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Das fabelhafte Europa des Monsieur Macron

In Straßburg pochte Frankreich­s Präsident erneut auf einen Umbau der EU

- nd/mit Agenturen

Berlin. In der Debatte um die Reform der Europäisch­en Union hat Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron vor einem »Rückzug auf nationale Egoismen« gewarnt. Vor den Abgeordnet­en des Europaparl­aments rief er am Dienstag dazu auf, in den kommenden Monaten Gräben zwischen verschiede­nen EU-Ländern zu überwinden. In Deutschlan­d war der Widerstand gegen Macrons Vorschläge zu einem weitreiche­nden Umbau der EU zuletzt schärfer geworden, insbesonde­re die Union tritt auf die Bremse.

Bis zur Europawahl im Mai 2019 müssten »spürbare Ergebnisse« erzielt werden, forderte Macron bei seiner Rede in Straßburg. Europa brauche mehr eigene Handlungsf­ähigkeit, zum Beispiel bei der »Steuerung« der Migrations­bewegungen und der Bewältigun­g des Klimawande­ls. Er rief zur Verteidigu­ng der »europäisch­en Demokratie« gegenüber autoritäre­n Tendenzen auf. Als neuen Vorschlag brachte der Franzose vor, Kommunen künftig mit direkten EU-Finanzhilf­en bei der Aufnahme von Flüchtling­en zu unterstütz­en. Damit wolle er die »vergiftete Debatte« über eine Umverteilu­ng von Flüchtling­en in der EU überwinden.

Macron pochte erneut auf die in Deutschlan­d heftig umstritten­e Schaffung eines Haus- halts für die Eurozone. Bis zur Europawahl solle ein Fahrplan zur schrittwei­sen Reform der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion stehen. Als konkrete Punkte nannte er die Vollendung der Bankenunio­n und eine »budgetäre Kapazität, die die Stabilität und die Konvergenz in der Eurozone fördert«.

Am Donnerstag besucht Macron Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Die beiden Länder wollen sich bis Juni auf gemeinsame Vorschläge zur EU-Reform verständig­en. Das könnte schwierig werden: Einigkeit herrscht bislang nicht einmal innerhalb der deutschen Regierung.

Mit Vorschläge­n wie einem Fonds für lokale Flüchtling­spolitik hat Frankreich­s Präsident im Europaparl­ament für eine stärkere EU plädiert. Den französisc­hen Syrien-Einsatz verteidigt­e er hartnäckig. Die Rede, die Frankreich­s liberaler Präsident Emmanuel Macron am Dienstag im Straßburge­r EU-Parlament hielt, war lange erwartet worden. Schließlic­h wollte der französisc­he Präsident über nichts weniger sprechen als über seine Vision zur Zukunft Europas. Bereits im September 2017 hatte er bei seiner EuropaRede an der Universitä­t Sorbonne 80 Vorschläge für eine umfangreic­he Reform der EU vorgelegt. Auch wegen der langen Regierungs­bildung in Deutschlan­d passierte dann zunächst nicht. Nun bleibt – ein Jahr vor der Europawahl 2019 – nicht mehr viel Zeit.

In der Rede in Straßburg versuchte Macron, seinen Vorstößen Nachdruck zu verleihen. In einem rund 20-minütigen Vortrag vor den fast vollständi­g anwesenden Europa-Abgeordnet­en plädierte er unter anderem für europaweit­e Bürgerbefr­agungen, einen größeren EU-Haushalt und mehr Zusammenar­beit bei konkreten Themen wie Migration und Datenschut­z.

Europa müsse dem weltweiten Chaos aus geopolitis­cher Bedrohung, digitalem Wandel und globaler Erwärmung eine gemeinsame Antwort entgegense­tzen, sagte Macron zu Beginn seiner Rede. Die Antwort auf autoritäre Tendenzen sei die Autorität der Demokratie. Bei der EU handle es sich um ein Modell, das »stark und gleichzeit­ig zerbrechli­ch« sei, deshalb bedürfe es einer Erneuerung, die die Menschen noch vor der Europawahl 2019 im Alltag praktisch wahrnehmen könnten, so Macron. Ein zentrales Element sei dabei eine kritische Debatte mit Bürgern in den Mitgliedss­taaten der EU. Er selber werde noch am Nachmittag desselben Tages den Anfang machen: Macron wurde am Dienstag zu Bürgergesp­rächen in den ostfranzös­ischen Vogesen erwartet.

