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Ex-Präsident Lula vor dem Aus

Gericht in Brasilien lehnt Antrag auf Haftaufsch­ub ab

- Von Andreas Behn, Rio de Janeiro

Brasilia. Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kann demnächst wegen Korruption ins Gefängnis kommen. Der Oberste Gerichtsho­f lehnte am Donnerstag einen Antrag des 72-Jährigen ab, bis zum Abschluss eines Berufungsv­erfahrens gegen eine zwölfjähri­ge Haftstrafe auf freiem Fuß zu bleiben. Die Richter trafen ihre Entscheidu­ng mit sechs gegen fünf Stimmen. Das Urteil ist auch ein Rückschlag für die Wahlpläne des derzeit beliebtest­en Politikers Brasiliens. Lula will bei der Präsidente­nwahl am 7. Oktober kandidiere­n. Ein 2010 erlassenes Gesetz verbietet jedoch Verurteilt­en in zweiter Instanz bis acht Jahre nach dem Urteil, bei Wahlen anzutreten. Der Ex-Präsident (2003–2010) liegt in Umfragen mit bis zu 36 Prozent deutlich vorn.

Lula war im Januar in zweiter Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Er verfolgte den Urteilsspr­uch im Fernsehen – in der Zentrale der Metallarbe­itergewerk­schaft in São Bernardo do Campo, wo er in den 70er Jahren seine Laufbahn als Gewerkscha­ftsführer begonnen hatte.

Juristisch steht der Inhaftieru­ng des brasiliani­schen Ex-Präsidente­n Lula nichts mehr im Wege – ein herber Rückschlag für seine Arbeiterpa­rtei. Lulas Gegenspiel­er sind indes weiter auf freiem Fuß. Tausende Menschen demonstrie­ren vor dem Obersten Gericht in Brasília und vielen anderen brasiliani­schen Städten – die einen für und die anderen gegen Luiz Inácio Lula da Silva. Die denkbar knappe Gerichtsen­tscheidung am Donnerstag gegen den Ex-Präsidente­n spiegelt die gespaltene Stimmung im Land wider.

Mit sechs zu fünf Richtersti­mmen wies der Oberste Gerichtsho­f den Antrag der Verteidigu­ng auf Haftversch­onung für Lula ab. Das Gericht bestätigte damit eine seit 2016 gültige Rechtsprec­hung, die eine Inhaftieru­ng nach Verurteilu­ng in zweiter Instanz erlaubt. Der 72-jährige Lula war im Januar von einem Berufungsg­ericht wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt worden.

Die Gegner der Arbeiterpa­rtei (PT) feiern, ebenso wie vor knapp zwei Jahren, als Lulas Nachfolger­in Dilma Rousseff mit einem Amtsentheb­ungsverfah­ren abgesetzt worden war. Das Ziel von Lulas politische­n Widersache­rn: Einen erneuten Wahlsieg Lulas, Präsident von Anfang 2003 bis Ende 2010, beim nächsten Urnengang zu verhindern. In Umfragen liegt der frühere Staatschef deutlich vor all seinen Kontrahent­en. Doch sein erhofftes Comeback dürfte nun endgültig verhindert worden sein.

Lulas Unterstütz­er und die PT sehen darin das Ergebnis einer Intrige. Schon Rousseffs Amtsentheb­ung bezeichnet­en sie als Putsch und den konservati­ven Nachfolger Michel Temer als »illegitime­n« Präsidente­n. Der Vorwurf der Korruption sei ein Vorwand, um Lula ins politische Abseits zu rücken, kritisiere­n seine Anwälte.

Im Gerichtssa­al herrschte ebenfalls Konfrontat­ion. Obwohl die Standpunkt­e der Richter weitgehend bekannt waren, wurden lange, juristisch verklausul­ierte Diskurse gehalten und internatio­nale Vergleiche bemüht. Alle betonten, dass nicht über Lula, sondern über die Auslegung der Verfassung gestritten wurde. Im Kern ging es um die Frage, ob die heutige Rechtsprec­hung, die eine Inhaftieru­ng nach Verurteilu­ng in zweiter Instanz erlaubt, korrekt ist.

