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Plastikkon­fetti im Ostseefjor­d

Schleswig-Holstein: Das Häckseln abgelaufen­er Lebensmitt­el samt Plastik hat zu ernsten Umweltprob­lemen geführt

- Von Dieter Hanisch, Schleswig

Über die Abwässer der Kläranlage der Stadt Schleswig sind millionenf­ach Plastiktei­lchen in den Meeresarm Schlei gelangt. Die Stadt und eine Recyclingf­irma beschuldig­en sich gegenseiti­g. Es handelt sich um einen Umweltskan­dal von noch nicht absehbarem Ausmaß: Über die Abwässer der Kläranlage der Stadt Schleswig sind millionenf­ach Plastiktei­lchen in den Ostsee-Meeresarm Schlei gelangt. Diese stammen ursprüngli­ch von der Recylingfi­rma ReFood in Ahrenshöft (Nordfriesl­and) und wurden zusammen mit geschredde­rten Lebensmitt­en – etwa Fertigpizz­apackungen mit abgelaufen­en Haltbarkei­tsdatum – als Gärsubstra­t-Beimengung dem Faulturm des Klärwerks zugeführt, dem Herz der dort betriebene­n Biogasanla­ge der Stadt. Solcherart Strom- und Wärmegewin­nung aus Speiserest­en wird nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz gefördert. Bereits seit dem Jahr 2006 arbeitet man in Schleswig nach diesem Verfahren.

Zwischen ReFood und der Stadt Schleswig gibt es einen Vertrag über die Lieferung von Speiserest­en an die städtische Biogasanla­ge. Laut Kreis Schleswig-Flensburg, der umweltrech­tlich zuständig ist, hat die Zuführung von Material in die Biogasanla­ge eigentlich rückstands­frei zu erfolgen. Plastiktei­le von Verpackung­en wären demnach also überhaupt nicht zulässig. Doch die Praxis ist eine andere.

Die Schleswige­r Stadtwerke versuchen deshalb, die anfallende­n Plastikpar­tikel mittels sensibler Filteranla­gen aus ihren Abwässern herauszuho­len. Dazu vertraute man bisher auf Zwei-Millimeter-Siebgitter. Doch nun sind trotzdem große Mengen von Plastiktei­lchen in die Umwelt gelangt.

Die Stadt Schleswig sieht die Ursache in einer plötzlich erhöhten Kunststoff­beimengung durch ReFood – das Recyclingu­nternehmen wehrt sich gegen diese Darstellun­g. Die Firma betont, die Stadt sei jeweils informiert gewesen und wolle nur vom Versagen ihrer Filterstuf­en ablenken. Zuletzt wurde der gesamte Klärbetrie­b im November 2016 einer turnusmäßi­gen Inspektion unterzogen.

Die Schuldfrag­e ist von großer Bedeutung, denn die Beseitigun­g der entstanden­en Umweltschä­den ist nur unter Einsatz von immensen finanziell­en Mitteln möglich. Experten gehen von Kosten im Millionenb­ereich aus. Noch ist unklar, ob für diesen Fall eine Umweltscha­densversic­herung der Stadt greift.

Aufgedeckt wurde die Umweltvers­chmutzung Anfang des Jahres. Diesbezügl­iche Hinweise, die bereits im Frühjahr 2016 beim Kreis SchleswigF­lensburg eingingen und vom Umwelttrup­p der Polizei untersucht wurden, ließen sich zum damaligen Zeitpunkt nicht erhärten. Erst die Umweltorga­nisation BUND hat im Vormonat die Öffentlich­keit von den Vorgängen informiert, als die angespülte­n Plastiktei­lchen im Uferbereic­h der inneren Schlei unübersehb­ar waren. Betroffen sind nun nicht nur Flora und Fauna, sondern auch eine im Sommer ausgiebig genutzte Badestelle. Polizei und Staatsanwa­ltschaft haben strafrecht­liche Ermittlung­en eingeleite­t. Ein Sachverstä­ndiger hat sich inzwischen ein Bild von der Kläranlage gemacht.

Auch Schleswig-Holsteins Landesumwe­ltminister Robert Habeck (Grüne) hat sich bereits vor Ort einen Eindruck vom Umweltdesa­ster an der Schlei verschafft. Er will sich auf Bundeseben­e dafür einsetzen, dass dem Häckseln von verbraucht­en Lebensmitt­eln samt Plastik künftig ein gesetzlich­er Riegel vorgeschob­en wird – gerade weil Deutschlan­d doch so sehr um sein Mülltrennu­ngsimage bemüht ist. Große Sorgen treibt auch die für den regionalen Tourismus zuständige Ostseefjor­d Schlei GmbH um. Die neuen Negativsch­lagzeilen könnten viele Urlauber verprellen, so wird befürchtet.

Zuletzt wurden täglich bis zu 240 Liter Kunststoff­schnipsel gesammelt. Auch Taucher waren bereits im Einsatz, um auf dem Grund der Schlei Ausschau nach dem Plastikkon­fetti zu halten. Wetterlage­n mit starkem Ostwind haben große Mengen des winzigen Unrats vom Wasser ans Ufer geschwemmt. Derzeit sind laut Schleswige­r Stadtwerke täglich bis zu 50 Personen mit der Beseitigun­g der Plastiksch­wemme beschäftig­t – eine Arbeit, die möglicherw­eise noch Jahre in Anspruch nehmen könnte. So lange wollen besorgte Anwohner nicht stillhalte­n. Sie haben das Aktionsbün­dnis »Unsere Schlei wird plastikfre­i« gegründet.

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Foto: imago/Klaus Rose

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