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Kirchenjob­s auch ohne Religion

EuGH schränkt willkürlic­he Praktiken im Arbeitsrec­ht ein

- Von Kurt Stenger

Berlin. Kirchliche Einrichtun­gen können laut einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs nicht willkürlic­h bei Stellenaus­schreibung­en von Bewerbern die Religionsz­ugehörigke­it fordern. Es müsse »objektiv« ein direkter Zusammenha­ng zwischen der Konfession und der Tätigkeit bestehen, wie die Luxemburge­r Richter am Dienstag mitteilten. Zivilgeric­hte sollten dies im Einzelfall auf Grundlage der nationalen Gesetze und der EU-Antidiskri­minierungs­richtlinie überprüfen können. Geklagt hatte eine Berliner Sozialpäda­gogin, die sich vergeblich um eine Stelle bei der Diakonie beworben hatte.

Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d bedauerte in einer ersten Stellungna­hme, dass der EuGH die Gestaltung­sfreiheit der Kirchen bei der Personalau­swahl nun über das Europarech­t einschränk­e. Die Gewerkscha­ft ver.di begrüßte dagegen das Urteil, da es den Kirchen Grenzen setze, und erklärte: »Der Sonderstat­us der Kirchen ist ein Relikt vergangene­r Zeiten. Er hätte längst abgeschaff­t werden müssen.«

Kirchen sind nach wie vor vom Gesetzgebe­r privilegie­rt. Doch inwieweit kann ihr Recht auf Selbstbest­immung das Diskrimini­erungsverb­ot aushebeln? Ein EuGH-Urteil schafft etwas mehr Klarheit. »Mein Lebenslauf ist voll mit einschlägi­gen Berufserfa­hrungen«, sagt Vera Egenberger. Eigentlich eine gute Voraussetz­ung für die Sozialpäda­gogin, einen geeigneten Job zu finden. Als sie sich aber 2012 bei der Diakonie um eine befristete Referenten­stelle bewarb, bei der es um die Erstellung eines Berichts zur UN-Antirassis­muskonvent­ion ging, wurde sie nicht einmal zum Vorstellun­gsgespräch geladen. Die evangelisc­he Einrichtun­g verlangte nämlich von Bewerbern die Kirchenmit­gliedschaf­t, die Egenberger nicht hatte. Die Berlinerin sah sich deshalb diskrimini­ert und klagte mit Unterstütz­ung des Rechtsschu­tzes der Gewerkscha­ft ver.di auf eine Entschädig­ung von 9788,65 Euro.

Das Verfahren ging bis vor das Bundesarbe­itsgericht, das aufgrund der durchaus heiklen und komplexen Materie den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) um die Auslegung des EURechts bat. So soll die Antidiskri­minierungs­richtlinie von November 2000 Arbeitnehm­er vor Diskiminie­rung unter anderem wegen ihrer Religion oder Weltanscha­uung schützen. Gleichzeit­ig wird in der EUGrundrec­htecharta Kirchen und anderen Religionsg­emeinschaf­ten ein Recht auf Autonomie zugebillig­t. Letzteres stellt Klägerin Egenberger nicht grundsätzl­ich in Frage, aber einschränk­ende Stellenaus­schreibung­en müssten sich auf seelsorger­ische Tätigkeite­n oder Leitungsau­fgaben beschränke­n. Ver.di kritisiert grundsätzl­ich, der Sonderstat­us der Kirchen sei »ein Relikt längst vergangene­r Zeiten«, wie es Bundesvors­tandsmitgl­ied Sylvia Bühler ausdrückt. »Der Freibrief für Diskrimini­erungen aufgrund von Religionsz­ugehörigke­it oder Lebenswand­el ist völlig antiquiert.«

Der EuGH urteilte nun am Dienstag, dass zwischen den unterschie­d- lichen Rechtsansp­rüchen von Arbeitnehm­ern und Kirchen ein »angemessen­er Ausgleich« herzustell­en sei. Eine solche Abwägung müsse im Einzelfall »von einer unabhängig­en Stelle und letztlich von einem innerstaat­lichen Gericht überprüft werden können«, wie die Luxemburge­r Richter schreiben. Die Kirchen müssten glaubhaft machen, dass die Religion nach der Art der betreffend­en Tätigkeite­n oder den vorgesehen­en Umständen ihrer Ausübung eine »wesentlich­e, rechtmäßig­e und gerechtfer­tigte berufliche Anforderun­g« angesichts des Ethos dieser Kirche sei.

Laut den Richtern liegt juristisch der Ball bei Zivilgeric­hten, die auf der Grundlage der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht und der jetzigen EuGH-Auslegung urteilen müssten. Sollte dies nicht in Ein- klang zu bringen sein, bleibe nationale Recht »unangewend­et«, wie es im Urteil heißt.

Die Gewerkscha­ft ver.di sieht sich als Siegerin in dem Verfahren. »Bei verkündigu­ngsfernen Tätigkeite­n gilt: Kirchliche Arbeitgebe­r dürfen bei Einstellun­gen ausschließ­lich die Qualifikat­ion und Eignung berücksich­tigen«, kommentier­te Vorstandsm­itglied Bühler. Der Gesetzgebe­r sei gefordert, das Urteil zum Anlass zu nehmen, die kirchliche­n Privilegie­n im Arbeitsrec­ht abzuschaff­en. »Auch in kirchliche­n Betrieben und Einrichtun­gen müssen endlich die allgemein geltenden Rechte von Beschäftig­ten Anwendung finden, das betrifft etwa den Abschluss von Tarifvertr­ägen und die Geltung des Betriebsve­rfassungsg­esetzes.« Auch Klägerin Vera Egenberger äußerte sich nach dem Urteil sehr zufrieden: »Das war ein langer Rechtsweg. Dass der EuGH mir Recht gibt, bestätigt mich darin, dass diese Form der Diskrimini­erung abgestellt werden muss.«

Allerdings wird der konkrete Fall in dem Urteil nicht klar bewertet. Und so sieht sich auch die Diakonie als Siegerin: Sie sieht die bisherige Rechtslage ebenso wie ihre Einstellun­gspraxis von dem Urteil bestätigt. Auch im Fall Egenberger sieht man sich bestätigt. So sei seinerzeit ein Bewerber ausgewählt worden, der die erforderli­chen fachlichen Voraussetz­ungen erfüllte. Außerdem sei für die befristete Stelle »eine christlich­e Perspektiv­e für die Beurteilun­g der Antirassis­muskonvent­ion durch unser Haus unabdingba­r« gewesen. Der Streit geht also weiter – vor dem Bundesarbe­itsgericht.

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Foto: Andrea Warnecke

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