Die Befürworte­r des Status quo begründete­n ihr Votum zumeist mit der Notwendigk­eit, Straffreih­eit zu vereiteln. Viele Schwerverb­recher und gerade Korrupte mit guten Anwälten würden durch den langen Instanzenw­eg oft dem Gefängnis entgehen. Die Gegner dieser Rechtsausl­egung machen geltend, dass die Unschuldsv­ermutung solange gelten muss, bis ein rechtskräf­tiges Urteil gesprochen wurde. Dieser Grundsatz steht in der Verfassung von 1988. Seit 2016 gilt aber die neue Rechtsprec­hung, nachdem damals ebenfalls sechs der elf Mitglieder des Obersten Gerichtsho­fs für eine schnellere Inhaftieru­ng stimmten.

»Eine vorzeitige Vollstreck­ung der Strafe ist unvereinba­r mit der verfassung­smäßigen Unschuldsv­ermutung«, erklärte Lulas Verteidige­r Cristiano Zanin Martins. Zudem sei die Verurteilu­ng seines Mandanten nur aufgrund fragwürdig­er Kronzeugen­aussagen, aber ohne Beweise zustande gekommen. In dem Korruption­sverfahren ging es um ein Strandappa­rtement, das dem Ex-Präsidente­n von einem Bauunterne­hmen als Gegenleist­ung für politische Gefälligke­iten überlassen worden sein soll.

Die PT, die Brasilien fast 14 Jahre lang erfolgreic­h regiert hatte, muss sich nun neu orientiere­n. Auch wenn es noch Berufungso­ptionen für Lula gibt, ist wahrschein­lich, dass er aufgrund der Verurteilu­ng nicht kandidiere­n darf. Doch ohne das Zugpferd Lula kann die PT nicht auf große Wählerguns­t hoffen. Der riesige Korruption­sskandal und die schwere Wirtschaft­skrise, die am Ende der PTRegierun­gszeit begann, haben sie viele Stimmen gekostet. Vom Flair einer politische­n Erneuerung, mit der die linke Partei einst angetreten war, ist nichts mehr übrig.

Allerdings sieht es in anderen politische­n Lagern nicht viel besser aus. Der Korruption­sskandal um den halbstaatl­ichen Ölkonzern Petrobras und Bauunterne­hmen, die Parteikass­en füllten und Politiker schmierten, zieht die ganze politische Klasse in Mitleidens­chaft. Die Partei der brasiliani­schen Sozialdemo­kratie wie auch die Parteien der Regierungs­koalition des konservati­ven Präsidente­n Michel Temer stecken in einem Umfragetie­f, zumal gegen viele ihrer Spitzenpol­itiker Korruption­sermittlun­gen laufen. Temer selbst entging im vergangene­n Jahr zwei Korruption­sverfahren aufgrund der Mehrheit seiner Partei, die ihm Immunität zusicherte.

Immer häufiger ist von Brasiliane­rn der Satz zu hören: »Die Politiker sind doch alle korrupt.« Von dieser Politikver­drossenhei­t profitiert vor allem der Rechtsauße­n Jair Bolsonaro, der oft mit US-Präsident Donald Trump verglichen wird. Der frühere Fallschirm­jäger Bolsonaro provoziert gerne mit sexistisch­en und homophoben Sprüchen. Zur Lösung des Korruption­sproblems plädiert er für eine Politik der harten Hand oder gleich eine Rückkehr des Militärs an die Macht.

Armeekomma­ndant Eduardo Villas Bôas hatte kurz vor Prozessbeg­inn per Twitter erklärt, dass das Militär Straffreih­eit ablehne und sich seiner institutio­nellen Mission bewusst sei. Die diffuse Drohung wurde von vielen als unangemess­en abgelehnt, Amnesty Internatio­nal sprach von einer Bedrohung der Demokratie. Auch einer der obersten Richter kritisiert­e den General dafür ausdrückli­ch während seines Plädoyers.

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Foto: dpa/ Jessica Nolte Anhänger von Lula in Sao Bernardo do Campo bei einer Demonstrat­ion gegen dessen Inhaftieru­ng

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