Faschistische Arbeitsverwaltung
Eine Geschichte des Arbeitsministeriums zwischen 1933 und 1945
Das Reichsarbeitsministerium galt lange als unpolitische Verwaltung, in der Sozialpolitik vielleicht sogar als vorbildlich. Historiker weisen nach, welch bedeutsame Stütze des NS-Regimes es in Wahrheit war.
Vor acht Jahren fing es mit einer Darstellung zum Außenministerium nach 1933 an. Damit wurde es gleichsam zu einer Mode für die obersten Institutionen der Bundesrepublik, ihre braune Vergangenheit von Historikerkommissionen aufarbeiten zu lassen. Im Fall des Außenministeriums war das Echo groß und seiner Bedeutung im öffentlichen Bewusstsein angemessen. Es wurde nachgewiesen, wie sehr das angeblich so traditionell geprägte Amt weitgehend aus eigenen Stücken in das offensichtlich doch nicht so gänzlich abgelehnte faschistische Herrschaftssystem eingebunden war. Das Interesse ebbte dann bei den nachfolgenden Untersuchungen ab, zumal sie weitgehend vergleichbare Ergebnisse zeitigten.
Nun liegt auch ein umfassender Überblick über das »Reichsarbeitsministerium« zwischen 1933 und 1945 vor. Dieses Ministerium galt lange als eine eher untergeordnete Verwaltungsbehörde während der Diktatur, zumal fast unmittelbar nach der Zerschlagung der Gewerkschaften die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) als NS-Zwangsorganisation für die gesamte »Arbeitswelt« geschaffen worden war. Diese beanspruchte mit ihren Millionen Mitgliedern die Richtliniensetzung in diesem Bereich und zog demzufolge bisher das Hauptinteresse der Geschichtsschreibung auf sich. Doch das Forscherteam um den an der Humboldt-Universität lehrenden Sozial- und Wirtschaftshistoriker Alexander Nützenadel weist nun nach, dass eine solche Bewertung die Bedeutsamkeit der scheinbar unpolitisch-technokratischen Verwaltung für das sozialpolitische Funktionieren der Nazi-Diktatur unterschätzt.
Der aus dreizehn Beiträgen bestehende »Syntheseband«, wie ihn die Autoren nennen, eröffnet mit der Geschichte des erst 1918 als Zugeständnis an die Gewerkschaften geschaffenen Ministeriums. Ausführlich werden die Auswirkungen des Jahres 1933 mit dem Gewerkschaftsverbot und den ersten antisemitischen Maßnahmen beschrieben, die in Änderungen in der Personalstruktur und vor allem in der Aufgabenstellung zur Durchführung der neuen faschistischen Sozialpolitik mündeten. Trotz Konkurrenz zur DAF blieb seine Expertise unverzichtbar, um Arbeitsvermittlung und Sozialversicherung unter den neuen Bedingungen der Ersetzung bisheriger Rechte durch Zwangsmaßnahmen funktionstüchtig zu halten. Dazu war das Ministerium bis auf einen kleinen, schnell entlassenen Teil des Personals nur allzu schnell bereit.
Seine zentralen Handlungsfelder ab 1933 werden umrissen, wie Ren- te, Wohnungsbau, Arbeitsrecht und Arbeitsverwaltung, um dann anhand von Beispielen ausführlich auf die Rolle im Krieg einzugehen. Das Haus übernahm nun eine zentrale Funktion bei der Erfassung der Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft. Sei es bei deren »Rekrutierung« in ganz Europa für die durch die Einberufung der deutschen Arbeitskräfte entblößte Industrie im »Reich«, sei es für die Dienstbarmachung der Industrie in den besetzten Ländern. Für diese Durchsetzung der Zwangsarbeit stellte das Reichsarbeitsministerium sein reichlich vorhandenes Expertenwissen zur Verfügung. Diese Realität konnten auch die propagandistischen Bemühungen auf internationaler Ebene um eine angeblich vorbildliche faschistische Sozialpolitik, die jeder Art von Klassenkampf über- legen sei, nicht verbergen, auch wenn man dies bis Kriegsende verbreitete.
