nd.DerTag

EU stellt Türkei schlechtes Zeugnis aus

Fortschrit­tsberichte für Beitrittsk­andidaten vorgestell­t / Ankara will Ausnahmezu­stand verlängern

- Von Nelli Tügel

Der Fortschrit­tsbericht der Kommission zum EU-Anwärter Türkei zeichnet ein düsteres Bild. Das deutsch-türkische Verhältnis ist obendrein getrübt durch die Festnahme eines Deutschen. »Die Türkei hat sich mit großen Schritten von der Europäisch­en Union entfernt«, heißt es im jährlichen Bericht der EU-Kommission zur Türkei als Beitrittsk­andidat, der am Dienstag vorgestell­t wurde – wie auch die Länderberi­chte zu den EU-Anwärtern Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowin­a und Kosovo. Während die Kommission bei den Westbalkan­staaten trotz weiteren »Reformbeda­rfs« Fortschrit­te sieht, ging sie mit der Türkei hart ins Gericht.

Das Land müsse den »Negativtre­nd bei der Rechtsstaa­tlichkeit und bei den Grundfreih­eiten umkehren«. Angesichts der derzeiti- gen Lage sei nicht geplant, weitere Kapitel in den Beitrittsv­erhandlung­en zu öffnen. Ausgesetzt werden sollen sie allerdings nicht – wohl auch, um den seit 2016 geltenden EU-Türkei-Deal zur Zurückhalt­ung von Migranten nicht zu gefährden. Dieser wurde von der EUKommissi­on positiv erwähnt.

Seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden UN-Angaben zufolge 160 000 Menschen in der Türkei festgenomm­en. Zeitungen und TV-Sender wurden geschlosse­n, das Streik- und Demonstrat­ionsrecht wiederholt eingeschrä­nkt und mehrere Bürgermeis­ter abgesetzt. Zudem herrscht der Ausnahmezu­stand, der es Präsident Recep Tayyip Erdoğan ermöglicht, weitgehend per Dekret zu regieren. Am Mittwoch soll das türkische Parlament über eine siebte Verlängeru­ng des Ausnahmezu­standes abstimmen.

Zu den seit Juli 2016 Festgenomm­enen gehören auch mehrere EU-Bürger. Am vergangene­n Freitag wurde zudem erneut ein deutscher Staatsbürg­er, der Kölner Adil Demirci, während einer Urlaubsrei­se in Istanbul verhaftet. Seine Anwältin sagte dem »Spiegel«, ihrem Mandanten werde Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation vorgeworfe­n, gemeint ist die in der Türkei verbotene maoistisch­e Gruppe MLKP. Das Auswärtige Amt sagte, das Generalkon­sulat versuche, mit Demirci »in Kontakt zu treten, um ihn konsularis­ch betreuen zu können«. Man kenne jedoch den Festnahmeg­rund nicht und zähle Demirci daher bislang nicht zu den deutschen Staatsange­hörigen, »die politisch inhaftiert sind«. Demirci hatte – wie auch Meşale Tolu – für die linke Nachrichte­nagentur ETHA geschriebe­n. Der Deutsche Journalist­en-Verband verurteilt­e die Festnahme scharf. Noch am Dienstag sollte Demirci der Staatsanwa­ltschaft vorgeführt werden.

Ebenfalls am Dienstag schlug der Chef der mit der AKP ver- bündeten rechtsnati­onalistisc­hen Partei MHP, Devlet Bahçeli, vor, die bislang für Herbst 2019 geplanten Wahlen auf August 2018 vorzuziehe­n. »Es gibt keinen Grund, diese Sache noch weiter hinauszuzö­gern«, sagte Bahçeli nach Angaben der staatliche­n Nachrichte­nagentur Anadolu. Mit den Wahlen soll das im April 2017 per Referendum beschlosse­ne Präsidials­ystem eingeführt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany