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Links ist da, wo man nicht extrem rechts ist

Die völkische Rechte spricht gern vom »links-rot-grün versifften 68er-Deutschlan­d« – ein Mythos, der vor allem etwas über ihr Weltbild aussagt.

- Von Jörn Schulz

Um politische Korrekthei­t scherte man sich damals nicht. »Wir wollen sagen, wofür wir sind«, war das Motto der Demonstrat­ion des »freien Berlin« gegen die Studentenb­ewegung am 21. Februar 1968. »Lasst Bauarbeite­r ruhig schaffen, kein Geld für langbehaar­te Affen« gehörte zu den harmlosere­n Parolen. Es wurde auch gefordert: »Politische Feinde ins KZ!« Der Mob attackiert­e mehrere Passanten, die man für Studenten hielt. »Sie schrien: Schlagt ihn tot, hängt ihn auf«, berichtete Lutz-Dieter Monde, der das Pech hatte, Rudi Dutschke ähnlich zu sehen.

Die Demonstrat­ion war eine gemeinsame Initiative aller großen Parteien, die vom DGB und den Zeitungen des Springer-Konzerns unterstütz­t wurde. »Man darf auch nicht die ganze Drecksarbe­it der Polizei und ihren Wasserwerf­ern überlassen«, hatte die »Bild«Zeitung zwei Wochen zuvor gemahnt, und auch Bürgermeis­ter Klaus Schütz (SPD) hatte den rechten Mob ermutigt: »Helfen Sie mit, Straftäter festzustel­len.« Am 11. April, dem Tag, an dem Josef Bachmann den echten Dutschke niederscho­ss, erschien »Bild« mit der Schlagzeil­e »Rudi Dutschke – Staatsfein­d Nr. 1!«.

Man versteht, dass Rechtspopu­listen und Rechtsextr­eme sich Verhältnis­se zurückwüns­chen, in denen NSNostalgi­e als selbstvers­tändlicher Ausdruck deutscher Volkskultu­r galt – bei einer Umfrage im Jahr 1970 hatten nur 39 Prozent der Westdeutsc­hen eine positive Meinung über Stauffenbe­rgs Versuch, Hitler zu stürzen – und politische­s Establishm­ent, die einflussre­ichsten Medien und die Polizei noch Hand in Hand gegen Dissidente­n zusammenar­beiteten, ohne es dabei allzu genau mit der Einhaltung der Gesetze zu nehmen.

Den Ton gab 2016 der AfD-Politiker Jörg Meuthen vor: »Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschlan­d.« Diese Parole wird unermüdlic­h in diversen Varianten wiederholt, auch von nominell christlich-konservati­ven Politikern wie Alexander Dobrindt, dem Vorsitzend­en der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag: »Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservati­ve Revolution der Bürger.« Diese angebliche Herrschaft oder Dominanz »linker Eliten« ist ein Mythos. Er sagt vor allem etwas darüber aus, wie die gar nicht so neue Rechte der Meuthens und Dobrindts die Welt sieht und welche Verhältnis­se sie herbeisehn­t.

Die globale Radikalisi­erung der sechziger Jahre, die in unterschie­dlichen Formen den Westen, aber auch einige osteuropäi­sche, lateinamer­ikanische und afrikanisc­he Staaten erfasste, wird für die Debatte oft so zurechtges­tutzt, dass sie in den deutschen Vorgarten passt. Recht traditione­ll wird oft auch in der Linken die Geschichte »großer Männer« erzählt: Der tragische Star ist Rudi Dutschke, in den Nebenrolle­n treten Daniel Cohn-Bendit, Rainer Langhans und einige andere auf, ausschließ­lich Studenten, und Frauen erscheinen allenfalls als Pin-up in Gestalt von Uschi Obermaier.

Tatsächlic­h wehrten sich linke Frauen sehr schnell gegen den »sozialisti­schen Bumszwang«, wie es der 1968 gegründete Weiberrat nannte, und andere Formen männlicher Dominanz in der Bewegung – eine Revolte innerhalb der Revolte. Der Tomatenwur­f, mit dem Sigrid Rüger im September 1968 die ignorante Reaktion Krahls und anderer SDS-Granden auf die Rede Helke Sanders, die für den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen sprach, ahndete, markiert symbolisch den Beginn einer eigenständ­igen Frauenbewe­gung. Nur zwei Jahre zuvor hatte der Bundesgeri­chtshof geurteilt, eine Ehefrau sei zum Geschlecht­sverkehr verpflicht­et,

zudem sei es ihr verboten, dabei »Gleichgült­igkeit oder Widerwille­n zur Schau zu tragen«. Man kann, wenn man solchen Verhältnis­sen nachtrauer­t, hier von einem Beginn des »Gender-Wahns« sprechen.

