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Lateinisch statt kyrillisch?

Der ukrainisch­e Außenminis­ter sorgt mit einer alten Idee für öffentlich­e Aufregung

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Ukraines Außenminis­ter schlägt vor, über die Umstellung vom kyrillisch­en auf lateinisch­es Alphabet nachzudenk­en. Eine Idee, die kaum Umsetzungs­perspektiv­en hat – und dennoch die Gesellscha­ft spaltet. Es ist ein Vorschlag, der vom ukrainisch­en Außenminis­ter eigentlich nicht zu erwarten wäre – und doch war es eben der ehemalige Botschafte­r in Berlin Pawlo Klimkin, der mit einem Facebook-Beitrag Ende März eine öffentlich­e Debatte über die mögliche Umstellung der ukrainisch­en Sprache vom kyrillisch­en auf das lateinisch­e Alphabet provoziert­e. Der aus dem russischen Kursk stammende Klimkin machte auf einen polnischen Historiker­s aufmerksam, der meinte, dies sei keine schlechte Idee, die die Souveränit­ät der Ukraine stärken könnte. »Natürlich sollten wir vor allem Themen ansprechen, die Ukrainer vereinen und nicht teilen«, schrieb Klimkin. »Darüber sollte man allerdings zumindest diskutiere­n.«

Die Idee der Umstellung des Ukrainisch­en auf lateinisch­e Buchstaben ist keine Erfindung Klimkins, sondern mindestens genauso alt wie der unabhängig­e ukrainisch­e Staat selbst. Bereits seit dem Zerfall der Sowjetunio­n propagiert­e ein Teil der ukrainisch­en Nationalis­ten den Weggang von der kyrillisch­en Schrift, meistens mit zwei Argumenten: Zum einen sollte man sich damit kulturell von Russland entfernen, zum anderen sei das lateinisch­e Alphabet deutlich verbreitet­er und würde Ukrainisch internatio­nal attraktive­r und beliebter machen. Allerdings stößt die Idee auch auf Unverständ­nis, nur der radikale Nationalis­tenflügel unterstütz­te traditione­ll solche Maßnahmen. Durch den 2014 entstanden­en politische­n Konflikt zwischen Kiew und Moskau, der mit der russischen Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass begann, stieg die Zahl der Befürworte­r leicht, blieb jedoch unbedeuten­d.

Nun kommt der neue Anstoß der Debatte jedoch vom Außenminis­ter – und obwohl es unwahrsche­inlich ist, dass Ukrainisch bald auf Lateinisch umgestellt wird, hat die Diskussion damit eine andere Bedeutung. Offensicht­lich ist dabei, woher die Inspiratio­n für diese Ideenneuau­flage kommt, obwohl es von Klimkin mit keinem Wort erwähnt wird: 2017 beschloss der autoritär regierende kasachisch­e Präsident Nursultan Nasarbajew eine ähnliche Umstellung, die bis 2025 vollzogen werden soll. Zu den Kritikern des Vorstoßes in Kiew gehören zum Teil Leute, von denen eigentlich Zuspruch erwartet wurde. Dazu gehört der umstritten­e Historiker Wolodymyr Wjatrowyts­ch, der das Institut für Nationale Erinnerung leitet und damit für die aktuelle Geschichts­agenda verantwort­lich ist.

Er war der wichtigste Ideologe der sogenannte­n Entkommuni­sierung, im Zuge derer kommunisti­sche Denkmäler entfernt sowie Straßen und Plätze umbenannt wurden. »Die kyrillisch­e Schrift spielt eine fundamenta­le Rolle in unserer Kultur. Wir dürfen sie keinesfall­s wegwerfen«, meint er nun. »Ein solcher Verzicht würde unsere Einzigarti­gkeit zerstören; für mich ist das keine Option.«

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