Zwei abschließende Beiträge beschreiben die weitgehend gescheiterten Entnazifizierungsbemühungen nach 1945. Erfolgreich stellte man sich als weitgehend unpolitische Technokraten dar und umging schließlich einen eigenen Prozess in Nürnberg. Man sei nur Anweisungen gefolgt, wogegen die wirkliche Verantwortung bei der Nazi-Führung gelegen habe. So nimmt es nicht wunder, dass ab 1949 in der Bundesrepublik das Arbeitsministerium sehr schnell über einen hohen, ja mit den höchsten Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern verfügte, wogegen die Entwicklung in der DDR ganz anders verlief. Für einige allzu Belastete fand vor allem die Versicherungswirtschaft eine Verwendung.
Die Beiträge zeigen detailliert auf, dass das Arbeitsministerium von Anfang an eine zentrale Bedeutung in der auf Aufrüstung ausgerichteten Wirtschaftspolitik spielte, um dafür die Arbeiterklasse nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung zu erfassen und einzusetzen. Eines der Mittel dafür war eine verstärkte Austeritätspolitik durch Lohn- und Rentensenkung. Beim Ministerium jubelte man, so etwas habe man sich vor 1933 gar nicht vorstellen können. Dieser drastische Angriff auf den Lebensstandard war ein wichtiger Beitrag zur Waffenproduktion, die wiederum Vollbeschäftigung herbeiführte und damit die tatsächlich vorgenommenen Maßnahmen verschleierte. Als dann die Arbeitskräfte ab 1937 knapp wurden, griff das Ministerium wieder rigoros ein. Be- zieher von Invalidenrenten wurden systematisch für gesund, das heißt arbeitsfähig, erklärt, selbstverständlich unter Wegfall des Rentenbezugs, bei einigen Zugeständnissen nach Kriegsbeginn.
Zwar machte die Diktatur, je schwieriger die Kriegssituation wurde, umso mehr sozialpolitische Versprechungen. Das war aber alles andere als ein Nazi-»Volksstaat«, wie das Götz Aly vor einigen Jahren verlautbarte, auf den übrigens in keinem der Beiträge eingegangen wird, sondern vor allen Dingen Ankündigungspolitik, eine Art sozialpolitischer Bestechungsversuch. Hinter der »Volksgemeinschaft« existierte, in rassistischer Form, noch immer die kapitalistische Klassengesellschaft und wirkte das Profitprinzip, wobei die Träger der Diktatur in der faschistischen Partei und ihren Massenorganisationen den Rahm abschöpfen konnten. Die scheinbar »reinen« Verwaltungsfachleute wirkten dabei nicht nur als Helfershelfer, sondern waren bei allen organisatorischen Konflikten mit den unmittelbaren Nazi-Institutionen nicht nur unerlässlich aufgrund ihrer Fachkenntnisse, sondern eben auch immer kooperationsbereit, wie es im Titel eines Beitrags heißt.
Diese umfangreiche Untersuchung liefert eine anspruchsvolle, wenn auch wegen der Informationsdichte nicht ganz einfach zu lesende (man könnte auch sagen, sehr trockene), jedenfalls dem Gegenstand angemessene Darstellung wesentlicher Aspekte nazistischer »Arbeiterpolitik«, deren Wert vor allem in der Empirie liegt. Eine weitergehende gesellschaftspolitische oder theoretische Einordnung nimmt der Autorenkreis nicht vor und wird noch zu leisten sein, wenn auch die angekündigten fünf Folgebände mit Spezialuntersuchungen vorliegen.
Der erste Band wurde im vergangenen Jahr der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles übergeben. Als Quintessenz kann man ihrer Aussage zustimmen, dass »das Reichsarbeitsministerium und seine nachgeordneten Behörden weitaus stärker in das NS-Regime und seine Verbrechen eingebunden waren, als lange Zeit angenommen wurde. Vor allem bei der Organisation der Kriegswirtschaft war das Reichsarbeitsministerium eine zentrale Stütze des verbrecherischen Regimes.« Zwar ist das bisherige Medienecho aufgrund des wissenschaftlichen Charakters des Buchs alles andere als laut. Das darf allerdings kein Argument gegen die Wichtigkeit des Themas sein. Das hier dargestellte Exempel ist eine Warnung in einer Zeit, in der eine sozial verbrämte nationalistische Neuformierung als Ausweg aus einer kapitalistischen Krisensituation propagiert wird.