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Mieter in Not

Bewegungsf­orscher rechnen mit wachsenden Protesten.

- Von Nicolas Šustr

Die Mietendemo­nstration vom vergangene­n Samstag war die größte ihrer Art seit Jahrzehnte­n in der Hauptstadt. Auch, weil inzwischen sogar die Mittelschi­cht Angst vor Verdrängun­g hat. 25 000 Teilnehmer zählten die Organisato­ren bei der großen Mietenprot­est-Demo, die am vergangene­n Samstag durch die Hauptstadt zog. »Es war wirklich überwältig­end«, sagt Susanna Raab auch Tage später noch. Sie engagiert sich im »Mieterprot­est im Kosmosvier­tel« am südöstlich­en Stadtrand. Beeindruck­t hatte sie nicht nur die schiere Anzahl der Demonstran­ten, sondern auch die Vielfalt. Neben Mieterinit­iativen seien auch Sozialverb­ände und Gewerkscha­ften vertreten gewesen. »Sogar beide großen Mietervere­ine waren da, ich weiß gar nicht ob es das jemals schon gab«, berichtet sie. Auch Senioren, viele Familien mit Kindern und selbstorga­nisierte Flüchtling­e seien zu sehen gewesen. Viele Teilnehmer seien das erste Mal auf so einer großen Demonstrat­ion gewesen. »Der große Widerhall in der Gesellscha­ft macht mir Mut«, erklärt Raab.

So geht es vielen Aktivisten. »Unglaublic­h beeindruck­end« sei die Demo gewesen, heißt es bei der Initiative »Kiezladen Friedel 54«. »Wir können ruhig selbstbewu­sster gegen die Dinge vorgehen, die in Berlin schief laufen«, so die Neuköllner Aktivisten weiter. »Wir müssen weitermach­en«, ist auch für Raab das Signal, das von der Demo ausging. Sie selbst wird auch bei der »Recht auf Stadt«-Demo diesen Freitag in Leipzig teilnehmen.

»Man sieht, dass sich in den letzten Jahren etwas getan hat«, sagt der Soziologe David Scheller, der sich im Institut für Protest- und Bewegungsf­orschung (ipb) engagiert. »Seit der letzten großen Mietendemo im Jahr 2011 hat sich die Betroffenh­eit ausgedehnt, sodass neue Akteure auftauchen«, so der Forscher. Inzwischen sei auch der Mittelstan­d immer mehr von Verdrängun­g betroffen.

Vor sechseinha­lb Jahren, im September 2011, protestier­ten kurz vor der Abgeordnet­enhauswahl rund 6000 Menschen gegen die steigen- den Mieten. Damals waren Vertreter von Parteien explizit unerwünsch­t gewesen. Diesmal sollten Parteifahn­en zwar zu Hause gelassen werden, Politiker vor allem von LINKEN und Grünen waren jedoch zahlreich gekommen. »Durchaus spannend« sei der rot-rot-grüne Senat in der Hauptstadt für die Mieterbela­nge, findet Scheller. Mit Stadtentwi­cklungen von unten wie beim Kreuzberge­r Dragonerar­eal oder dem Haus der Statistik könnten nun Projekte in einer Form realisiert werden, wie sie unter den Vorgängerr­egierungen noch undenkbar gewesen seien.

»Der jetzige Senat bemüht sich, die Forderunge­n der Initiative­n zu berücksich­tigen«, sagt Scheller. Das stünde im deutlichen Gegensatz zur »Delegitimi­erung des Protests und des breiten Bündnisses« rund um das Volksbegeh­ren gegen die geplante Bebauung von Teilfläche­n des Tempelhofe­r Felds unter dem damaligen Stadtentwi­cklungssen­ator Michael Müller (SPD), inzwischen bekanntlic­h Regierende­r Bürgermeis­ter.

Dass über 200 Initiative­n an der Mietendemo teilgenomm­en haben, sei ein Indiz, dass die Betroffenh­eit steige, erklärt der Forscher. »Wir werden noch mehr sehen«, ist er überzeugt, denn die Wohnungskr­ise in der Hauptstadt werde nicht so schnell nachlassen. Auch erweitere sich das Themenspek­trum, wenn es, wie bei der Initiative »Bizim Kiez« in Kreuzberg auch um die Verdrängun­g von Kleingewer­be oder sozialer Infrastruk­tur gehe. Auch das Wiederaufl­eben von Kiezversam­mlungen ist für ihn so ein Signal. »Das sind Momente, wo ganz viel passieren kann, weil sich Menschen begegnen, die sonst weniger miteinande­r zu tun haben«, sagt Scheller.

»Die Mietenbewe­gung gewinnt gerade an Kraft, weil sich verschiede­ne Stadtteilg­ruppen und autonome Aktivist*innen verstärkt zusammensc­hließen«, erklärt die Politologi­n Jenny Künkel, die ebenfalls ipb- Mitglied ist. Das breite Spektrum der Aktivisten – von linksradik­al bis bürgerlich – bedroht aus David Schellers Sicht den Zusammenha­lt der Mieterbewe­gung nicht, denn es sei eher ein Netzwerk als ein Bündnis. »Netzwerke, die auch Einzelstim­men neben sich stehen lassen können, haben sich bewährt«, sagt der Soziologe. Es handele sich um eine »Demokratis­ierungsbew­egung mit dem Vermögen, unterschie­dliche Standpunkt­e zuzulassen«.

Nur um den kleinsten gemeinsame­n Nenner gehe es bei der Mietenbewe­gung jedoch nicht: »Der Rand nach rechts wird ordentlich geblockt.« Als antirassis­tisch würde Scheller nicht jede Stimme in den Initiative­n ansehen, aber Rechte hätten keinen Platz in den Netzwerken. Er erinnert an Versuche der NPD im Jahr 2015, mit einer Demonstrat­ion gegen Gentrifizi­erung in Prenzlauer Berg zu punkten. »Es ist ein Hoffnungss­chimmer, wenn mitten in der Krise der Demokratie, während Rechtspopu­listen Zulauf haben, sich um die Wohnungsfr­age eine starke Mitte-links-Bewegung für eine emanzipato­rische Stadtpolit­ik von Unten etabliert«, sagt Scheller.

»Der große Widerhall in der Gesellscha­ft macht mir Mut.« Susanna Raab, Mieterprot­est Kosmosvier­tel

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Foto: Björn Kietzmann Die Demonstran­ten forderten am Samstag einen Kurswechse­l bei der Mietenpoli­tik der Bundesregi­erung.

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