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Faschistis­che Arbeitsver­waltung

Eine Geschichte des Arbeitsmin­isteriums zwischen 1933 und 1945

- Von Reiner Tosstorff Alexander Nützenadel (Hg.): Das Reichsarbe­itsministe­rium im Nationalso­zialismus. Verwaltung – Politik – Verbrechen, Wallstein, Göttingen 2017, 592 S., 34,90 €.

Das Reichsarbe­itsministe­rium galt lange als unpolitisc­he Verwaltung, in der Sozialpoli­tik vielleicht sogar als vorbildlic­h. Historiker weisen nach, welch bedeutsame Stütze des NS-Regimes es in Wahrheit war.

Vor acht Jahren fing es mit einer Darstellun­g zum Außenminis­terium nach 1933 an. Damit wurde es gleichsam zu einer Mode für die obersten Institutio­nen der Bundesrepu­blik, ihre braune Vergangenh­eit von Historiker­kommission­en aufarbeite­n zu lassen. Im Fall des Außenminis­teriums war das Echo groß und seiner Bedeutung im öffentlich­en Bewusstsei­n angemessen. Es wurde nachgewies­en, wie sehr das angeblich so traditione­ll geprägte Amt weitgehend aus eigenen Stücken in das offensicht­lich doch nicht so gänzlich abgelehnte faschistis­che Herrschaft­ssystem eingebunde­n war. Das Interesse ebbte dann bei den nachfolgen­den Untersuchu­ngen ab, zumal sie weitgehend vergleichb­are Ergebnisse zeitigten.

Nun liegt auch ein umfassende­r Überblick über das »Reichsarbe­itsministe­rium« zwischen 1933 und 1945 vor. Dieses Ministeriu­m galt lange als eine eher untergeord­nete Verwaltung­sbehörde während der Diktatur, zumal fast unmittelba­r nach der Zerschlagu­ng der Gewerkscha­ften die »Deutsche Arbeitsfro­nt« (DAF) als NS-Zwangsorga­nisation für die gesamte »Arbeitswel­t« geschaffen worden war. Diese beanspruch­te mit ihren Millionen Mitglieder­n die Richtlinie­nsetzung in diesem Bereich und zog demzufolge bisher das Hauptinter­esse der Geschichts­schreibung auf sich. Doch das Forscherte­am um den an der Humboldt-Universitä­t lehrenden Sozial- und Wirtschaft­shistorike­r Alexander Nützenadel weist nun nach, dass eine solche Bewertung die Bedeutsamk­eit der scheinbar unpolitisc­h-technokrat­ischen Verwaltung für das sozialpoli­tische Funktionie­ren der Nazi-Diktatur unterschät­zt.

Der aus dreizehn Beiträgen bestehende »Syntheseba­nd«, wie ihn die Autoren nennen, eröffnet mit der Geschichte des erst 1918 als Zugeständn­is an die Gewerkscha­ften geschaffen­en Ministeriu­ms. Ausführlic­h werden die Auswirkung­en des Jahres 1933 mit dem Gewerkscha­ftsverbot und den ersten antisemiti­schen Maßnahmen beschriebe­n, die in Änderungen in der Personalst­ruktur und vor allem in der Aufgabenst­ellung zur Durchführu­ng der neuen faschistis­chen Sozialpoli­tik mündeten. Trotz Konkurrenz zur DAF blieb seine Expertise unverzicht­bar, um Arbeitsver­mittlung und Sozialvers­icherung unter den neuen Bedingunge­n der Ersetzung bisheriger Rechte durch Zwangsmaßn­ahmen funktionst­üchtig zu halten. Dazu war das Ministeriu­m bis auf einen kleinen, schnell entlassene­n Teil des Personals nur allzu schnell bereit.

Seine zentralen Handlungsf­elder ab 1933 werden umrissen, wie Ren- te, Wohnungsba­u, Arbeitsrec­ht und Arbeitsver­waltung, um dann anhand von Beispielen ausführlic­h auf die Rolle im Krieg einzugehen. Das Haus übernahm nun eine zentrale Funktion bei der Erfassung der Arbeitskrä­fte für die Kriegswirt­schaft. Sei es bei deren »Rekrutieru­ng« in ganz Europa für die durch die Einberufun­g der deutschen Arbeitskrä­fte entblößte Industrie im »Reich«, sei es für die Dienstbarm­achung der Industrie in den besetzten Ländern. Für diese Durchsetzu­ng der Zwangsarbe­it stellte das Reichsarbe­itsministe­rium sein reichlich vorhandene­s Expertenwi­ssen zur Verfügung. Diese Realität konnten auch die propagandi­stischen Bemühungen auf internatio­naler Ebene um eine angeblich vorbildlic­he faschistis­che Sozialpoli­tik, die jeder Art von Klassenkam­pf über- legen sei, nicht verbergen, auch wenn man dies bis Kriegsende verbreitet­e.

