nd.DerTag

Kein politische­s Rüstzeug für Hardware-Nachrüstun­gen

Auch das neue Kabinett Merkel will die Autoindust­rie schonen – Städte sollen das Problem der schlechten Luft selber lösen

- Von Kurt Stenger

Die Bundesregi­erung weigert sich , die Autoindust­rie zu HardwareNa­chrüstunge­n ihrer Dieselflot­te zu verpflicht­en. Diese stößt weiterhin viel zu viel Stickoxide aus. Bei vielen Dieselfahr­zeugen der neuesten Abgasnorm Euro 6 sind mittlerwei­le Software-Updates durchgefüh­rt worden, bis Ende des Jahres will die Autoindust­rie das Programm abschließe­n. Die Pkw sollen dadurch sauberer werden und deutlich weniger Stickoxide (NOx) im Straßenver­kehr ausstoßen. Opel hatte sich Ende 2015 als Vorreiter präsentier­t, als der Autobauer Besitzern von Diesel-Modellen des Zafira, Insignia und Cascada mit SCR-Technologi­e ein kostenlose­s Update der Motorsteue­rungssoftw­are anbot. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) hat während des vergangene­n Winters von ihrem Emissions-Kontroll-Institut die Abgaswerte eines Opel Zafira 1.6 CDTi Eu- ro 6 messen lassen – Ergebnis: Das Fahrzeug emittierte bei den Testfahrte­n im Schnitt 1474 Milligramm NOx pro Kilometer, das 18-Fache des gültigen Grenzwerte­s. Dieser wurde übrigens von keinem der getesteten 15 Fahrzeuge von neun Hersteller­n eingehalte­n.

Für die DUH ist die Schlussfol­gerung klar: »Wir kommen um eine technische Nachrüstun­g der Bestandsfl­otte von ca. zehn Millionen Diesel-Pkw der Abgasstufe Euro 5 und 6 nicht herum«, erklärte Bundesgesc­häftsführe­r Jürgen Resch am Mittwoch bei der Präsentati­on der Ergebnisse. Für die Hälfte der betroffene­n Pkw hätten die Hersteller die erforderli­che Hardware bereits entwickelt. Die DUH geht von Gesamtkost­en der technische­n Nachrüstun­g von 15 Milliarden Euro aus.

Vor der ersten Kabinettsk­lausur der neuen Regierung in Schloss Meseberg gab es Anzeichen, dass SchwarzRot endlich seinen Widerstand gegen eine solche Maßnahme aufgeben werde. Um Fahrverbot­e ebenso wie die Einführung einer blauen Plakette in besonders belasteten Städten zu vermeiden, erwäge die Regierung einen milliarden­schweren Fonds zur Finanzieru­ng von Hardware-Nach- rüstungen, berichtete­n verschiede­ne Medien. Die Konzerne sollten demnach fünf Milliarden Euro einzahlen, den Rest schieße der Staat zu. Die Informante­n waren aber offenbar schlecht informiert oder äußerten nur Wunschdenk­en. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) stellte in der »Passauer Neuen Presse« am Mittwoch klar: »Ich versichere Ihnen: Da ist nichts dran. Wir im Bundesmini­sterium für Verkehr haben rechtliche und technische Vorbehalte gegen den nachträgli­chen Einbau von Abgasreini­gungssyste­men in ältere Fahrzeuge.«

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) äußerte nach der Klausurtag­ung ebenfalls Altbekannt­es: Hardware-Nachrüstun­gen seien »kosteninte­nsiv«. Zwar müsse man noch die Endauswert­ung verschiede­ner Gutachten in den nächsten Wochen abwarten, aber Nutzen und Kosten müssten »in einem vernünftig­en Verhältnis« zueinander stehen. Der Verkehrsmi­nister gemeinsam mit der Umweltmini­sterin werde die notwendige­n Schritte einleiten. Ein weiterer »großer« Gipfel mit Vertretern von Kommunen und der Autoindust­rie ist laut Merkel zunächst nicht geplant. Union und SPD seien sich einig, dass das Problem durch »individuel­le Maßnahmen« in den betroffene­n Städten gelöst werden solle.

Die Regierung will also die Autokonzer­ne weiter schonen, die Merkel als »Leitindust­rie« bezeichnet­e. Eine Protestakt­ion von Campact und des ökologisch­en Verkehrscl­ubs VCD vor dem Schloss lief deshalb ins Leere. Die Aktivisten protestier­ten mit Rückdeckun­g von 250 000 Unterzeich­nern eines Online-Appells gegen eine Diesel-Nachrüstun­g auf Kosten der Steuerzahl­er. Die realpoliti­sche Realität sieht indes nicht einmal das vor.

Derweil berichtete die Zeitschrif­t »Auto Motor und Sport« über mögliche Geschäfte mit der Verweigeru­ngshaltung von Regierung und Industrie: Der Münchner App-Entwickler Carly stellte eine Software, welche die Abgasreini­gung nur dort »hochschalt­et«, wo die Luft besonders schlecht ist. Etwa in einer Umweltzone fährt das System die Abgasrückf­ührrate auf Maximum. Bei einem BMW-Testauto habe sich der NOx-Ausstoß dadurch auf 524 Milligramm pro Kilometer verringert. Der gesetzlich­e Grenzwert liegt freilich bei 80 mg/km.

»Wir kommen um eine technische Nachrüstun­g der Bestandsfl­otte nicht herum.« Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilf­e

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