nd.DerTag

Bedrohter Betriebsra­t

Sarah Jochmann liefert für Deliveroo Essen aus – und setzt sich für bessere Arbeitsbed­ingungen der Fahrer ein

- Von Sebastian Weiermann, Köln

Heute gibt es Proteste gegen den Lieferdien­st Deliveroo.

Heute ist der »Schwarze Freitag« für den Lieferdien­st Deliveroo. In mehreren Städten wird mit Aktionen auf die schlechten Arbeitsbed­ingungen hingewiese­n. Aufgerufen hat die »aktion ./. arbeitsunr­echt«.

Am Bahnhof Köln-Ehrenfeld hängt ein Plakat, das auf Proteste des Vereins »aktion ./. arbeitsunr­echt«, der anarchosyn­dikalistis­chen Freien Arbeiter-Union, der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n und der Basisiniti­ative »Liefern am Limit« an diesem Freitag in Köln und acht weiteren Städten hinweist. »Shame on you – Deliveroo« ist in großen Lettern zu lesen. Immer wenn ein Freitag der 13. bevorsteht, lässt die »aktion ./. arbeitsunr­echt« abstimmen, über welchen Arbeitgebe­r aufgeklärt werden soll. Diesmal wurde der Lieferdien­st Deliveroo ausgewählt, weil er erst die Schaffung eines Betriebsra­tes behindert hat und nach dessen Gründung die Verträge der Betriebsra­tsmitglied­er nicht verlängert­e. In wenigen Wochen wird es deswegen wohl keinen Betriebsra­t mehr geben.

Als Sarah Jochmann das Plakat für den Aktionstag sieht, freut sie sich. Sie beantworte­t derzeit Presseanfr­agen für »Liefern am Limit«, den Versuch von Kurierfahr­ern, durch Aufklärung über ihre Arbeitsbed­ingungen diese zu verbessern. Jochmann arbeitet seit fast einem halben Jahr für Deliveroo in Köln. Bald wird damit wohl Schluss sein, ihr auf sechs Monate befristete­r Arbeitsver­trag soll nicht verlängert werden.

Jochmann berichtet, sie sei durch einen Freund, der bei Deliveroo arbeitete, auf den Lieferdien­st gebracht worden. Sie sei dann mal mitgefahre­n. »Der Job an sich macht mir Spaß«, sagt die 34-Jährige. »Draußen sein, Sport machen ist super.« Das Bewerbungs­verfahren verlief relativ einfach: online anmelden und einen Bewerbungs­bogen ausfüllen. Zurück kam eine Anleitung für die Deliveroo-App und eine Terminausw­ahl für das »Onboarding«. Dabei wird der Vertrag online unterzeich­net, werden die ersten Arbeitssch­ichten eingetrage­n sowie die Arbeitskle­idung samt dem notwendige­n Rucksack übergeben. Vor Ort hat das ein Fahrer übernommen, der als »Mentor« fungiert. Im Falle von Jochmann war dies Orry Mittenmaye­r. Als bekannt wurde, dass er sich für die Gründung eines Betriebsra­tes einsetzt, teilte der Lieferdien­st ihm mit, er werde für den Posten als »Mentor« nicht mehr benötigt.

Eine von vielen Schikanen, über die Sarah Jochmann berichtet. Erste Ideen zur Gründung eines Betriebsra­tes fielen in die Zeit, als sie bei De- liveroo anfing. Die Beschäftig­ten des Konkurrenz­unternehme­ns Foodora hätten im Sommer 2017 gezeigt, dass es möglich ist, Lieferfahr­er zu organisier­en, berichtet Jochmann. Damals gab es noch die App »Hipchat«, mit der die Deliveroo-Fahrer in ganz Deutschlan­d kommunizie­ren konnten. Dort tauschten die Kuriere Schichten, warnten vor Straßenspe­rrungen, aber sie tauschten sich auch über Lohnausfäl­le und andere Probleme mit ihrem Arbeitgebe­r aus. Als die Idee aufkam, sich zu organisier­en, wurde »Hipchat« abgestellt. In der zentralen Deliveroo-App können die Fahrer nicht mehr sehen, wer zeitgleich für Schichten eingeteilt ist.

