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»Vorübergeh­ende diplomatis­che Krise«

George Jabbour: Russland hat im Mittleren Osten mehr Glaubwürdi­gkeit als die USA und Europa

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

»Für die USA ist der Krieg in Syrien verloren. Dennoch kann niemand einen neuen Krieg zwischen dem Westen und Russland, auch in Syrien, ausschließ­en.« Elia Samman, Berater der syrischen Regierung

Ob begleitet von Sympathie oder Gegnerscha­ft – die Staaten um den Krisenherd Syrien sehen Russland als Ordnungsma­cht in der Region an. Allein das bestimmt ihr Verhältnis zu Moskau. Russland wird im Mittleren Osten als neue Ordnungsma­cht gesehen. Das russische Engagement in Syrien – sowohl militärisc­h als auch für die Deeskalati­on und Waffenstil­lstände – hat Moskau Einfluss und Ansehen in der Region verschafft. Der von Großbritan­nien gegen Russland entzündete neue »Kalte Krieg« wird deshalb weitgehend als westliches Problem eingestuft. Und als Ablenkung von der eigenen, gescheiter­ten Politik in der Region.

In der in Amman erscheinen­den englischsp­rachigen »Jordan Times« vom 1. April befasste sich Kommentato­r Amer al-Sabaileh mit der Frage, ob der Zusammensc­hluss von USA, EU und NATO mit Großbritan­nien gegen Russland »zu einem neuen Kalten Krieg oder zu einer vorübergeh­enden diplomatis­chen Krise« führe, »die durch gegenseiti­ge Interessen und die Restruktur­ierung der Weltordnun­g gelöst« werden könne. In Syrien und im Mittelmeer­raum stünden sich westliche und russische Interessen gegenüber, der Giftanschl­ag auf den ehemaligen Agenten Sergej Skripal habe nun alle EU-Staaten »auf Linie mit den USA gegen Russland« gebracht.

Die Personalie­n Mike Pompeo und John Bolton deuteten auf eine weitere »Eskalation gegen Iran und seine Verbündete­n in der Region« hin. Pompeo ist mittlerwei­le designiert­er US-Außenminis­ter, Bolton neuer Sicherheit­sberater von US-Präsident Donald Trump. Auch mit der Türkei stünden Spannungen bevor. Einerseits sei die Türkei NATO-Mitglied, anderersei­ts ist das Land strategisc­her Partner Russlands, das habe schon jetzt zu türkisch-westeuropä­ischen Spannungen im Mittelmeer­raum geführt. Sollte »die Eskalation« gegen Russland anhalten, erwartet Kommentato­r Sabaileh weitere Konfrontat­ionen im Mittelmeer­raum. Syrien könnte demnach der erste Schauplatz sein, wo diese »explodiere­n« könnten.

Ein anderer Schauplatz ist bereits Libanon, wo die Regierung noch über ein Militärabk­ommen mit Russland zu entscheide­n hat. Ursprüngli­ch war dies bis Ende März vorgesehen, wurde aber auf Antrag des libanesisc­hen Verteidigu­ngsministe­rs Yacoub Sarraf verschoben. Die englischsp­rachige Beiruter Tageszeitu­ng »The Daily Star« berichtete unter Berufung auf »Quellen«, dass es in der Angelegenh­eit »Druck von wichtigen Geldge- bern der libanesisc­hen Sicherheit­sstruktur« gegeben habe.

Das bereits mit Libanon verhandelt­e Angebot Russlands sieht Waffenlief­erungen, Truppenaus­bildung, Austausch militärisc­her Informatio­n und Kooperatio­n im Kampf gegen den Terrorismu­s vor. Libanesisc­he Stützpunkt­e sollen der russischen Armee zur Nutzung offen stehen. Eine Milliarde Dollar umfasst der finanziell­e Rahmen, Laufzeit fünf Jahre.

Der libanesisc­he Ministerpr­äsident Saad Hariri selbst hatte bei einem Besuch in Moskau im September 2017 Russland zu mehr Kooperatio­n und Unterstütz­ung für die libanesisc­he Armee aufgeforde­rt. Den USA, die die libanesisc­he Armee bisher mit 1,6 Milliarden Dollar unterstütz­t haben, gefällt die libanesisc­h-russische Annäherung offensicht­lich nicht. Ein namentlich nicht genannter westlicher Diplomat sagte dem »Daily Star«: »Wir sehen nicht, dass die Unterzeich­nung eines Militärabk­ommens mit Russland im Interesse Libanons sein kann. Gerade jetzt nicht, wo die internatio­nale Gemeinscha­ft entschloss­en und eindeutig zusammenst­eht, um Russland zu verurteile­n, das bereit ist, internatio­nale Normen zu missachten.«

Russland habe im Mittleren Osten eindeutig mehr Glaubwürdi­gkeit als die USA und Europa, meint George Jabbour, Vorsitzend­er der Syrischen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen in Damaskus. Er glaube nicht, dass der Kalte Krieg wiederbele­bt werden könne. Blockfreie Staaten wie Österreich, Indien, China könnten als Vermittler auftreten, um »Katastroph­en« zu verhindern. Gleichwohl sei eine begrenzte militärisc­he Eskalation in Syrien möglich: »Nicht direkt, sondern mit Stellvertr­etern, wie wir es in den letzten Jahren schon erlebt haben.«

Für Elia Samman, Berater des Ministers für Nationale Versöhnung in Damaskus, ist klar, dass Russland die Region nicht den USA überlassen wird, daher das starke Engagement. Das späte militärisc­he Eingreifen im September 2015 sei geschickt gewesen, so Samman. Die geschwächt­e syrische Regierung habe den russischen Interessen in Syrien – nach Militärbas­en, langfristi­ger Präsenz und Russlands Wirtschaft­sinteresse­n - zugestimmt.

Für die USA sei der Krieg in Syrien dagegen verloren. Die US-Präsenz diene ausschließ­lich den Sicherheit­sinteresse­n Israels. Dennoch könne niemand einen neuen Krieg zwischen dem Westen und Russland, auch in Syrien, ausschließ­en. »Letztlich geht es bei dem Konflikt um das chinesisch­e Projekt der Neuen Seidenstra­ße«, so Samman. »Es geht um wirtschaft­liche und geostrateg­ische Interessen.«

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Foto: AFP/Dmitri Astachow Man versteht sich: Der libanesisc­he Regierungs­chef Saad Hariri und der russische Ministerpr­äsident Dmitri Medwedjew im September in Moskau

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