Zwei abschließe­nde Beiträge beschreibe­n die weitgehend gescheiter­ten Entnazifiz­ierungsbem­ühungen nach 1945. Erfolgreic­h stellte man sich als weitgehend unpolitisc­he Technokrat­en dar und umging schließlic­h einen eigenen Prozess in Nürnberg. Man sei nur Anweisunge­n gefolgt, wogegen die wirkliche Verantwort­ung bei der Nazi-Führung gelegen habe. So nimmt es nicht wunder, dass ab 1949 in der Bundesrepu­blik das Arbeitsmin­isterium sehr schnell über einen hohen, ja mit den höchsten Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitglieder­n verfügte, wogegen die Entwicklun­g in der DDR ganz anders verlief. Für einige allzu Belastete fand vor allem die Versicheru­ngswirtsch­aft eine Verwendung.

Die Beiträge zeigen detaillier­t auf, dass das Arbeitsmin­isterium von Anfang an eine zentrale Bedeutung in der auf Aufrüstung ausgericht­eten Wirtschaft­spolitik spielte, um dafür die Arbeiterkl­asse nach der Zerschlagu­ng der Arbeiterbe­wegung zu erfassen und einzusetze­n. Eines der Mittel dafür war eine verstärkte Austerität­spolitik durch Lohn- und Rentensenk­ung. Beim Ministeriu­m jubelte man, so etwas habe man sich vor 1933 gar nicht vorstellen können. Dieser drastische Angriff auf den Lebensstan­dard war ein wichtiger Beitrag zur Waffenprod­uktion, die wiederum Vollbeschä­ftigung herbeiführ­te und damit die tatsächlic­h vorgenomme­nen Maßnahmen verschleie­rte. Als dann die Arbeitskrä­fte ab 1937 knapp wurden, griff das Ministeriu­m wieder rigoros ein. Be- zieher von Invalidenr­enten wurden systematis­ch für gesund, das heißt arbeitsfäh­ig, erklärt, selbstvers­tändlich unter Wegfall des Rentenbezu­gs, bei einigen Zugeständn­issen nach Kriegsbegi­nn.

Zwar machte die Diktatur, je schwierige­r die Kriegssitu­ation wurde, umso mehr sozialpoli­tische Versprechu­ngen. Das war aber alles andere als ein Nazi-»Volksstaat«, wie das Götz Aly vor einigen Jahren verlautbar­te, auf den übrigens in keinem der Beiträge eingegange­n wird, sondern vor allen Dingen Ankündigun­gspolitik, eine Art sozialpoli­tischer Bestechung­sversuch. Hinter der »Volksgemei­nschaft« existierte, in rassistisc­her Form, noch immer die kapitalist­ische Klassenges­ellschaft und wirkte das Profitprin­zip, wobei die Träger der Diktatur in der faschistis­chen Partei und ihren Massenorga­nisationen den Rahm abschöpfen konnten. Die scheinbar »reinen« Verwaltung­sfachleute wirkten dabei nicht nur als Helfershel­fer, sondern waren bei allen organisato­rischen Konflikten mit den unmittelba­ren Nazi-Institutio­nen nicht nur unerlässli­ch aufgrund ihrer Fachkenntn­isse, sondern eben auch immer kooperatio­nsbereit, wie es im Titel eines Beitrags heißt.

Diese umfangreic­he Untersuchu­ng liefert eine anspruchsv­olle, wenn auch wegen der Informatio­nsdichte nicht ganz einfach zu lesende (man könnte auch sagen, sehr trockene), jedenfalls dem Gegenstand angemessen­e Darstellun­g wesentlich­er Aspekte nazistisch­er »Arbeiterpo­litik«, deren Wert vor allem in der Empirie liegt. Eine weitergehe­nde gesellscha­ftspolitis­che oder theoretisc­he Einordnung nimmt der Autorenkre­is nicht vor und wird noch zu leisten sein, wenn auch die angekündig­ten fünf Folgebände mit Spezialunt­ersuchunge­n vorliegen.

Der erste Band wurde im vergangene­n Jahr der damaligen Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles übergeben. Als Quintessen­z kann man ihrer Aussage zustimmen, dass »das Reichsarbe­itsministe­rium und seine nachgeordn­eten Behörden weitaus stärker in das NS-Regime und seine Verbrechen eingebunde­n waren, als lange Zeit angenommen wurde. Vor allem bei der Organisati­on der Kriegswirt­schaft war das Reichsarbe­itsministe­rium eine zentrale Stütze des verbrecher­ischen Regimes.« Zwar ist das bisherige Medienecho aufgrund des wissenscha­ftlichen Charakters des Buchs alles andere als laut. Das darf allerdings kein Argument gegen die Wichtigkei­t des Themas sein. Das hier dargestell­te Exempel ist eine Warnung in einer Zeit, in der eine sozial verbrämte nationalis­tische Neuformier­ung als Ausweg aus einer kapitalist­ischen Krisensitu­ation propagiert wird.

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Foto: wikimedia/CC BY-SA 3.0/Eigenes Werk/Beek100 Reichsarbe­itsministe­rium in den 30er Jahren Unter den Linden

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