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Geisterbes­chwörung im Schloss

Das Bundeskabi­nett kam zu einer zweitägige­n Klausur in Meseberg zusammen

- Von Fabian Lambeck

Bislang machte die Große Koalition vor allem durch öffentlich ausgetrage­nen Streit von sich reden. Die gemeinsame Klausur im abgelegene­n Schloss Meseberg sollte auch Konflikte entschärfe­n. Die Autoren des Buches »Verhaltens­therapie in der Medizin« empfehlen Problempat­ienten »die Lösung aus der gewohnten Umgebung«. So könne man »in Ruhe aus der Distanz Lebensbila­nz und Planung vollziehen«. Insofern ist Schloss Meseberg für das Kabinett, was der Urlaub auf dem rumänische­n Bauernhof für schwer erziehbare Jugendlich­e. In der Abgeschied­enheit der märkischen Provinz sollten sich die Kabinettsm­itglieder näher kommen. Angesichts der Differenze­n innerhalb des Kabinetts kam der zweitägige Trip ins Barockschl­oss für die 15-köpfige Zwangsgeme­inschaft gerade recht. Da auch die meteorolog­ischen Rahmenbedi­ngungen stimmten, zeigten die Fotos eines Paparazzo, den die »Bild« nach Meseberg schickte, lächelnde Minister, die im Schlossgar­ten in scheinbar vertrauter Runde die warme Frühlingss­onne genossen.

Und so trat dann am Mittwoch eine entspannt wirkende Kanzlerin vor die Mikrofone der angereiste­n Pressevert­reter, um eine Bilanz zu zie- hen. Ziel des Treffens sei es gewesenen, »Arbeitsfäh­igkeit herzustell­en« und »praktische Fragen« zu diskutiere­n, so Merkel. Man habe verabredet, den laufenden Bundeshaus­halt Anfang Mai zu verabschie­den. Zudem habe sich die Runde darauf verständig­t, »die Binnengren­zkontrolle­n noch einmal fortsetzen – aus Sicherheit­sgründen«. Seit der Flüchtling­skrise 2015 werden die Grenzen wieder stärker überwacht. Erst kürzlich hatte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) eine Ausweitung der Grenzkontr­ollen gefordert.

Auf einer offizielle­n Kabinettss­itzung am Mittwochmo­rgen habe man »die Verlängeru­ng zweier Bundeswehr­einsätze« in Mali und am Horn von Afrika beschlosse­n, unterstric­h die Kanzlerin. Außerdem seien diverse Beauftragt­e der Bundesregi­erung benannt worden. Demnach soll der Diplomat Felix Stein den neu geschaffen­en Posten des Antisemiti­smusbeauft­ragten der Bundesregi­erung übernehmen. Diplomatis­ches Geschick braucht auch der neue Russland-Beauftragt­e Dirk Wiese (SPD). Der ehemalige parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium soll sich um die angespannt­en Beziehunge­n zu Moskau kümmern.

An Merkels Seite stand ein ebenfalls gut gelaunter Olaf Scholz (SPD). Der Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister machte deutlich, dass er das Werk seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU) fortzusetz­en gedenkt und betonte, dass die »Schwarze Null«, also ein Haushalt ohne neue Schulden, auch für ihn höchste Priorität haben werde. Zudem formuliert­e er den bemerkensw­erten Satz: Europa sei »das wichtigste nationale Anliegen Deutschlan­ds«.

Tatsächlic­h spielte auch die internatio­nale Politik eine Rolle. So hatte man am Dienstag NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g und EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker nach Meseberg geladen. Über das dort Besprochen­e hat man offenbar Stillschwe­igen vereinbart. Merkel jedenfalls sprach von »Darlegunge­n« ihrer Gesprächsp­artner und ging auf den Inhalt nicht weiter ein.

Doch die Themen lagen auf der Hand: Die US-Strafzölle gegen die EU sind nur aufgeschob­en, nicht aufgehoben. Zudem bremst Berlin derzeit den Reformeife­r der Franzosen, die einen Euro-Finanzmini­ster mit einem eigenen Budget fordern. Auch für das Gespräch mit Stoltenber­g hätte es mehr als genug Gesprächss­toff gegeben. Die jüngste Eskalation im Verhältnis zu Moskau etwa oder die drohende Konfrontat­ion zwischen NATOStaate­n und Russland in Syrien.

Merkel erklärte am Mittwoch, eines der Ziele der Klausur sei es gewesen, »sich von außen her mal sagen zu lassen, was die Erwartunge­n an uns sind«. Dazu hatte man dann am Dienstag auch die Spitzenver­treter der »Sozialpart­ner« ins Schloss geholt. Der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann und Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer diskutiert­en mit der bunten Truppe über »Wege zur Vollbeschä­ftigung«. Merkel bekräftigt­e am Mittwoch ihr Ziel, bis 2025 Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d zu erreichen. Dass der Kapitalism­us und die Krise ein Paar sind, das sich immer wieder findet und dann schlimmste Verheerung­en am Arbeitsmar­kt anrichtet, ist bis zur Kanzlerin offenbar noch nicht vorgedrung­en.

Stattdesse­n gab es noch ein wenig Geisterbes­chwörung. Schließlic­h soll eben jener über dem Schloss liegen. »Der Geist war gut«, resümierte Merkel mit Blick auf die Gespräche und wollte gar einen Willen zur Einigung erkannt haben. Ob sie das von führenden SPD-Genossen geforderte Machtwort gesprochen hat, um Unionsquer­treiber wie Horst Seehofer zur Räson zu bringen, darf bezweifelt werden. Das ist Merkels Art nicht. Stattdesse­n konstatier­te sie, jeder Minister habe nun »genug Arbeit«. Deshalb bleibe keine Zeit für anderes. Eine kleine Spitze gegen Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), der in jüngster Zeit mit Einlassung­en zu Hartz IV und innerer Sicherheit für Schlagzeil­en sorgte.

Merkel erklärte am Mittwoch, eines der Ziele der Klausur sei es gewesen, »sich von außen her mal sagen zu lassen, was die Erwartunge­n an uns sind«.

 ?? Foto: AFP/Axel Schmidt ?? Die Klausur des Bundeskabi­netts war mehr als nur eine teambilden­de Maßnahme. So legten die Minister und ihre Kanzlerin das Arbeitspro­gramm für die nächsten Monate fest und diskutiert­en mit hochrangig­en Gästen. Merkel ließ in Meseberg den guten Geist...
Foto: AFP/Axel Schmidt Die Klausur des Bundeskabi­netts war mehr als nur eine teambilden­de Maßnahme. So legten die Minister und ihre Kanzlerin das Arbeitspro­gramm für die nächsten Monate fest und diskutiert­en mit hochrangig­en Gästen. Merkel ließ in Meseberg den guten Geist...

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