Die App ist ein zentrales Element für die Fahrerinne­n und Fahrer. Neben der Schichtpla­nung gibt es dort auch eine wöchentlic­he Bewertung der Arbeitslei­stung. »Performanc­eFeedback« heißt das in der Sprache des Unternehme­ns. Sarah Jochmann und ihre Kollegen werden nach drei Kriterien beurteilt: Die Quote der angenommen­en Aufträge pro Schicht soll bei 90 Prozent liegen. Ebenfalls bei 90 Prozent soll die Quote der angenommen­en, zugeteilte­n Schichten liegen. Ein Problem für Menschen wie Sarah Jochmann, die bis vor Kurzem noch einen zweiten Job bei einer Marketingf­irma hatte. Das dritte Kriterium ist die Lieferzeit, die vom Restaurant, aus dem das Essen abgeholt wird, bis zum Kunden maximal 20 Minuten betragen soll. Die Wartezeite­n auf das Essen in den Restaurant­s werden dabei nicht abgezogen. Werden Erwartunge­n nicht erfüllt, dann wird dies mit kurzen Sprüchen kommentier­t wie: »Das geht noch besser« oder: »Das ist ungenügend.«

Sarah Jochmann kritisiert, das System halte dazu an, die Anforderun­gen immer zu erfüllen und »auch mal krank arbeiten zu gehen«. Denn Deliveroo hat das »Performanc­e-Feedback« mit Konsequenz­en verknüpft. Wer die Leistung nicht erfüllt, bekommt den Verschleiß­zuschlag nicht. Dieser beträgt 10 Cent pro Kilometer Luftlinie, obwohl Deliveroo die Strecke genauer berechnen könnte. Jochmann berichtet, sie habe den Zuschlag ohnehin nur einmal bekommen – rund 10 Euro. »Davon kann ich mir nicht einmal ein Fahrradsch­loss kaufen«, sagt sie und schätzt, dass sie in den vergangene­n Monaten über 200 Euro alleine für warme Fahrradkle­idung für den Winter ausgegeben habe. Zwar hatte Deliveroo angekündig­t, Kleidung zu stellen, bis dahin »dürfe« man aber die eigene Kleidung nutzen. In Köln habe bisher niemand eine Winterjack­e von dem Lieferdien­st bekommen. Im Dezember habe sie wie andere Fahrer wegen eines Buchhaltun­gsfehlers keinen Lohn erhalten, sagt Jochmann. Das Geld gab es erst später. Sie habe einen Monat »vom Trinkgeld leben« müssen.

Früher hatte sich Jochmann nicht politisch betätigt. Ihr Vater sei aber in der SPD und bei ver.di gewesen, die Mai-Demonstrat­ion kenne sie »seit dem Kinderwage­n«. Mit dem Auflehnen gegen die eigenen schlechten Arbeitsbed­ingungen hat sich Jochmann aber auch politisier­t. Die Gesetze, die Deliveroo ausnutze, führten zu Sozialdump­ing und prekären Lebensverh­ältnissen, sagt sie. In Zukunft wolle der Lieferdien­st fast nur noch mit »Freelancer­n« zusammenar­beiten – Freiberufl­er, die haarscharf an der Grenze zur Scheinselb­stständigk­eit entlangsch­rammten. 5,50 Euro pro Lieferung sollen sie erhalten. Dennoch: Sarah Jochmann denkt über eine Bewerbung nach.

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Foto: Sebastian Weiermann
 ?? Foto: Sebastian Weiermann ?? Sarah Jochmann von der Kurierfahr­er-Initiative »Liefern am Limit«
Foto: Sebastian Weiermann Sarah Jochmann von der Kurierfahr­er-Initiative »Liefern am Limit«

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