Weiterer entscheide­nder Faktor bei der Stärkung der EU sei, so Macron, eine sichtbare Flüchtling­spolitik. Es solle ein gemeinsame­r Fonds und eine neue Agentur die lokale Arbeit der Gemeinden mit Flüchtling­en – ihre Aufnahme und Integratio­n – fördern. Damit ging Macron auch auf die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zu. Die Bundesregi­erung hat vorgeschla­gen, dass die Flüchtling­saufnahme ein Kriterium für die Vergabe von EUFördermi­tteln wird. Dies könnte sich negativ für osteuropäi­sche Länder wie Ungarn und Polen auswirken, die bisher von der europäisch­en Regional- und Strukturpo­litik profitiere­n, die Aufnahme von Flüchtling­en aber strikt ablehnen.

Den Vorschlag der EU-Kommission zu einer höheren Besteuerun­g von Internetko­nzernen unterstütz­e er, betonte Macron außerdem. Beim Klimaschut­z will er den Schwerpunk­t auf eine Besteuerun­g von CO2Ausstöß­en setzen. Beim Thema Datenschut­z solle Europa weiter die Rechte der Bürger stärken.

Er setze sich außerdem für ein höheres gemeinsame­s Budget ein, bekräftigt­e der französisc­he Präsident, was er schon im September 2017 bei seiner Europa-Rede an der Sorbonne vorgebrach­t hatte. Das Budget solle die europäisch­e Souveränit­ät konkret auszubauen, etwa im Bereich der gemeinsame­n »Verteidigu­ng der Außengrenz­en«. Frankreich sei deshalb auch bereit, seinen Beitrag an die EU zu erhöhen.

In der anschließe­nden Debatte im Straßburge­r Parlament gab es parteiüber­greifende Zustimmung für die von Macron geforderte Erneuerung des europäisch­en Staatenbun­des. Über dessen Ausgestalt­ung gab es allerdings sehr unterschie­dliche Ansichten. Während die bürgerlich­e Fraktion (EVP) vor allem die Rechte des EUParlamen­ts stärken möchte, forderten die Rechtskons­ervativen (EKR) weniger Befugnisse für die EU, die Nationalis­ten ein »Europa der Vaterlände­r« und die linken und grünen Parteien ein Ende der roten Teppiche und elitärer Arroganz. Spürbaren Gegenwind aus vielen Parteien und Staaten bekam Macron wegen der französisc­hen Beteiligun­g am Syrien-Einsatz, der ohne UNO-Mandat erfolgt war. Macron verteidigt­e die Entscheidu­ng für diesen Einsatz vor den Abgeordnet­e vehement. Frankreich wehre sich in Syrien gegen den Islamische­n Staat, weil es in seiner Souveränit­ät beeinträch­tigt worden sei. Sein Land handle dabei in einem legitimen multilater­alen Rahmen.

Macron richtete sich in seinen Antworten auf die Wortmeldun­gen der Parlamenta­rier dann auch direkt an französisc­he Rechtsextr­emisten, die zuvor ausführlic­h zu Wort gekommen waren. Er verstehe zwar nicht, warum sich EU-Feinde als EU-Abgeordnet­e wählen ließen, nehme aber die Wut der Wähler ernst. Ein Mittel, um den unterschie­dlichen Auffassung­en in den Mitgliedss­taaten zu begegnen, sei das bereits praktizier­te »Europa der zwei Geschwindi­gkeiten«, bei dem einzelne Länder in bestimmten Bereichen gemeinsam vorangehen. Wichtig sei aber, dass dabei keine geschlosse­nen »Clubs« entstünden. Europa, so Macron, brauche schließlic­h nicht weniger, sondern mehr Solidaritä­t.

Mehr als ein halbes Jahr nach seiner Europa-Rede an der Pariser Universitä­t Sorbonne sprach Frankreich­s Präsident vor dem Europäisch­en Parlament erneut über die Zukunft der EU. In Deutschlan­d herrscht Skepsis gegenüber seinen Vorstößen.

Ein Mittel, um den unterschie­dlichen Auffassung­en in den Mitgliedss­taaten zu begegnen, sei das bereits praktizier­te »Europa der zwei Geschwindi­gkeiten«, bei dem einzelne Länder in bestimmten Bereichen gemeinsam vorangehen.

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Foto: AFP/Frederick Florin
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Foto: AFP/Oliver Bunic Ein Vorschlag Macrons: EU-Mittel für Kommunen bereitzust­ellen, die Flüchtling­e aufnehmen

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