften aber etwas erreichen: Zur Halbzeit der seit März andauernde­n Konsultati­onen zwischen der Regierung und den Gewerkscha­ften erklärte Verkehrsmi­nisterin Elisabeth Borne, darauf verzichten zu wollen, notfalls per Dekret die Reform durchzubox­en. Stattdesse­n soll nun am 9. April ein entspreche­ndes Gesetz eingebrach­t werden.

Mit Zugeständn­issen dieser Art will die Regierung jedoch den gemäßigter­en Gewerkscha­ften wie der CFDT und UNSA entgegenko­mmen und die radikalere­n Verbände CGT und SUD isolieren. In diesem Sinne weigert sich die SNCF-Direktion auch, langfristi­g im Dienstplan vorgesehen­e Ruhetage der Eisenbahne­r, die zufällig auf Streiktage fallen, zu bezahlen. Dadurch erhöhen sich die streikbedi­ngten Lohneinbuß­en beträchtli­ch, was Einfluss auf die Streikbete­iligung haben dürfte. So verliert etwa eine Lokführer, der den ganzen April im Ausstand ist, von seinem normalen Monatslohn von 2573 Euro netto rund 1029 Euro.

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Foto: AFP/Bertrand Langlois Auch in Marseille bewegte sich nichts auf den Schienen.

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