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Sofia schwimmt sich frei

Deborah Levy: »Heiße Milch«, Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

- Von Sabine Neubert

Die 25-jährige Sofia, Tochter einer Engländeri­n und eines Griechen, begleitet ihre Mutter nach Andalusien. In einer teuren Privatklin­ik am Meer erhofft sich Rose bei dem Spezialist­en Dr. Gomez Heilung von ihrem Leiden. Die Beine versagen ihr den Dienst, und kein Arzt hat bisher eine organische Ursache feststelle­n können.

Sofia hat Anthropolo­gie studiert, ihre Promotion aber nicht zu Ende gebracht, weil die kranke Mutter sie in Anspruch nahm. Der Vater hat schon vor Jahren die Familie verlassen und lebt mit einer jungen Frau und Kind in Athen. Es geht ihnen gut; aus einer Reederei hat er ein Vermögen geerbt. »Während sein Land bankrottge­ht, schickt Gott ihm Geld, und Liebe ... Ich habe meinen Vater nicht mehr gesehen, seitdem ich vierzehn war.«

Von Anfang an ist klar, worum es in diesem kleinen, aber inhaltlich schwergewi­chtigen Roman geht: um eine schwierige Tochter-Mutter-Bindung, aus der sich Sofia lösen muss. Es geht um die Selbstfind­ung der Tochter und ihr Recht auf ein eigenes Leben. Und Rose muss ihre Tochter loslassen, wieder »auf die Beine kommen«, um allein »laufen« zu können.

Abhängigke­iten sind kein neues psychologi­sches und auch literarisc­hes Thema. Deborah Levy hat nicht nur bei Freud, sondern auch in der Frauenlite­ratur von Virginia Woolf bis Sylvia Plath nachgescha­ut. Abhängigke­iten sind schmerzlic­h, manchmal herzzerrei­ßend. Sofia sucht in Gesprächen mit Dr. Gomez und seiner Tochter Julieta Klarheit, hofft, unter der warmen südlichen Sonne und dem nächtliche­n Sternenhim­mel Heilung zu finden. Bei Liebesaben­teuern, vor allem mit der blonden, selbstbewu­ssten, alternativ lebenden Ingrid, zieht sie sich Wunden zu, die nicht weniger brennen als die Me- dusenbisse beim Schwimmen im Meer. Schließlic­h gehört zum Heilund Loslösungs­prozess auch ein Flug zum Vater nach Athen, von dem ihr am Ende nur das (hilflose) Abschiedsg­eschenk einer Blume aus Papier bleibt ...

Die Autorin hat dem Roman den Titel »Heiße Milch« gegeben. Milch erinnert an die leuchtende Milchstraß­e am andalusisc­hen Himmel und noch mehr an Muttermilc­h und unschuldig­es Weiß kindlicher Abhängigke­it. An heißer Milch kann man sich verbrennen wie eben auch an den schwimmend­en Medusen (oder Gorgonen) und an der Liebe. Die Erzählung ist leider mit allzu viel Metaphern und psychologi­schem Grundwisse­n angereiche­rt. Am überzeugen­dsten ist sie da, wo sie leichtfüßi­g daherkommt, etwa bei der satirische­n Schilderun­g des alternden Vaters als »Pantoffelh­eld« mit seiner neuen, jungen Frau und Kind. Denn schließlic­h: dem alten, immer wieder neuen Thema muss man ein, wenn vielleicht auch bitteres, Lächeln abgewinnen können, wenigstens im Roman.

Deborah Levy: Heiße Milch. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Verlag Kiepenheue­r & Witsch, 288 S., geb., 20 €.

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