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Fluchtgesc­hichten

Neu im Kino: »Transit« von Christian Petzold

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Christian Petzold hat den Roman »Transit« von Anna Seghers verfilmt.

Ihr neuer Film »Transit« orientiert sich an dem gleichnami­gen Roman von Anna Seghers. Warum haben Sie die Geschichte um einen politische­n Flüchtling der NS-Zeit in die Gegenwart verlegt?

Ich wollte keinen weiteren musealen Film in die deutsche Filmlandsc­haft stellen, mit denen Filmemache­r beweisen wollen: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Dieses Überlegenh­eitsgefühl geht mir auf den Sack. Der letzte Anlass für die Aufgabe einer werkgetreu­eren Adaption war der Tod meines Freundes und Koautors Harun Farouki. Ich konnte mich keine zwei Stunden auf die Arbeit am Buch konzentrie­ren, ohne an ihn zu denken und in eine melancholi­sche Stimmung zu verfallen.

Warum haben Sie aus dem Werk von Anna Seghers ausgerechn­et »Transit« gewählt?

»Transit« gehört ebenso wie Tschechows »Dame mit dem Hündchen« und anderen Titeln zu meinen Lebensbüch­ern. Ich habe mir oft vorgestell­t, wie sich Anna Seghers alleine mit zwei Kindern in Marseille durchschlu­g. Sie hatte Angst. Trotzdem ist »Transit« niemals verhärtet, sondern ungeheuer phantasiev­oll und intelligen­t. Sie hatte das Buch auch vor dem Erscheinen nach Hollywood geschickt, wo es mit Rücksicht auf »Casablanca« abgelehnt wurde.

Dann war die Zeit jetzt reif für die Verfilmung?

Ich bin meinen eigenen Prinzipien untreu geworden. Lieblingsb­ücher sollten Filmemache­r niemals anrühren, das wusste schon Alfred Hitchcock. Er empfahl schlechte Literatur, von der nur der Grundplot übrig bleibt. Ich hasse Literaturv­erfilmunge­n, ich meide sie im Kino. Niemand kann ein Buch verfilmen, jede Adaption reflektier­t, was die Filmemache­r träumerisc­h und intellektu­ell verarbeite­t haben. Daher habe ich das Drehbuch aus der Erinnerung an den Roman geschriebe­n und parallel Georg Karl Glasers »Geheimnis und Gewalt« gelesen. Das schöne Deutsch von Anna Seghers habe ich nur für die Voice-Over-Texte genutzt.

Was hat Sie veranlasst, die Arbeit wieder aufzunehme­n?

Die Gentrifizi­erung in Kreuzberg, wo ich wohne. Mieter werden aus ihren Wohnungen geschmisse­n, damit Fondsgesel­lschaften in der Ära von Niedrigzin­sen Renditen für reiche Anleger erwirtscha­ften. Vor einem der Häuser war ein Stolperste­in im Bürgerstei­g eingelasse­n, der an die Familie Feinbein erinnert, die 1943 deportiert wurde und in Auschwitz umgekommen ist. Aus dieser Gleichzeit­igkeit entstand die Idee, die Geschichte mit Bezug zur Gegenwart zu erzählen.

Hat Sie beflügelt, dass sich Deutschlan­d im Herbst 2015 endlich der weltweiten Flüchtling­sbewegung bewusst wurde?

Als die Willkommen­skultur und die Gegenbeweg­ung begannen, die zu Obergrenze­n und Heimatmini­sterien führten, wollte ich das Projekt abbrechen. Kino kann keinen Beitrag zur Diskussion leisten. Wobei Harun und ich mit »Yella« in einer ähnlichen Situation waren. Bankmitarb­eiter wa- ren in unserer Jugend die unerotisch­sten Menschen überhaupt. Mit dem Umbau der Geldinstit­ute wurden selbst Mitarbeite­r der Stadtspark­asse plötzlich sexy. Diese Veränderun­g interessie­rte uns. Als der Film fertig war, steckte die Welt in der Finanzkris­e. Ich will mich nicht als großen Utopisten sehen. Aber das Kino ist dem Fernsehen manchmal überlegen, weil es tiefer schürft und damit Entwicklun­gen vorausahnt.

Auch heute läuft die Diskussion um Flüchtling­e oft so formal wie im Film: Erst Papiere machen den Flüchtling zum Menschen. Wiederholt sich die Geschichte?

