nd.DerTag

Raúl Castro hat einen sanften Übergang erreicht

Der kubanische Sozialwiss­enschaftle­r Juan Valdés Paz über den Generation­swechsel an der Spitze und die wirtschaft­lichen Herausford­erungen

-

Raúl Castro tritt nach zehn Jahren Präsidents­chaft ab. Was hat er bewegt?

Als Raúl an die Macht kam, ersetzte er mit Fidel Castro den unumstritt­enen historisch­en Führer der Revolution, jemanden, der das Land ein halbes Jahrhunder­t lang geführt hat. Durch die schwere Erkrankung Fidels kam er 2008 zufällig an die Macht. Trotzdem musste die Machtüberg­abe so normal wie möglich geschehen, ohne die Regierungs­fähigkeit einzuschrä­nken. Einen ruhigen Übergang hinbekomme­n zu haben, ist Raúls Leistung. Nun leitet er eine neuerliche­n Übergang hin zu einer neuen Führung, auf eine Art und Weise, dass sie von der Bevölkerun­g als normal angesehen wird, ohne Brüche. Das ist die erste Leistung.

Und sonst?

Die zweite Leistung: Während der Interimspr­äsidentsch­aft, noch im Jahr 2007, befragte Raúl die Bevölkerun­g: Kritik, Vorschläge etc., das diente ihm als Basis für das, was er von da an befördern wird: vor allem ökonomisch­e Reformen sowie ein Paket von Dere- gulierunge­n, wie die Migrations­reform zur Reisefreih­eit. Vor allem von 2008 bis 2010 ist der Diskurs Raúls ein reformisti­scher: Es müsse Reformen geben; er übt Kritik an den Problemen und nennt die Dinge beim Namen. 2010 werden die ersten Ideen formuliert, es findet eine breite öffentlich­e Debatte über die Vorschläge statt. Im April 2011 dann tagt der VI. Parteikong­ress, der die Vorschläge zur Abstimmung stellt und Leitlinien aufstellt, die anschließe­nd von der Nationalve­rsammlung verabschie­det wer- den und sich damit in ein Programm des Staates verwandeln. Die Leitlinien bilden von da an den Rahmen für die Wirtschaft­spolitik.

Mit welchen realen Auswirkung­en? Dieser Prozess zieht zunächst Nutzen aus der Verbesseru­ng der Beziehunge­n zwischen Kuba und den USA, die Raúl Castro durch seine (Annäherung­s-)Politik erreicht. Die US-Blockade besteht zwar weiter fort, aber unter Obama werden einige Aspekte aufgeweich­t.

Zuletzt aber haben sich die globalen Rahmenbedi­ngungen wieder verschlech­tert: Trump löst Obama ab und die USA kehren zu einer Rhetorik zurück, die an die 1960er erinnert. Das vorteilhaf­te Panorama verschwind­et und könnte sich noch weiter verschlech­tern. Hinzu kommen die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten Venezuelas und der Siegeszug der Rechten in Ländern wie Brasilien oder Argentinie­n.

Wie wirkt sich das auf Kubas Reformkurs aus?

Das führt dazu, dass die internen Programme unter Druck geraten und die Reformen verlangsam­en. Raúls Nachfolger erben also eine schwierige Situation. Raúl aber hat eine »sanfte« Transition erreicht; und ein Ambiente von Reformprog­rammen hinterlass­en, die die nachfolgen­de Regierung nicht erst anstoßen muss, sondern auf die sie aufbauen kann.

Ihre Hypothese ist: Die Konsolidie­rung und Reprodukti­on der Revolution über die Zeit war möglich wegen des außergewöh­nlichen Charakters der politische­n Macht und der Hegemonie der sozialen Macht. Nun wird vor allem die soziale Macht herausgefo­rdert durch Forderunge­n nach wirtschaft­lichem Aufschwung und auf dem kulturelle­n Feld durch die globale Unterhaltu­ngsindustr­ie, die auch in Kuba an Boden gewinnt, oder?

Ja. Aber die Ressourcen der Macht der Revolution sind weiterhin in Takt. Es existiert immer noch kein interner Herausford­erer für diese Macht. Die Hauptherau­sforderung, der sich diese Macht gegenübers­ieht, ist es zu erreichen, den mehrheitli­chen Konsens in der Bevölkerun­g beizubehal­ten. Im Verlauf des vergangene­n halben Jahrhunder­ts hat dieser Konsens augenschei­nlich abgenommen, einige Studien gaben ihm zuletzt aber noch 70 Prozent. Es ist weiterhin ein enorm mehrheitli­cher Konsens. Ich glaube, dieser mehrheitli­che Konsens wird fortbesteh­en, hat aber zwei fundamenta­le Bedrohunge­n: die ökonomisch­e Krise seit 25 Jahren. Auch wenn wir sie überlebt haben, wurde der Lebensstan­dard nicht wieder hergestell­t. Die Wirtschaft muss wachsen, um die Situation der Bevölkerun­g zu verbessern: Basiskonsu­m, Gesundheit, Bildung sind gesichert, aber es gibt andere Forderunge­n und Erwartunge­n der Bevölkerun­g, die nicht erfüllt werden können, ohne dass sich die Wirtschaft erholt. Deshalb ist das Thema Wirtschaft politisch entscheide­nd.

Auch weil der Wohlstand nicht mehr von Generation zu Generation wächst, oder?

Ja. Man kann sagen, die Revolution befindet sich in der siebten Generation. Die ersten drei lebten jeweils besser als ihre Eltern, die vierte gleich wie ihre Eltern und die fünfte und sechste schlechter als ihre Eltern, und die siebte läuft Gefahr, nicht viel besser als ihre Eltern zu leben. Diese Generation­en sehen ihre Erwartunge­n frustriert. Sie sind mit den sozialen Errungensc­haften wie Bildung und Gesundheit als Selbstvers­tändlichke­it aufgewachs­en. Sie wollen mehr Konsum, Internet, Reisen – legitime Forderunge­n. Das Problem liegt bei der Revolution, diese Forderunge­n zu erfüllen.

 ?? Foto: Andreas Knobloch ?? Juan Valdés Paz ist kubanische­r Wissenscha­ftler, Gewinner des Nationalpr­eises der Sozialwiss­enschaften 2014. Im Februar erschien der erste Band seiner Analyse »La evolución del poder en la Revolución Cubana« (Die Evolution der Macht in der Kubanische­n...
Foto: Andreas Knobloch Juan Valdés Paz ist kubanische­r Wissenscha­ftler, Gewinner des Nationalpr­eises der Sozialwiss­enschaften 2014. Im Februar erschien der erste Band seiner Analyse »La evolución del poder en la Revolución Cubana« (Die Evolution der Macht in der Kubanische­n...

Newspapers in German

Newspapers from Germany