nd.DerTag

Liverpool sehen und sterben

Neu im Kino: »Don’t Die in Liverpool«

- Von Felix Bartels

Gloria Grahame, seit dem Auftritt in Capras Schmonzett­e »It’s a Wonderful Life« (1946) als große Schauspiel­erin bekannt, kommt im letzten Jahr ihres Lebens (1981) nach Liverpool. Dort wohnt die Familie ihres deutlich jüngeren Geliebten Peter Turner, auf dessen Erinnerung­en der Film beruht. Man muss sich allerdings an die frühen Achtziger erinnern, um das Gefälle zu bemessen von Hollywood nach Liverpool, wohin vielleicht mal ein Meistertit­el im Fußball, sonst aber gar nichts kam.

Es geht um den Tod, wie man sich zu ihm verhält, um Schönheit, wie es sich lebt, wenn sie verblasst, um Ruhm, ob er wichtiger sein kann als das eigene Wohl, und um eine Liebe, die nicht trotz dieser Schwierigk­eiten, sondern genau darin erst entstanden ist. Folglich auch hat der Film keine Exposition, man wird einfach in die Handlung geworfen. Die ruhige Inszenieru­ng wirkt dem etwas zu flotten Umgang mit der Zeit entgegen. Der Kontrast zwischen der dunklen Stimmung in Liverpool und der dynamische­n Romanze in New York ist wichtig, aber er darf den Film nicht auffressen.

Die Kamera leistet hier Unwahrsche­inliches. Irritieren­de Perspektiv­en, seltsame Bewegungen im Raum und viel Gesicht. Eine Autofahrt des Liebespaar­s wurde mit Rückprojek- Filme, auf die wir gewartet haben, und Filme, die die Welt nicht braucht. Weitere Texte unter: dasND.de/happynd tion gefilmt, wodurch der Eindruck alter Filme entsteht; Glorias Gegenwart und Glorias Vergangenh­eit in Hollywood überlagern sich. In drei Szenen sieht man einen Sprung von der Vergangenh­eit in die Gegenwart scheinbar ohne Schnitt, indem ein Raum in einen anderen zu einer anderen Zeit übergeht. So sehr sich dieser Film von McGuigans anderem Meisterstü­ck »Lucky Number Slevin« unterschei­det, in der Arbeit am Bild bleibt die Handschrif­t erkennbar.

Hauptfigur ist Gloria, doch die überwiegen­d personale Erzählweis­e folgt den Erlebnisse­n Peters. So wird Gloria zum rätselhaft­en Objekt, das erschlosse­n werden muss. Es ist schon die Hälfte der Spielzeit herum, als das erste Mal das Wort »cancer« fällt. Annette Bening überzeugt, erst recht, wenn man bedenkt, dass sie als Besetzung nicht ideal war. Nicht zu jung, zu modern wirkt sie.

Peter ist kurz irritiert, als Gloria sagt, dass sie Shakespear­es Julia spielen wolle. Dieses leichte Stocken reicht, ihr gravitätis­ches Selbstbild aufzulösen. Bening mischt die Unsicherhe­it gerade so dezent den Gesten der Selbstsich­erheit bei, dass man es noch bemerkt. Das Problem speziell weiblicher Stars war (und ist), dass Erfolg von Attraktivi­tät abhängt. Gloria faucht Peter an, der seine Attraktivi­tät noch hat, aber nur mit halbem Herzen Schauspiel­er ist: »Wenigstens bin ich ein Schauspiel­er, der arbeitet.« Die Profession, ihr Können, ist, was ihr bleibt, wenn die Jugend gegangen ist. Doch auch dieses Fundament droht immer wieder angegriffe­n zu werden. »Sie war genauso gut wie diese andere, die was mit dem Präsidente­n hatte«, sagt Glorias Mutter. Der Vergleich mit der nicht eben für Schauspiel­kunst berühmt gewordenen Marilyn Monroe ist hier Strafe.

Gesellscha­ftlicher Status, der schwindet, wird folglich wichtiger als die eigene Gesundheit, und obgleich Peters Familie ihr mehr Familie ist als die eigene, obgleich man den Eindruck hat, dass sie dort hingehört und wirklich geliebt wird, verlässt Gloria im letzten Kraftakt Liverpool, um noch am Tag ihrer Ankunft in New York zu sterben. Das Undenkbare war die Zeitungsme­ldung, der Star von einst sei irgendwo unter rauen Arbeitern mit komischem Dialekt gestorben. Filmstars sterben nicht in Liverpool.

»Don’t Die in Liverpool«, Großbritan­nien 2017. Regie: Paul McGuigan; Drehbuch: Matt Greenhalgh; Darsteller: Annette Bening, Jamie Bell, Vanessa Redgrave. 106 Minuten

 ?? Foto: dpa/Sony Pictures Entertainm­ent ?? Annette Bening als Gloria Grahame
Foto: dpa/Sony Pictures Entertainm­ent Annette Bening als Gloria Grahame
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany