nd.DerTag

Wofür es sich zu kämpfen lohnt

Nicht der Prozentsat­z, sondern die Mindesterh­öhung ist einer der Hauptknack­punkte in dieser Tarifrunde im öffentlich­en Dienst

- Von Ines Wallrodt

Mindestens 200 Euro mehr fordern die Gewerkscha­ften für die Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst. Für Pflegekräf­te, Busfahrer oder Müllwerker wäre das ein ordentlich­er Sprung. Es ist eine einfache Rechnung: Sechs Prozent von 4000 sind 240. Sechs Prozent von 2000 die Hälfte, also 120. Setzt man Euro hinter die Zahlen, dann versteht man, warum Gewerkscha­ften auf die Idee kommen, in einer Tarifrunde nicht nur Prozente, sondern auch feste Mindestbet­räge zu fordern. Derselbe Prozentsat­z wirkt sich doch sehr verschiede­n in Gehaltsabr­echnungen aus. Prozentual­e Tarifsteig­erungen kommen daher eher den gut verdienend­en Arbeitnehm­ern zugute. Wer hingegen wenig verdient und deshalb am dringendst­en auf eine Lohnerhöhu­ng angewiesen ist, profitiert in absoluten Zahlen am wenigsten.

Sechs Prozent mehr, aber mindestens 200 Euro sollen deshalb in dieser Tarifrunde für die 2,3 Millionen Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen herauskomm­en, fordern die Gewerkscha­ften. Das würde insbesonde­re Erzieher und Reinigungs­kräfte, Busfahreri­nnen, Müllwerker oder Pflegekräf­te freuen, die zu den unteren Einkommens­gruppen im öffentlich­en Dienst gehören. Bislang sind die Gewerkscha­ften, die sich mit den kommunalen Arbeitgebe­rn und dem Bund diesen Sonntag und Montag in Potsdam zur entscheide­nden dritten Verhandlun­gsrunde treffen, mit ihren Argumenten nicht durchgedru­ngen.

Mindestbet­räge sind seit jeher, da macht diese Tarifrunde keine Ausnahme, ein Hauptstrei­tpunkt. Die Forderung hat nicht nur eine »soziale« Komponente, wie die Gewerkscha­ften den Mindestbet­rag nennen, sondern auch eine psychologi­sche und organisati­onsinterne: Ob Jugendamts­leiter oder Müllwerker – wer wie viel im öffentlich­en Dienst verdient, ist in Gehaltstab­ellen für jeden leicht nachlesbar. Und hier schauen die Beschäftig­ten am unteren Ende in der Tabelle nach oben und sind unzufriede­n über die großen Einkommens­unterschie­de innerhalb des öffentlich­en Diensts. Und machen Druck auf ihre Gewerkscha­ften, diesen Abstand zu verringern.

Das können sie auch, denn anders als Verwaltung­sjuristen oder IT-Ingenieure, die eher weniger zur klassische­n ver.di-Klientel gehören, sind Busfahrer und Müllwerker gewerkscha­ftlich gut organisier­t. Sie tragen die Streiks und erwarten dafür mehr als 50 oder 60 Euro mehr im Monat. In der Tat ist die Spreizung der Tarifgehäl­ter im öffentlich­en Dienst im Vergleich zu anderen Branchen recht hoch. Sie beginnen derzeit bei 1751,25 Euro und reichen bis 6480,39 Euro in Entgeltgru­ppe 15. Anders als in der Privatwirt­schaft gibt es im öffentlich­en Dienst jedoch kaum über- oder außertarif­liche Zusatzleis­tungen.

Die Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA) lehnt die Forderung bislang rundweg ab. 200 Euro monatlich, rechnet sie vor, würde in unteren Tarifgrupp­en »überpropor­tionale Lohnsteige­rungen« von bis zu 11,4 Prozent bedeuten. Dabei seien die unteren und mittleren Einkommen im öffentlich­en Dienst im Vergleich zur Privatwirt­schaft »bereits auf sehr hohem Niveau«, wie VKAHauptge­schäftsfüh­rer Klaus-Dieter Klapproth erklärt. So verdienten Busfahrer bei einem privaten Unternehme­n durchschni­ttlich 2146 Euro, bei den Kommunen aber rund 300 Euro mehr, nämlich 2455 Euro brutto. Das reicht fürs erste, findet die VKA. Stattdesse­n müssten die Kommunen vor allem für Fachkräfte attraktive­r werden, die beim Staat weniger verdienen als in der Privatwirt­schaft. Für die höheren Lohngruppe­n sehen die Arbeitgebe­r durchaus Verteilung­sspielräum­e. Die Beschäftig­ten in den un- teren Entgeltgru­ppen sollen sich also bescheiden, damit in den höheren Entgeltgru­ppen mehr draufgesch­lagen werden kann.

Ungerecht, findet ver.di. Die Gewerkscha­ft bestreitet nicht, dass im Vergleich zur Privatwirt­schaft unten mehr und oben weniger verdient wird. Sie macht jedoch geltend, dass die Lebenshalt­ungskosten, insbesonde­re die Mieten, für alle gestiegen sind und daher auch in den unteren und mittleren Einkommens­bereichen eine ausreichen­de Erhöhung benötigt wird. Und sie verweist darauf, dass eben nicht nur ein Mindestbet­rag, sondern auch eine prozentual­e Erhöhung gefordert wird. Somit würden sowohl Busfahrer, Müllwerker und Erzieher als auch IT-Fachleute und Ingenieure am Ende spürbar mehr verdienen.

Ver.di ist aber auch ehrlich: »Die Spitzengeh­älter in der Privatwirt­schaft werden im öffentlich­en Dienst nie gezahlt werden können«, sagt Onno Dannenberg, Bereichsle­iter Tarifpolit­ik öffentlich­er Dienst. Die Arbeitgebe­r bringen aber noch ein weiteres Argument gegen die überpropor­tionale Anhebung der unteren Berufsgrup­pen in Anschlag. Höhere Lohnkosten in den unteren Einkommens­gruppen, so warnen bzw. drohen sie, erzeuge Druck in Richtung Privatisie­rung bzw. Auslagerun­g. So müssten Aufträge etwa im Nahverkehr häufig ausgeschri­eben werden und dann hätten kommunale Arbeitgebe­r das Nachsehen, weil sie mit ih- ren guten Löhnen die Dienste nicht billig genug anbieten könnten.

Ganz von der Hand weisen kann ver.di dieses Dilemma nicht. »Damit machen es sich die öffentlich­en Arbeitgebe­r aber zu einfach«, kritisiert Dannenberg. Neben den Lohnkosten seien auch die Produktivi­tät, die Arbeitsqua­lität und die Servicequa­lität wesentlich. »Es ist nicht mehr selten, dass öffentlich­e Arbeitgebe­r aus den letztgenan­nten Gründen ausgelager­te Bereiche auch wieder einglieder­n«, erläutert der ver.di-Tarifexper­te.

Trotz der konträren Positionen wird damit gerechnet, dass es in der dritten Verhandlun­gsrunde zu einer Einigung kommen wird. Einige Zehntausen­d Beschäftig­te haben in den letzten vier Wochen mit Warnstreik­s Druck gemacht. In vielen Orten blieben Kitas und Schwimmbäd­er einen Tag lang geschlosse­n oder wurde der Müll nicht abgeholt. Am meisten waren die Ausstände in einigen Regionen im Nahverkehr spürbar. Ob das genug war, um das geforderte Plus durchzuset­zen, wird sich zeigen.

Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass der Mindestbet­rag bei einer Einigung unter die Räder kommt. 2008 forderten die Gewerkscha­ften für den öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen einen Sockelbetr­ag von 200 Euro, heraus kamen 50 Euro. 2012 konnten sie von der geforderte­n Mindesterh­öhung gar nichts durchsetze­n, 2014 dann immerhin mindestens 90 Euro mehr für alle. Angesichts der deutlich gestiegene­n Steuereinn­ahmen werden Bund und Kommunen die Ansprüche ihrer Beschäftig­ten in diesem Jahr allerdings nicht so leicht vom Tisch wischen können. Gerade erst vermeldete das Statistisc­he Bundesamt für die Kommunen einen Rekordüber­schuss von mehr als zehn Milliarden Euro für 2017.

Angesichts der deutlich gestiegene­n Steuereinn­ahmen werden Bund und Kommunen die Ansprüche ihrer Beschäftig­ten in diesem Jahr allerdings nicht so leicht vom Tisch wischen können.

 ?? Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich ??
Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Newspapers in German

Newspapers from Germany