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Heilung für eine schwärende Wunde

Gustav Horn fordert eine Hartz-IV-Reform, die auf entwürdige­nde Einkommens- und Vermögensk­ontrollen verzichtet

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Hartz IV ist seit über zehn Jahren die schwärende Wunde der deutschen Wirtschaft­spolitik. Wohl keine andere Maßnahme hat Politik und Gesellscha­ft derartig polarisier­t. Es geht um das Arbeitslos­engeld II, das an Langzeitar­beitslose nach einem Jahr Arbeitslos­igkeit gezahlt wird. Hier hatten Reformen im vergangene­n Jahrzehnt einen fundamenta­len Bruch mit der Vergangenh­eit hervorgeru­fen, dessen politische und ökonomisch­e Wirkungen bis heute nachhallen. Der für viele schmerzhaf­te Bruch bestand darin, dass das Arbeitslos­engeld für Langzeitar­beitslose anders als bei der zuvor gültigen Arbeitslos­enhilfe in keiner Weise mehr an das letzte Einkommen gekoppelt war, sondern ein Pauschalbe­trag gezahlt wird, der sich nach einem errechnete­n Mindestbed­arf richtet. Damit wurde die einkommens­mäßige Fallhöhe durch längere Arbeitslos­igkeit deutlich erhöht. Insbesonde­re wurden langjährig­e Einzahler in die Arbeitslos­enversiche­rung jenen gleichgest­ellt, die nie einen Beitrag entrichtet haben. Dies, die scharfen Kontrollen und Sanktionen sowie die häufig als zu gering empfundene Höhe des Betrags haben seit der Beginn zu massiver Kritik mit starker Polarisier­ung zwischen Befürworte­rn und Gegnern dieser Reformen geführt.

Politisch hat vor allem die SPD, deren Kanzler die Reform seinerzeit gegen Widerständ­e in der eigenen Partei durchsetzt­e, unter massiven Wählerverl­usten zu leiden. Ökonomisch ist hochumstri­tten, welche Wirkungen von dieser Reform ausgingen, auch wenn das gegenwärti­g vorherrsch­ende politische Narrativ die aktuell gute Arbeitsmar­ktlage schlicht auf Hartz IV zurückführ­t.

Vor diesem Hintergrun­d ist es insbesonde­re aus Sicht der SPD nachvollzi­ehbar, dass eine Reform der Reform gefordert wird, die zumindest einige der ökonomisch­en und politische­n Mängel zu beseitigen versucht. Die Vorschläge des Berliner Regierende­n Bürgermeis­ters Michael Müller zu einem »solidarisc­hen Grundeinko­mmen« weisen dabei zwar in die richtige Richtung, gehen aber dennoch am Ziel vorbei. Ein Grundprobl­em ist der hohe bürokratis­che Aufwand, der aus den engmaschig­en und teilweise entwürdige­n- den Einkommens- und Vermögensk­ontrollen vielfach nebst anschließe­nden Gerichtsve­rfahren resultiert. Hier könnte eine radikale Vereinfach­ung helfen. Man könnte als Bedingung für einen Anspruch auf Hartz IV einfach festhalten, dass man mindestens zwölf Monate lang arbeitslos sein muss und – wie derzeit auch – zur Vermittlun­g auf dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stehen muss. Dies würde den Kontrollbe­darf und die juristisch­en Konflikte reduzieren. Und es wäre wesentlich effiziente­r, als einen solidarisc­hen Arbeitsmar­kt zu schaffen.

Der Änderungen für die Betroffene­n wären gravierend. So wäre das Einkommen von anderen Haus- haltsmitgl­iedern irrelevant. Auf diese Weise würden auch Menschen in den Genuss von Hartz IV kommen, deren Haushaltse­inkommen derzeit über dem zulässigen Wert läge, aber dies kann als Prämie für jahrelange­s Einzahlen in die Arbeitslos­enversiche­rung gesehen werden. In gleicher Logik würden aufgebaute Vermögen geschont, die in der Regel ohnehin nicht allzu hoch sein dürften. Insgesamt dürfte sich wegen des Wegfalls der kostspieli­gen Kontrollen und Prozesse gleichwohl keine nennenswer­te Erhöhung der Aufwendung­en ergeben.

Mit diesem Vorgehen würde eine Art garantiert­es Grundeinko­mmen bestehen, sofern man jahrelang in die Sozialvers­icherung eingezahlt hat. Dies erhöht den Anreiz tatsächlic­h, in die Versicheru­ng einzuzahle­n und sich nicht um Ausweichmö­glichkeite­n zu bemühen. Schließlic­h riskiert man dann, in die soziale Grundsiche­rung zu fallen, bei der die Kontrollen und Grenzwerte unveränder­t gelten würden und damit eine Obergrenze für das Haushaltei­nkommen besteht, ab der die Grundsiche­rung gekürzt wird.

Im Ergebnis verschlech­tert sich durch diese Reform niemand, wohl aber werden langjährig­e Einzahler in die Sozialvers­icherung besser gestellt. Damit wird ein wesentlich­er Grund für den Streit um Hartz IV ausgeräumt. Es bestünde damit die Chance, die gesellscha­ftlichen Konflikte um eine soziale Grundsiche­rung zu entschärfe­n. Gleichzeit­ig würde auch eine Brücke zu jenen geschlagen, die ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für eine soziale Idee halten. Bedingungs­los wäre das neue Hartz IV zwar nicht, aber fair, weil es geleistete Beiträge in Rechnung stellt. So bestünde die Chance, die schwärende Wunde endlich heilen zu lassen.

 ?? Foto: dpa/Kay Nietfeld ?? Gustav Horn leitet das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der Hans-Böckler-Stiftung.
Foto: dpa/Kay Nietfeld Gustav Horn leitet das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der Hans-Böckler-Stiftung.

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