Plastikkonfetti im Ostseefjord
Schleswig-Holstein: Das Häckseln abgelaufener Lebensmittel samt Plastik hat zu ernsten Umweltproblemen geführt
Über die Abwässer der Kläranlage der Stadt Schleswig sind millionenfach Plastikteilchen in den Meeresarm Schlei gelangt. Die Stadt und eine Recyclingfirma beschuldigen sich gegenseitig. Es handelt sich um einen Umweltskandal von noch nicht absehbarem Ausmaß: Über die Abwässer der Kläranlage der Stadt Schleswig sind millionenfach Plastikteilchen in den Ostsee-Meeresarm Schlei gelangt. Diese stammen ursprünglich von der Recylingfirma ReFood in Ahrenshöft (Nordfriesland) und wurden zusammen mit geschredderten Lebensmitten – etwa Fertigpizzapackungen mit abgelaufenen Haltbarkeitsdatum – als Gärsubstrat-Beimengung dem Faulturm des Klärwerks zugeführt, dem Herz der dort betriebenen Biogasanlage der Stadt. Solcherart Strom- und Wärmegewinnung aus Speiseresten wird nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. Bereits seit dem Jahr 2006 arbeitet man in Schleswig nach diesem Verfahren.
Zwischen ReFood und der Stadt Schleswig gibt es einen Vertrag über die Lieferung von Speiseresten an die städtische Biogasanlage. Laut Kreis Schleswig-Flensburg, der umweltrechtlich zuständig ist, hat die Zuführung von Material in die Biogasanlage eigentlich rückstandsfrei zu erfolgen. Plastikteile von Verpackungen wären demnach also überhaupt nicht zulässig. Doch die Praxis ist eine andere.
Die Schleswiger Stadtwerke versuchen deshalb, die anfallenden Plastikpartikel mittels sensibler Filteranlagen aus ihren Abwässern herauszuholen. Dazu vertraute man bisher auf Zwei-Millimeter-Siebgitter. Doch nun sind trotzdem große Mengen von Plastikteilchen in die Umwelt gelangt.
Die Stadt Schleswig sieht die Ursache in einer plötzlich erhöhten Kunststoffbeimengung durch ReFood – das Recyclingunternehmen wehrt sich gegen diese Darstellung. Die Firma betont, die Stadt sei jeweils informiert gewesen und wolle nur vom Versagen ihrer Filterstufen ablenken. Zuletzt wurde der gesamte Klärbetrieb im November 2016 einer turnusmäßigen Inspektion unterzogen.
Die Schuldfrage ist von großer Bedeutung, denn die Beseitigung der entstandenen Umweltschäden ist nur unter Einsatz von immensen finanziellen Mitteln möglich. Experten gehen von Kosten im Millionenbereich aus. Noch ist unklar, ob für diesen Fall eine Umweltschadensversicherung der Stadt greift.
Aufgedeckt wurde die Umweltverschmutzung Anfang des Jahres. Diesbezügliche Hinweise, die bereits im Frühjahr 2016 beim Kreis SchleswigFlensburg eingingen und vom Umwelttrupp der Polizei untersucht wurden, ließen sich zum damaligen Zeitpunkt nicht erhärten. Erst die Umweltorganisation BUND hat im Vormonat die Öffentlichkeit von den Vorgängen informiert, als die angespülten Plastikteilchen im Uferbereich der inneren Schlei unübersehbar waren. Betroffen sind nun nicht nur Flora und Fauna, sondern auch eine im Sommer ausgiebig genutzte Badestelle. Polizei und Staatsanwaltschaft haben strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Ein Sachverständiger hat sich inzwischen ein Bild von der Kläranlage gemacht.
Auch Schleswig-Holsteins Landesumweltminister Robert Habeck (Grüne) hat sich bereits vor Ort einen Eindruck vom Umweltdesaster an der Schlei verschafft. Er will sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass dem Häckseln von verbrauchten Lebensmitteln samt Plastik künftig ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben wird – gerade weil Deutschland doch so sehr um sein Mülltrennungsimage bemüht ist. Große Sorgen treibt auch die für den regionalen Tourismus zuständige Ostseefjord Schlei GmbH um. Die neuen Negativschlagzeilen könnten viele Urlauber verprellen, so wird befürchtet.
Zuletzt wurden täglich bis zu 240 Liter Kunststoffschnipsel gesammelt. Auch Taucher waren bereits im Einsatz, um auf dem Grund der Schlei Ausschau nach dem Plastikkonfetti zu halten. Wetterlagen mit starkem Ostwind haben große Mengen des winzigen Unrats vom Wasser ans Ufer geschwemmt. Derzeit sind laut Schleswiger Stadtwerke täglich bis zu 50 Personen mit der Beseitigung der Plastikschwemme beschäftigt – eine Arbeit, die möglicherweise noch Jahre in Anspruch nehmen könnte. So lange wollen besorgte Anwohner nicht stillhalten. Sie haben das Aktionsbündnis »Unsere Schlei wird plastikfrei« gegründet.