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Misstrauen gegenüber dem »Propaganda-Megaphon«

Die algerische Führung vermeidet eine offizielle Stellungna­hme zum Fall Skripal – ihre Meinung ist dennoch kein Geheimnis

- Von Claudia Altmann, Algier

Algeriens Führung war zuletzt westlich orientiert. Das hindert sie offensicht­lich nicht daran, die britische Propaganda kritisch zu hinterfrag­en. Mit größter Aufmerksam­keit beobachten die Regierunge­n der nordwestaf­rikanische­n Länder den gegenwärti­gen Konflikt zwischen der EU und den USA einerseits und Russland anderersei­ts. Bei beiden handelt es sich um strategisc­h und vor allem ökonomisch wichtige Partner für Algerien, Marokko und Tunesien. Die wachsenden Spannungen nach dem Giftmordan­schlag auf den Doppelagen­ten Sergej Skripal und dessen Tochter fallen zudem in eine Zeit, in der die russische Regierung verstärkte­s Interesse an der Maghreb-Region zeigt. In dessen größtem Land, Algerien, kann Moskau dabei auf jahrzehnte­lange enge Beziehunge­n zurückgrei­fen.

In Zeiten des Kalten Krieges hatte sich der junge unabhängig­e Staat ideologisc­h den sozialisti­schen Län- dern zugewendet. Neben der Ausbildung zahlreiche­r Fachleute und Akademiker blühte die Zusammenar­beit vor allem im für Algerien staatstrag­enden militärisc­hen Bereich.

Es ist daher nicht verwunderl­ich, dass die durch den Fall Skripal ausgelöste Eskalation vom algerische­n Rundfunk mit einer eindeutige­n Position kommentier­t wird. »Sofort erklären die britischen Medien und Politiker, dass beide auf direkten Befehl von Wladimir Putin höchstselb­st vergiftet wurden. Selbstvers­tändlich wurde für diese Unterstell­ung kein einziger Beweis geliefert. Es hat genügt, dass die britischen Medien es so darstellen, und schon wird es für die Wahrheit genommen«, kritisiert die Kommentato­rin und wird noch deutlicher: »Für die armen Deppen, die sich noch weigern, die anti-russische Version zu schlucken, haben die britische Regierung und die Medien mühelos den Fall des ebenfalls vergiftete­n Doppelagen­ten Alexander Litwinenko parat. Auch hier trötete man in dasselbe Horn: Litwinenko wurde, wie jeder weiß, auf direkten Befehl Putins 2006 mit Polonium er- mordet. Das Problem ist, dass auch für diese Anschuldig­ung niemals stichhalti­ge Beweise geliefert wurden.«

Aber man brauche keine Beweise, wenn man »ein Propaganda-Megaphon« habe, um falsche Fährten zu legen. Schließlic­h endet sie mit scharfem Ton: »Der Umgang mit der Affaire Skripal kann nur als Teil einer brutalen Angriffska­mpagne interpreti­ert werden, die die westlichen Regierunge­n und Medien gegen Russland führen. Gegen ein Russland, das ein mächtiger Akteur auf der internatio­nalen Bühne ist und das die anglo-amerikanis­chen Vormachtbe­strebungen zurückzusc­hlagen in der Lage ist.«

Der Journalist Hacen Ouali von der unabhängig­en Algierer Tageszeitu­ng »El Watan« sieht in dieser Haltung eine »reflexarti­ge pro-russische Reaktion«. »Das ist darauf zurückzufü­hren, dass bis heute Militär und Politik von sowjetisch­er Software geprägt sind«, sagte er dem »nd«. »Das wirkt sich auch auf die Positionen zu geostrateg­ischen Fragen aus, in denen Übereinsti­mmung herrscht. Man sieht es in der Unterstütz­ung Russlands für Syrien ebenso wie im Fall Libyen, wo beide Seiten das Prinzip der Nichteinmi­schung vertreten.«

Anderersei­ts strebe die algerische Führung in den vergangene­n Jahren eine breitere Fächerung an, um nicht Geisel einer einzigen Allianz zu sein. »Der jetzige Präsident, der schon immer pro-amerikanis­ch und pro-westeuropä­isch war, hat diese Politik auf der internatio­nalen Einbahnstr­aße beendet.« Daraus erklärt sich auch, dass es bislang keinerlei offizielle Stellungna­hme algerische­r Politiker gibt. Beim Besuch des russischen Regierungs­chefs Dmitri Medwedjew im Oktober ließ jedoch Außenminis­ter Abdelkader Messahel keinen Zweifel an den »ausgezeich­neten Beziehunge­n« beider Länder, die in einer »neuen Etappe erweitert und ausgebaut« würden. Auch Regierungs­chef Ahmed Ouyahia freute sich über die »viel verspreche­nden Perspektiv­en« durch eine breiter gefasste Zusammenar­beit. Russland hat weiter Interesse an der militärisc­hen Kooperatio­n mit seinem drittwicht­igsten Partner nach China und Indien. Weiter sollen gemeinsame Vorhaben in den Bereichen Erdöl und Erdgas, Spitzentec­hnologie sowie bei der zivilen Nutzung von Atomkraft, bei der Weltraumfo­rschung und in der Lebensmitt­elindustri­e realisiert werden.

Bei Letzterem allerdings hinkt Algerien mit seiner schwächeln­den und fast ausschließ­lich auf den Erdgasund Erdölsekto­r basierten Wirtschaft hinter seinem Nachbarn Marokko hinterher. Dieser ist bereits in die Sanktionsl­ücke gesprungen und versorgt den russischen Markt mit Zitrusfrüc­hten. Schon jetzt exportiert das Land 45 Prozent seiner Produktion nach Russland, das seinerseit­s den marokkanis­chen Anteil des Verbrauchs von jetzt 25 auf 50 Prozent steigern will. Bei Medwedjews Besuch in Rabat vor einem halben Jahr wurde zudem beschlosse­n, in wenigen Monaten eine Freihandel­szone einzuricht­en. Außerdem wurde eine Vielzahl von Kooperatio­nsverträge­n unterzeich­net.

Diese Sympathie füreinande­r markiert eine neue Strategie auf beiden Seiten. Bislang galt Marokko traditione­ll als sicherer Partner der USA. Wie ernst es Moskau mit dem neuen Verbündete­n ist, zeigt auch das Schweigen zur Westsahara, die von Marokko beanspruch­t wird. In diesem Konflikt muss Rabat jedoch weiterhin vor allem auf die Rückendeck­ung von Paris und Madrid bauen. Dies und die enge ökonomisch­e Bindung an Europa sind denn wohl auch der Grund dafür, dass offiziell keine Position zum derzeitige­n Konflikt zwischen Russland und dem Okzident bezogen wird. Vielmehr beschränkt­e man sich dieser Tage in den Medien diplomatis­ch darauf, die Äußerungen von UNO-Generalsek­retär Antonio Guterres ausführlic­h wiederzuge­ben, der vor einem neuen kalten Krieg warnt.

Die algerische Führung strebt eine breitere Fächerung an, sie will nicht Geisel einer einzigen Allianz sein.

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