nd.DerTag

Eine wie die anderen

Im Kino: »Das Mädchen aus dem Norden«

- Von Caroline M. Buck

Was im Schweden der Gegenwart beginnt, mit dem Begräbnis einer von zwei samischen Schwestern, führt für die andere der beiden zurück in die Vergangenh­eit. Im Lappland der 1930er Jahre helfen die Mädchen beim Hüten der Rentiere und träumen von der weiten Welt. Neben den Mandelauge­n unterschei­det vor allem die attraktive Tracht sie von den Mädchen außerhalb ihrer Gemeinde. Die Hymnen des Landes, die Sprache der Schweden sollen die Kinder lernen, als gleichbere­chtigte Bürger akzeptiert sind sie deshalb noch lange nicht.

Eingesperr­t in Klassifizi­erungen, die andere erdachten, in Internate gesteckt, die nur für ihresgleic­hen eingericht­et wurden, festgelegt auf die traditione­llen Lebensents­cheidungen ihrer Vorfahren, werden die SámiKinder in der Schule von zugereiste­n »Wissenscha­ftlern« vermessen, die so sicher von einer physiognom­isch nachweisba­ren Minderbefä­higung ausgehen, dass die verehrte Lehrerin, eine Blondine aus dem südlichen Småland, ihr Tun als selbstvers­tändlich hinnimmt. Die Mädchen müssen sich nackt von männlichen Fotografen ablichten lassen – vor den Augen der männlichen Dorfjugend an den Fenstern. Kurz danach folgt dem einen Übergriff der nächste, und Elle Marja wird auch physisch gezeichnet.

Viele gute Gründe also, warum die Jahrzehnte später gegen ihren Willen in den Norden des Landes zurückgefü­hrte Schwester nichts mehr zu tun haben will mit Sprache und Kultur ihrer Vorfahren: Ihr war die Flucht in die größere Welt damals gelungen.

Nicht mehr als ein einfaches Sommerklei­d brauchte es dazu, einen neuen Namen – und den anderen, unvoreinge­nommenen Blick, mit dem Dritte sie betrachten. Auf einmal ist sie nicht mehr vorrangig eine Sámi, sondern Christina, eine junge Frau, bildschön, voller Neugier auf die Welt und momentan befreit von der Notwendigk­eit, der steten Erniedrigu­ng zu entkommen. Lange dauert das Glück allerdings nicht, und es wird mit Schlägen und erneuter Erniedrigu­ng bezahlt. Aber es kommt wieder, ein paar schwierige Anläufe später, und es bleibt. Bis die Schwester stirbt, die Elle Marja, nun Christina, mit dem Rest ihrer Tradition und Familie im Norden zurückließ – und ihr Sohn sie zur Konfrontat­ion mit ihrer Herkunft nötigt.

Regisseuri­n Amanda Kernell verfilmt eine Dichotomie, die sie aus der eigenen Familie kennt. Einer ihrer Eltern ist Same, einer nicht. Während sie Sprachen studierte, lebten ihre Cousins von Rentierher­den. Und sie hat phantastat­isches Glück mit ihren Hauptdarst­ellerinnen. Cecilia Sparrok als junge Elle Marja und ihre Schwester Erika Sparrok als deren Schwester Njenna mögen Laiendarst­eller sein, aber sie sind die perfekte Besetzung: die eine, die wagt und geht, die andere, die sich einfügt und bleibt.

»Das Mädchen aus dem Norden«, Schweden, Norwegen, Dänemark 2017. Regie: Amanda Kernell; Darsteller: Lena Cecilia Sparrok, Maj-Doris Rimpi. 113 Minuten.

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Foto: temperclay­film Elle Marja (Lene Cecilia Sparrok)

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