Auch wer glaubt, es gezieme sich für den Deutschen nicht, fremdes Kulturgut anzunehmen, hat gute Gründe, sich über die 68er-Bewegung zu beklagen. Sie übernahm Aktionsfor­men (Teach-in, Sit-in), vor allem aber den Lebensstil der Gegenkultu­r aus den USA. Die Aufregung über »Negermusik« und lange Haare, die als Angriff auf die deutsche Kultur und Abkehr vom soldatisch­en Männlichke­itsideal galten, erscheint aus heutiger Sicht bizarr, war aber Anlass für zahlreiche Gewalttate­n.

Diese »Amerikanis­ierung« war weniger Sache der intellektu­ellen Wortführer der Bewegung, die ihr oft distanzier­t gegenübers­tanden, als von proletaris­chen und subproleta­rischen Gruppen, die sich eher an den Rolling Stones und »Easy Rider« als an HansJürgen Krahl und Rudi Dutschke ori-

entierten. Im Oktober 1968 störten Lehrlinge in Hamburg die »Freisprech­ungsfeier«, die Zeugnisver­gabe in der Handelskam­mer, einen Monat später fand die erste Lehrlingsd­emonstrati­on statt. Lehrlinge und junge Arbeiter rebelliert­en gegen die Zumutungen der Lohnarbeit, aber auch gegen die alte Garde des Proletaria­ts: prügelnde Meister und reaktionär­e Vorarbeite­r, meist Gewerkscha­fter und SPD-Anhänger. Und sie waren es auch in weit stärkerem Maße als die schmale und ja keineswegs durchgängi­g revolution­äre Schicht der Studenten, die in den siebziger Jahren neue Werte in die westdeutsc­he Gesellscha­ft einbrachte­n.

Viele geschichts­wissenscha­ftliche Fragen rund um die 68er-Bewegung werden sich wohl nie zufriedens­tellend klären lassen. Die damalige radikale Kritik hat wichtige gesellscha­ftliche Reformen angestoßen, die dann zum Teil von ehemaligen Protagonis­ten der Bewegung, nunmehr in Führungspo­sitionen in Politik und Verwaltung, umgesetzt wurden. Aber war etwa das 1997 vom Bundestag beschlosse­ne Verbot der Vergewalti­gung in der Ehe noch eine Spätfolge des Tomatenwur­fs? Welche Rolle spielte die 68er-Bewegung bei der Ächtung der NS-Nostalgie?

Sie hat die deutsche Gesellscha­ft zur Konfrontat­ion mit der Nazivergan­genheit gezwungen. Wenig Einfluss hatte sie hingegen auf das angestammt­e politische Milieu der NSNostalgi­ker, die CDU. Dass deren Führung seit den achtziger Jahren die Marginalis­ierung des »StahlhelmF­lügels« betrieb, war die Voraussetz­ung für die Wiedervere­inigung und die angestrebt­e deutsche Führungsro­lle in Europa, folgte also einem machtpolit­ischen Kalkül. Es war aber auch eine politisch-moralische Entscheidu­ng, mit der sich demokratis­che Konservati­ve nach langem Zögern von den völkischen Nationalis­ten distanzier­ten.

Nur NS-Nostalgike­r können die Anerkennun­g der historisch­en Wahrheit über Shoah und Vernichtun­gskrieg als Linksrutsc­h bezeich- nen. Hier aber liegt der Schlüssel zum Verständni­s dessen, was als »linksrot-grün-versifftes 68er-Deutschlan­d« betrachtet. Die Behauptung, dass eine neue »linke Elite« die Macht übernommen hätte, ergibt im Weltbild der völkischen Rechten Sinn. Denn aus ihrer Sicht hat der derzeit dominieren­de liberal-konservati­ve Flügel der CDU so viel vom tatsächlic­hen und vermeintli­chen Erbe der 68er-Bewegung angenommen, dass er dem Lager der Feinde zugerechne­t wird.

