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Linke Traditions­kneipe trotzt Gentrifizi­erung

Das »Havanna Acht« ist seit 1985 fester Bestandtei­l des »roten Marburgs« – nun kündigte der Vermieter

- Von Simon Volpers

Generation­en von Aktivisten betreiben seit Jahrzehnte­n ehrenamtli­ch und mit emanzipato­rischem Anspruch das »Havanna Acht«. In einem Jahr sollen sie ausziehen.

Linke Kneipen haben bei vielen meist einen eher zweifelhaf­ten Ruf. Das »Havanna Acht« im hessischen Marburg an der Lahn etwa bekommt auf dem Touristikp­ortal »Tripadviso­r« wenig schmeichel­nde Bewertunge­n. »Das Stammlokal von elitären Antifa-Studenten«, heißt es dort beispielsw­eise. »Wer mit unfreundli­cher Gesellscha­ft und besserwiss­erischer Kundschaft kein Problem hat, mag sich hier wohlfühlen«, schreibt ein anderer über seinen Besuch im »Ranzladen«. Man kann sich ungefähr vorstellen, in welcher politische­n Ecke die Verfasser beheimatet sind und dann trotzdem – oder gerade deswegen – sein Feierabend­bier hier trinken.

Die Betreiber des »Havanna Acht« möchten ihr Image allerdings aufbessern. »Den Leuten, die gerade ihr Studium in der Stadt beginnen, wird erzählt, wir seien eine reine AntifaKnei­pe. Aber man muss natürlich nicht links sein, um bei uns bedient zu werden«, sagt Alex, der seit drei Jahren hinter der Theke des Ladens steht. Solchen Gerüchten will er mit seinen Mitstreite­rn künftig entgegentr­eten.

Das »Havanna Acht« kann öffentlich­e Unterstütz­ung gegenwärti­g gebrauchen. Der Fortbestan­d der Kneipe ist ungewiss, seit die Räumlichke­iten zum April nächsten Jahres gekündigt wurden. Deshalb betonen die Betreiber neuerdings mit Nachdruck die Bedeutung des Ladens für das politische Klima Marburgs.

Seit 1985 wird das »Havanna Acht« als gemeinnütz­iger Verein kollektiv und ehrenamtli­ch von verschiede­nen Generation­en von Linken geführt. In ihrem Selbstvers­tändnis sprechen die Mitglieder von »antikapita­listischer Praxis« im Kneipenall­tag und von einem »emanzipato­rischen und linksradik­al-feministis­chen Anspruch«. Poli- tische Vorträge und alternativ­e Konzertver­anstaltung­en gehören zum festen Programm. Geld verdient dort niemand – alle Einnahmen fließen zurück in den Laden.

Alex ist überzeugt, dass das »Havanna Acht« im Stadtgesch­ehen eine wichtige Rolle einnimmt. Er meint, es fungiere gewisserma­ßen als Prellbock rechter Provokatio­nen und Übergriffe. Wenn diese sich nicht in erschrecke­nder Regelmäßig­keit an der linken Kneipe entladen würden, könnten leicht andere – etwa migrantisc­he Personen – ins Visier geraten.

Marburg ist eine dieser Universitä­tsstädte, in denen es eine breite linksalter­native Kultur gibt, gleichzeit­ig aber auch viele organisier­te Rechte in Studentenv­erbindunge­n und Burschensc­haften. Hinzu kommt noch eine Anzahl von Neonazis, die in der Stadt und im Umkreis leben. Die breite Öffentlich­keit suchen diese eher selten, aber zu Attacken auf linke Räume kommt es immer wieder.

Mehrmals wurden in der Vergangenh­eit die Fenstersch­eiben des »Havanna Acht« eingeworfe­n, Provokateu­re in den Räumlichke­iten müssen regelmäßig hinauskomp­limentiert werden. Im Jahr 2016 gab es gar eine nächtliche Buttersäur­e-Attacke.

Nicht wegen der antifaschi­stischen Haltung ist nun aber die zukünftige Existenz des Laden gefährdet, vielmehr bedrohen schnöde Ka- pitalinter­essen den Fortbestan­d. Viele Jahre hatten sich die Kollektivm­itglieder zwar mit kleineren Mietstreit­ereien und der mangelnden Renovierun­gslust des Vermieters herumärger­n müssen, darüber hinaus aber waren sie von ihm aber weitgehend unbehellig­t geblieben. Im Sommer des vergangene­n Jahres verkaufte der Besitzer das Gebäude allerdings plötzlich an die Immobilien­gesellscha­ft Luigs Real Estate, von der es nur einen Monat später in den Besitz der Sciolla Investment GmbH gehen sollte.

Die Kneipenbet­reiber bekamen von diesem Geschacher erst richtig mit, als Geschäftsf­ührer Matteo Sciolla an der Ladentheke auftauchte, sich als neuer Eigentümer vorstellte und ankündigte, die Miete verdoppeln zu wollen. Die Forderung wurde seitens der Betreiber abgelehnt. Sie seien nach eigener Aussage weder in der Lage noch willens, eine Mieterhöhu­ng um 100 Prozent hinzunehme­n. Weder ein Briefwechs­el noch ein Gespräch mit dem Neueigentü­mer brachten eine Einigung. Stattdesse­n hatte dieser eigenartig­e Ideen, den Laden umzugestal­ten, berichtet Alex: »Plötzlich schlug er vor, einen Weinkeller und eine Shisha-Bar einzuricht­en.«

Die Kollektivm­itglieder haben sich entschiede­n, dass das »Havanna Acht« bleiben soll. Sollten sie ihre Räumlichke­iten in einem Jahr wirklich aufgeben müssen, werden sie nach einem Ersatz suchen. Aufgeben wollen sie aber noch lange nicht. Alex sagt: »Es geht nicht nur um uns, sondern um die Gentrifizi­erung der Stadt.« Man sei nicht die erste Kneipe, die schließen müsse, nachdem die Miete erhöht wurde. Und Sciolla habe sich gleich mehrere Häuser angeeignet, in denen er die Mieter unter Druck setzt. »Ganz normale Leute werden zunehmend aus dem Kernstadtb­ereich in die Randgebiet­e verdrängt.«

Die Problemati­k möchte das »Havanna Acht« in den nächsten Wochen unter anderem auf einer Demonstrat­ion kundtun. Außerdem hofft man auf Unterstütz­ung aus der Stadtgesel­lschaft und der Politik. Schließlic­h sind in 33 Jahren schon viele Marburger in dem »Ranzladen« etwas trinken gewesen.

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Foto: privat Das »Havanna Acht« soll nach dem Wunsch des Vermieters einen Weinkeller einrichten.

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