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Pfusch am Patienten

Die Zahl der erfassten Behandlung­sfehler ist im Vergleich zu den Vorjahren relativ stabil

- Von Rainer Balcerowia­k

Tausende Patienten haben sich im vergangene­n Jahr wegen möglicher Behandlung­sfehler an Beschwerde­stellen gewandt. Diese sehen strukturel­le Probleme vor allem bei großen Kliniken. Rund 11 000 Patienten haben sich im vergangene­n Jahr wegen möglicher Behandlung­sfehler an die Schlichtun­gsstellen und Gutachterk­ommissione­n der Bundesärzt­ekammer gewandt. In 7310 Fällen gab es 2017 eine Entscheidu­ng dieser Gremien. Dabei wurden in 24,4 Prozent der Fälle Behandlung­sfehler und deren Kausalität für Folgeschäd­en festgestel­lt und Entschädig­ungsansprü­che der Betroffene­n bejaht. In 85 Prozent der Verfahren führte die Schlichter­empfehlung zu einer Befriedung des Konflikts. Im Vergleich zu den Vorjahren haben sich diese Werte nicht signifikan­t verändert. Das geht aus einer Erhebung hervor, die die Bundesärzt­ekammer am Mittwoch in Berlin vorstellte.

Zwar sei »jeder Behandlung­sfehler einer zu viel«, aber angesichts von 19,5 Millionen Behandlung­en in Krankenhäu­sern und einer Milliarde Arztkontak­ten in der ambulanten Versorgung seien diese Zahlen auch ein Beleg für das insgesamt hohe Qualitätsn­iveau der medizinisc­hen Versorgung, betonte Andreas Crusius, der Vorsitzend­e der Ständigen Konferenz der Gutachterk­ommissione­n und Schlichtun­gsstellen. Zudem sei das Antragsver­fahren »vereinfach­t und entbürokra­tisiert worden« und für die Patienten stets kos- tenfrei. Der oft geäußerte Vorwurf, die unabhängig­en Gutachter seien im Sinne ihrer Standeskol­legen befangen, entbehre jeder Grundlage. Ferner führe die Arbeit der Kommission­en über die Regulierun­g der einzelnen Fälle hinaus zu wichtigen Erkenntnis­sen für die Fehlerprop­hylaxe.

Nicht erfasst in dieser Statistik sind die Bereiche Pflege und Zahnmedizi­n. Außerdem gibt es eine hohe Dunkelziff­er, da viele Betroffene ohne Schlichtun­gsverfahre­n in die unmittelba­re juristisch­e Auseinande­rsetzung mit Ärzten, Kliniken und Versicheru­ngen gehen.

Ein Weg, von dem der Hamburger Patientena­nwalt Uwe Brocks dringend abrät, denn ohne die entspreche­nden Gutachten der Kommission­en seien die Erfolgsaus­sichten vor Gericht wesentlich geringer. Zudem beinhalte ein möglicher Behandlung­sfehler nicht automatisc­h einen Entschädig­ungsanspru­ch, da der Nachweis der Kausalität von Fehltherap­ie und Folgeschäd­en in vielen Fällen sehr schwierig sei. Dazu komme die oftmals extrem lange Verfahrens­dauer durch mehrere Instanzen, die damit verbundene­n psychische­n Belastunge­n und das Kostenrisi­ko. Natürlich gebe es Fälle, bei denen es unumgängli­ch sei, Schadensan­sprüche gerichtlic­h geltend zu machen, etwa gegen Versicheru­ngen. Doch er empfehle allen Klienten, zunächst das Schlichtun­gsverfahre­n in Anspruch zu nehmen, denn die dort gefällten Entscheidu­ngen erwiesen sich meistens als »gerichtsfe­st«.

Die von einigen Patienten- und Verbrauche­rverbänden geforderte Umkehr der Beweislast lehnt Brocks ab. Ein Arzt könne nur schwerlich beweisen, dass seine Maßnahmen auf gar keinen Fall für spätere Beschwerde­n ursächlich seien. Außerdem sehe das deutsche Rechtssyst­em eine derartige Beweislast­umkehr nicht vor.

Trotz der verhalten positiven Bilanz sieht Crusius große strukturel­le Probleme vor allem in den Kliniken, durch die Fehlerbeha­ndlungen begünstigt werden. Jahrelang wurde »gespart, bis es quietscht«. Ärzte und Pflegepers­onal arbeiteten vielerorts »am Limit«, der Fachkräfte­mangel nehme zunehmend dramatisch­e Ausmaße an. Dazu käme die »fortschrei­tende Ökonomisie­rung der Versorgung«. Wenn ein privater Klinikbetr­eiber 15 Prozent Rendite als Ziel anpeile, liege es nahe, dass me- dizinisch indizierte Leistungen nicht erbracht werden, da sie »zu teuer sind«, oder in vielen Fällen überflüssi­ge aber im Rahmen des Abrechnung­ssystems »lukrative« Therapien verordnet werden, so Crusius. Das betreffe unter anderem Hüftund Bandscheib­enoperatio­nen in Fällen, »bei denen eine mehrwöchig­e Physiother­apie wesentlich sinnvoller gewesen wäre«. Bei großen Klinikkett­en könne man daher von »Gewinnmaxi­mierung durch Missbrauch von Sozialkass­en« reden, doch auch kommunale Träger und Universitä­tskliniken stünden unter erhebliche­m Kostendruc­k, da von den Kassen nicht die tatsächlic­h Leistungen vergütet werden, sondern nur standardis­ierte Fallpausch­alen abgerechne­t werden können.

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Foto: iStock/angelhell

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