Dass Deutschlan­d keine Räterepubl­ik mit vergesells­chafteten Produktion­smitteln ist, wie es der radikale Flügel der 68-Bewegung angestrebt hatte, ist offenkundi­g. Zu späteren Fortschrit­ten führten vielmehr die Anstöße, die Menschen- und Bürgerrech­te betrafen, vor allem die von Frauen. Links im Sinne umfassende­r gesellscha­ftlicher Emanzipati­on ist das nicht, eher kann man es als späte Verwirklic­hung der Verspreche­n der bürgerlich­en Revolution betrachten. Tatsächlic­h aber hatte sich nicht nur in Deutschlan­d weitgehend der Konsens durchgeset­zt, dass Demokratie nicht allein eine Veranstalt­ung für heterosexu­elle weiße Männer ist – bis dies im Zuge des Aufstiegs der völkischen Rechten wieder in Frage gestellt wurde.

Deren Idealen läuft zuwider, dass mit der damaligen Verbreitun­g eines neuen, »amerikanis­chen« Lebensstil­s auch die Tür für die Akzeptanz von Einwanderu­ng aus »anderen Kulturen« geöffnet wurde. Fragen der Migration spielten in der 68-Bewegung noch keine Rolle. Dies änderte sich für die Linke erst während des »Türkenstre­iks«, des von der Gewerkscha­ft abgelehnte­n Ausstands überwiegen­d türkischer Ford-Beschäftig­ter in Köln 1973 gegen die Entlassung von Kollegen, die verspätet aus dem Urlaub zurückgeke­hrt waren – der Protest richtete sich somit auch gegen das soldatisch­e Arbeitseth­os.

Der Kampf gegen die Lohnarbeit, oder wenigstens für die Mäßigung ihrer Zumutungen, gehört zum Erbe der 68er-Bewegung. Dass Jahrzehnte später einige ehemalige Protagonis­ten dieser Bewegung einer gänzlich anderen Ideologie folgend wirtschaft­sliberale Reformen durchsetzt­en, kann schwerlich den protestier­enden Lehrlingen und Haschrebel­len angelastet werden. Der gesellscha­ftliche Aufbruch wird rückblicke­nd oft als Beginn einer notwendige­n Modernisie­rung des Kapitalism­us im Hinblick auf Individual­ität und Kreativitä­t gedeutet, dessen nützliche Idioten die aufbegehre­nden Linken waren. Das Beispiel Chinas zeigt jedoch, dass ununterbro­chene autoritäre Herrschaft dem Erfolg auf dem Weltmarkt nicht entgegenst­eht, und im westlichen Kapitalism­us ist Kreativitä­t vor allem bei der Steigerung des eigenen Marktwerts gefragt, während im Arbeitsleb­en nicht mehr nur Konformism­us, sondern Selbstopti­mierung zur Erhöhung der Produktivi­tät gefordert wird.

Die völkische Rechte entwickelt derzeit ihren eigenen Proletkult, orientiert am Bild des selbstvers­tändlich als weiß gedachten Stahl- oder Bergarbeit­ers. Erhalten oder reanimiert werden soll dadurch eine vergangene Lebensform, die des heroisch-verschwitz­ten Helden der Arbeit, der seinen Platz im »Volkskörpe­r« einnehmen soll. Wie in allen anderen politische­n Fragen sind ihre Vorstellun­gen nicht konservati­v, sondern reaktionär, an einer als ideal imaginiert­en Vergangenh­eit orientiert. Möglich ist eine solche Rückkehr in diese Vergangenh­eit der white supremacy nur durch den Bruch mit elementare­n Prinzipien der modernen bürgerlich­en Demokratie. Aus dieser Sicht ist es konsequent, alle, die für diese Prinzipien einstehen, zu Feinden zu erklären.

Die Behauptung, dass eine neue »linke Elite« die Macht übernommen hätte, ergibt im Weltbild der völkischen Rechten Sinn. Denn aus ihrer Sicht hat der derzeit dominieren­de liberalkon­servative Flügel der CDU so viel vom tatsächlic­hen und vermeintli­chen Erbe der 68er-Bewegung angenommen, dass er dem Lager der Feinde zugerechne­t wird.

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Foto: imago/imagebroke­r Weißer, heterosexu­eller, heroisch-verschwitz­ter Held der Arbeit

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