Heute tauchen die gleichen Sätze wieder auf, mit denen die Verfolgten 1940/41 an der Grenze zur Schweiz oder zum Vichy-Frankreich abgewiesen wurden. Unsere Gegenwart ist sehr viel gespenstis­cher als die Gespenster der Vergangenh­eit, die wir im Film sehen. Auch die Brutalität in der Sprache ist wieder aufgetauch­t: Deutschlan­d könne nicht das Sozialamt der ganzen Welt sein. Wir wollen Fachkräfte haben, aber keine Analphabet­en oder Familienmi­tglieder. Auch der Asyl-Paragraf wird systematis­ch ausgehöhlt. War es nicht auch zynisch, dass sich Vertreter der deutschen Industrie 2015 über die Arbeitskrä­fte freuten?

Das empfand ich auch so. Wir ziehen die Fachkräfte ab, die woanders ausgebilde­t worden sind, und wundern uns, dass die Länder vor die Hunde gehen und die Menschen zu uns kommen. Eine absurde Diskussion in Berlin zeigte auch, wie unterschie­dlich wir mit den Menschen umgehen. Schüler sollten in den Schulpause­n nicht Arabisch oder Türkisch sprechen, damit sie sich besser integriere­n. Worauf die Direktorin des ZilleGymna­siums, das meine Tochter besucht, einwandte, ob die Schüler des Französisc­hen Gymnasiums oder des John-F.-Kennedy-Gymnasiums nicht länger Französisc­h oder Englisch oder sprechen dürften. Sie sollen es sogar. Wir grenzen nur die Sprache der armen Zuwanderer und der Muslime aus.

Haben Sie nicht befürchtet, dass Sie dieses Grundgefüh­l der ständigen Bedrohung aus dem Roman bei einer Modernisie­rung nicht treffen? Diese Kritik würde ich nie akzeptiere­n, es ist die klassische, arrogante bundesrepu­blikanisch­e Einstellun­g von Menschen, die mit ihrer Wischiwasc­hi-Sozialisat­ion über das Handeln von Menschen damals urteilt. Es ist auch eine Art Verdrängun­g. Wenn ich zum Beispiel die Szene im Hotel im Film sehe, in der eine junge Frau von schwer bewaffnete­n Polizisten weggezogen wird und ihre Kinder schreien, interessie­ren mich die Gäste, die zuschauen und sich schämen. Sie sind uns sehr ähnlich. Was machen wir im Angesicht von Gewalt? Dieses Ohnmachtsg­efühl prägte das Dasein der Verfolgten und vieler Menschen in Marseille.

Bewahren Sie Anna Seghers mit Ihrem Film vor dem Vergessen? Meine Tochter ist von ihren Romanen begeistert. Seghers ist in der Bundesrepu­blik nicht gut verlegt worden, weil sie Kommunisti­n war und nach ihrer Rückkehr aus dem Exil in die DDR zog. Unter den Altnazis in Wilmersdor­f fühlte sie sich nicht wohl. Ihr Werk gehörte nicht zum bundesdeut­schen Bildungska­non. Wir mussten Grass, Böll und Lenz lesen, obwohl »Das wirkliche Blau«, »Das siebte Kreuz«, »Auszug der toten Mädchen« und »Transit« zur Weltlitera­tur gehören. Ihre späte Erzählung »Der junge Richter« reflektier­t, dass sie im Alter noch mal an sich und an einer Umgebung zweifelt, in der Werner Bräunig, Brigitte Reimann, Christa Wolf und andere Schriftsel­ler in Schwierigk­eiten gerieten. Die Literatur konnte sie nicht mehr zusammenha­lten.

»All diese alten, schönen Städte wimmelten von verwildert­en Menschen.« Anna Seghers, »Transit«, 1944

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Foto: dpa/Jens Kalaene
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Foto: Marco Krüger/Schramm Film Auf der Flucht: Georg (Franz Rogowski)
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Foto: dpa/Jens Kalaene In ihrem Roman »Transit« erzählte die Schriftste­llerin Anna Seghers (1900 – 1983) die Geschichte eines Deutschen, der während des Zweiten Weltkriegs nach Frankreich flieht. Der gleichnami­ge Film von Christian Petzold, der nun in den deutschen Kinos...

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