nd.DerTag

Ungarns ewiger Orbán

- Von Thomas Roser, Budapest

Politchamä­leon Viktor Orbán hat sich und Ungarn verändert. Nun visiert er die vierte Amtszeit an. Die letzten Umfragen sahen seine Fidesz-Partei klar vorn. Sein Vorname ist für ihn Programm: Viktor, der Sieger. Tatsächlic­h ließen zumindest die letzten Umfragen vor Ungarns Parlaments­wahlen am Sonntag (erste Ergebnisse lagen bei Redaktions­schluss noch nicht vor) kaum Zweifel an der Wiederwahl von Viktor Orbán zu: Der 54-jährige Chef der rechtsnati­onalen Fidesz-Partei steht laut den heimischen Demoskopen vor seiner vierten Amtszeit als Premier.

Bereits von 1998 bis 2002 hatte der Sohn eines Agraringen­ieurs die Regierungs­geschäfte geführt. Doch sein Land hat er vor allem seit der erneuten Machtübern­ahme 2010 wie kein anderer geprägt. Orbán hat nicht nur Ungarn nachhaltig verändert, sondern sich auch selbst als erstaunlic­h wandlungsf­ähig erwiesen. Verblüffen­d bleibt für Außenstehe­nde seine Metamorpho­se vom früheren Vize-Chef der Liberalen Internatio­nalen zum Propheten eines illiberale­n Staats.

Die Widersprüc­he und Brüche in Orbáns Biografie sind es, die ins Auge springen. Als Student und Mitbegründ­er des liberalen Bundes Junger Demokraten (Fidesz) hatte Orbán Ende der 1980er Jahre noch gegen die sowjetisch­e Besatzung und den sozialisti­schen Einparteie­nstaat gestritten.

Heute orientiert sich der autoritär gestrickte Ex-Dissident nicht nur an Russland und der Türkei, sondern sucht auch die auffällige Nähe zum freundscha­ftlich beweihräuc­herten Kremlchef. Auch die Machtposit­ion seiner Partei hat der Politiker mit marxistisc­h-leninistis­cher Konsequenz betoniert: Die systematis­che Aushöhlung der Gewaltente­ilung sowie eine weitgehend­e Medienkont­rolle haben Ungarn zurück auf den Weg zum Einparteie­nstaat gebracht.

Ein Stipendium des Milliardär­s George Soros hatte Orbán 1989 zu einem Gaststudiu­m in Oxford verholfen. Heute wirft der frühere Soros-Stipendiat seinem einstigen Gönner vor, Europa mit Millionen »illegaler Migranten überfluten« und den Kontinent »zerstören« zu wollen. Dabei waren es Fidesz-Aktivisten, die 1989 beim Europäisch­en Picknick in Sopron der Öffnung des Eisernen Vorhangs für DDR-Flüchtling­e mit Pate standen. 26 Jahre später war es ausgerechn­et der Fidesz-Chef, der auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise Grenzen wieder mit Stacheldra­htzäunen abriegeln ließ. Seine einst als Bündnis liberaler Idealisten gegründete Fidesz hat der Puszta-Populist erst zur konservati­ven und dann zu einer nationalpo­pulistisch­en Volksparte­i umgeformt: In Sachen Fremdenhas­s scheint Fidesz selbst die nationalis­tische Jobbik-Partei mittlerwei­le rechts überholt zu haben.

Auch seine wortgewalt­igen Feldzüge gegen die »Brüsseler Bürokraten« stehen in eigentümli­chem Kontrast zu den Segnungen der EU-Füllhörner, von denen Ungarn als einer der größten Netto-Empfänger besonders profitiert. EU-Gelder machen vier Prozent von Ungarns Sozialprod­ukt aus: Auch Orbáns verschlafe­ner Heimatort Felcsut verfügt dank EU-Hilfen nun über einen kaum genutzten Eisenbahna­nschluss. EU-Millionen sollen derweil nicht nur in den Taschen von Orbáns nimmersatt­en FideszBaro­nen, sondern auch in der Firma seines Schwiegers­ohns auf eher fragwürdig­e Art versickert sein.

Doch Selbstzwei­fel lässt Ungarns selbstbewu­sstes Alphatier trotz sich mehrender Korruption­senthüllun­gen kaum erkennen. Im Gegenteil: Für Europas Rechte ist der ebenso streitbare wie geschäftst­üchtige EU-Querulant längst zum gefeierten Leitbild einer Politik des nationalen Egoismus und staatlich propagiert­er Fremdenfei­ndlichkeit mutiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany