Bedrohter Betriebsrat
Sarah Jochmann liefert für Deliveroo Essen aus – und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen der Fahrer ein
Heute gibt es Proteste gegen den Lieferdienst Deliveroo.
Heute ist der »Schwarze Freitag« für den Lieferdienst Deliveroo. In mehreren Städten wird mit Aktionen auf die schlechten Arbeitsbedingungen hingewiesen. Aufgerufen hat die »aktion ./. arbeitsunrecht«.
Am Bahnhof Köln-Ehrenfeld hängt ein Plakat, das auf Proteste des Vereins »aktion ./. arbeitsunrecht«, der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der Basisinitiative »Liefern am Limit« an diesem Freitag in Köln und acht weiteren Städten hinweist. »Shame on you – Deliveroo« ist in großen Lettern zu lesen. Immer wenn ein Freitag der 13. bevorsteht, lässt die »aktion ./. arbeitsunrecht« abstimmen, über welchen Arbeitgeber aufgeklärt werden soll. Diesmal wurde der Lieferdienst Deliveroo ausgewählt, weil er erst die Schaffung eines Betriebsrates behindert hat und nach dessen Gründung die Verträge der Betriebsratsmitglieder nicht verlängerte. In wenigen Wochen wird es deswegen wohl keinen Betriebsrat mehr geben.
Als Sarah Jochmann das Plakat für den Aktionstag sieht, freut sie sich. Sie beantwortet derzeit Presseanfragen für »Liefern am Limit«, den Versuch von Kurierfahrern, durch Aufklärung über ihre Arbeitsbedingungen diese zu verbessern. Jochmann arbeitet seit fast einem halben Jahr für Deliveroo in Köln. Bald wird damit wohl Schluss sein, ihr auf sechs Monate befristeter Arbeitsvertrag soll nicht verlängert werden.
Jochmann berichtet, sie sei durch einen Freund, der bei Deliveroo arbeitete, auf den Lieferdienst gebracht worden. Sie sei dann mal mitgefahren. »Der Job an sich macht mir Spaß«, sagt die 34-Jährige. »Draußen sein, Sport machen ist super.« Das Bewerbungsverfahren verlief relativ einfach: online anmelden und einen Bewerbungsbogen ausfüllen. Zurück kam eine Anleitung für die Deliveroo-App und eine Terminauswahl für das »Onboarding«. Dabei wird der Vertrag online unterzeichnet, werden die ersten Arbeitsschichten eingetragen sowie die Arbeitskleidung samt dem notwendigen Rucksack übergeben. Vor Ort hat das ein Fahrer übernommen, der als »Mentor« fungiert. Im Falle von Jochmann war dies Orry Mittenmayer. Als bekannt wurde, dass er sich für die Gründung eines Betriebsrates einsetzt, teilte der Lieferdienst ihm mit, er werde für den Posten als »Mentor« nicht mehr benötigt.
Eine von vielen Schikanen, über die Sarah Jochmann berichtet. Erste Ideen zur Gründung eines Betriebsrates fielen in die Zeit, als sie bei De- liveroo anfing. Die Beschäftigten des Konkurrenzunternehmens Foodora hätten im Sommer 2017 gezeigt, dass es möglich ist, Lieferfahrer zu organisieren, berichtet Jochmann. Damals gab es noch die App »Hipchat«, mit der die Deliveroo-Fahrer in ganz Deutschland kommunizieren konnten. Dort tauschten die Kuriere Schichten, warnten vor Straßensperrungen, aber sie tauschten sich auch über Lohnausfälle und andere Probleme mit ihrem Arbeitgeber aus. Als die Idee aufkam, sich zu organisieren, wurde »Hipchat« abgestellt. In der zentralen Deliveroo-App können die Fahrer nicht mehr sehen, wer zeitgleich für Schichten eingeteilt ist.
Die App ist ein zentrales Element für die Fahrerinnen und Fahrer. Neben der Schichtplanung gibt es dort auch eine wöchentliche Bewertung der Arbeitsleistung. »PerformanceFeedback« heißt das in der Sprache des Unternehmens. Sarah Jochmann und ihre Kollegen werden nach drei Kriterien beurteilt: Die Quote der angenommenen Aufträge pro Schicht soll bei 90 Prozent liegen. Ebenfalls bei 90 Prozent soll die Quote der angenommenen, zugeteilten Schichten liegen. Ein Problem für Menschen wie Sarah Jochmann, die bis vor Kurzem noch einen zweiten Job bei einer Marketingfirma hatte. Das dritte Kriterium ist die Lieferzeit, die vom Restaurant, aus dem das Essen abgeholt wird, bis zum Kunden maximal 20 Minuten betragen soll. Die Wartezeiten auf das Essen in den Restaurants werden dabei nicht abgezogen. Werden Erwartungen nicht erfüllt, dann wird dies mit kurzen Sprüchen kommentiert wie: »Das geht noch besser« oder: »Das ist ungenügend.«
Sarah Jochmann kritisiert, das System halte dazu an, die Anforderungen immer zu erfüllen und »auch mal krank arbeiten zu gehen«. Denn Deliveroo hat das »Performance-Feedback« mit Konsequenzen verknüpft. Wer die Leistung nicht erfüllt, bekommt den Verschleißzuschlag nicht. Dieser beträgt 10 Cent pro Kilometer Luftlinie, obwohl Deliveroo die Strecke genauer berechnen könnte. Jochmann berichtet, sie habe den Zuschlag ohnehin nur einmal bekommen – rund 10 Euro. »Davon kann ich mir nicht einmal ein Fahrradschloss kaufen«, sagt sie und schätzt, dass sie in den vergangenen Monaten über 200 Euro alleine für warme Fahrradkleidung für den Winter ausgegeben habe. Zwar hatte Deliveroo angekündigt, Kleidung zu stellen, bis dahin »dürfe« man aber die eigene Kleidung nutzen. In Köln habe bisher niemand eine Winterjacke von dem Lieferdienst bekommen. Im Dezember habe sie wie andere Fahrer wegen eines Buchhaltungsfehlers keinen Lohn erhalten, sagt Jochmann. Das Geld gab es erst später. Sie habe einen Monat »vom Trinkgeld leben« müssen.
Früher hatte sich Jochmann nicht politisch betätigt. Ihr Vater sei aber in der SPD und bei ver.di gewesen, die Mai-Demonstration kenne sie »seit dem Kinderwagen«. Mit dem Auflehnen gegen die eigenen schlechten Arbeitsbedingungen hat sich Jochmann aber auch politisiert. Die Gesetze, die Deliveroo ausnutze, führten zu Sozialdumping und prekären Lebensverhältnissen, sagt sie. In Zukunft wolle der Lieferdienst fast nur noch mit »Freelancern« zusammenarbeiten – Freiberufler, die haarscharf an der Grenze zur Scheinselbstständigkeit entlangschrammten. 5,50 Euro pro Lieferung sollen sie erhalten. Dennoch: Sarah Jochmann denkt über eine Bewerbung nach.