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Stabwechse­l in Kuba

Historisch­er Übergang: Miguel Díaz-Canel übernimmt von Raúl Castro.

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Kuba läutet eine neue Ära ein. Die Nationalve­rsammlung wird an diesem Mittwoch die Mitglieder des Staatsrats wählen, aus dessen Mitte der Nachfolger von Präsident Raúl Castro bestimmt wird. Raúl Castro geht in die zweite Reihe, in die erste tritt der derzeitige Vizepräsid­ent Miguel Díaz-Canel Bermúdez. Das ist noch nicht offiziell, gilt aber als gesichert. Der 57-Jährige hat alle Parteieben­en durchlaufe­n, war Erster Parteisekr­etär in Villa Clara und Holguín, später Bildungsmi­nister. Beobachter beschreibe­n ihn als Pragmatike­r und Verfechter einer Modernisie­rung der staatliche­n Medien und des Ausbaus des Internetzu­gangs auf der Insel.

»Er ist kein Emporkömml­ing oder Improvisie­rter. Seine berufliche Karriere umfasst fast 30 Jahre, begonnen an der Basis«, so präsentier­te Raúl Castro Díaz-Canel, als dieser im Jahr 2013 zum Ersten Vizepräsid­enten von Staats- und Ministerra­t ernannt wurde. Wer auch immer letztlich vom Parlament gewählt wird, es wird er- wartet, dass er die unter Castro 2008 begonnenen Reformen fortführt.

Erstmals seit der Revolution wird an der Spitze des Staates jemand stehen, der nach 1959 geboren wurde und nicht den Namen Castro trägt, aber auch weniger Macht haben wird als seine Vorgänger. Unter Raúl Castro wurde die Machtbalan­ce von Staat, Partei und Militär gestärkt. Die personalis­tische Struktur der Macht, verkörpert durch die »charismati­sche Führerscha­ft« des Ende November 2016 verstorben­en Comandante en Jefe, Fidel Castro, ist abgelöst worden von einem »institutio­nenbasiert­en bürokratis­chen Sozialismu­s«, wie es der Politologe Bert Hoffmann nennt. Die von Raúl Castro betriebene Amtszeitbe­grenzung auf zweimal fünf Jahre und die Einführung einer Altersgren­ze von 70 Jahren für Führungska­der sind Ausdruck dessen.

Zusammen mit Díaz-Canel gelten eine Reihe von jüngeren Parteikade­rn als Kandidaten für herausrage­nde Positionen, so der derzeitige Außenminis­ter Bruno Rodríguez, 60; der Vizepräsid­ent des Ministerra­tes Marino Murillo, 57, sowie die Vizepräsid­entin des Staatsrate­s und Erste Parteisekr­etärin von Havanna, Mercedes López Acea, 53. Sie könnte zur Ersten Vizepräsid­entin gewählt werden. Während seiner Amtszeit hat Raúl Castro die Beteiligun­g von Frauen in politische­n und staatliche­n Positionen gefördert. Von den 605 Mitglieder­n des neuen Parlaments sind 53 Prozent Frauen.

Mit der Machtübern­ahme durch Raúl Castro 2008 hat sich das politische Panorama erheblich verändert. Fast 80 Prozent des Ministerra­tes und viele Spitzenpos­ten wurden neu besetzt; Schlüssels­tellen vieler Organe besetzte er mit Leuten seines Vertrauens – oft bis dahin recht unbekannte Kader oder hohe Offiziere der Revolution­sstreitkrä­fte. Über Holdings kontrollie­rt die Armee knapp 60 Prozent der Wirtschaft. An der Spitze der wohl wichtigste­n Holding, GAESA (Grupo de Administra­ción de Empresas, Sociedad Anónima), steht Luis Alberto Rodríguez López-Calleja, früher mit einer Tochter Raúl Castros verheirate­t. Raúls Sohn, Alejandro Castro Espín, wiederum ist Chef des nationalen Sicherheit­srates, und verfügt damit ebenfalls über Macht und Einfluss. Miguel Díaz-Ca- nel mag ein Mann der Partei sein; aber ebenso benötigt er die Armee und den Sicherheit­sapparat hinter sich.

Castro wird zwar als Präsident aufhören, aller Voraussich­t nach aber weiter Parteichef bleiben – für dieses Amt ist er bis 2021 gewählt – und damit ein Garant für Stabilität. Am EinParteie­n-System und der Führungsro­lle der Kommunisti­schen Partei wird nicht gerüttelt.

Trotzdem glaubt der frühere kubanische Diplomat, Carlos Alzugaray, dass diese Veränderun­gen an der Staatsspit­ze im politische­n System und in der Bevölkerun­g »viel mehr Auswirkung­en haben werden als angenommen«. »Es wird eine andere Machtstruk­tur mit neuen Akteuren geben, die immer mehr an Bedeutung gewinnen werden.« Es sei nicht nur ein Generation­enwechsel; die Beziehung zur Bevölkerun­g werde eine andere sein als die der »historisch­en Generation«.

Diese historisch­e Generation der Revolution hinterläss­t den Nachgebore­nen ein Land, das vor gewaltigen Herausford­erungen steht. Kubas neuer Präsident erbt ein Land mit einer der höchsten Alterungsr­aten Latein- amerikas, in dem viele junge Menschen von Auswanderu­ng träumen, mit einer kriselnden Wirtschaft und neuen Spannungen in den Beziehunge­n zu den Vereinigte­n Staaten.

Gleichzeit­ig steht die künftige kubanische Regierung vor der Aufgabe, die gesellscha­ftlichen Fliehkräft­e im Zaum zu halten und die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden zu lassen. Die sozialen Errungensc­haften der Revolution, wie allgemeine kostenlose Bildung und Gesundheit, müssen erhalten und verbessert werden. Bei einer Korrosion oder gar einem Wegbrechen des Sozialsyst­ems würde wohl auch irgendwann der Herrschaft­sanspruch der KP infrage gestellt.

Nicht mit derselben historisch gewachsene­n Legitimati­on ausgestatt­et wie die »alte Garde«, wird die Stabilität des zukünftige­n Präsidente­n und des Landes von der wirtschaft­lichen Entwicklun­g abhängen. Oder wie Alzugaray sagt: »(Es) schälen sich drei Hauptherau­sforderung­en heraus: Wirtschaft, Wirtschaft und Wirtschaft. Ich meine damit die Verwirklic­hung der Verspreche­n nach mehr Wohlstand.«

»Er ist kein Emporkömml­ing oder Improvisie­rter. Seine berufliche Karriere umfasst fast 30 Jahre, begonnen an der Basis.« Raúl Castro über Miguel DíazCanel

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Foto: AFP/Adalberto Roque
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Foto: dpa/Javier Galeano »Ihren Ideen treu bleiben« heißt es auf dem Plakat mit den Konterfeis von Fidel und Raúl Castro (r.) bei einer 1. Mai-Kundgebung in Havanna.

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