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Hartz IV muss weg, da sind sich Müller und Kipping einig

Der Regierende Bürgermeis­ter und die Bundesvors­itzende der LINKEN diskutiere­n im Theater an der Parkaue ihre Konzepte für ein Grundeinko­mmen

- Von Tim Zülch

Katja Kipping gehört zu den prominente­sten Vertreteri­nnen des Bedingungs­losen Grundeinko­mmens. Michael Müllers Vorschlag für ein Solidarisc­hes Grundeinko­mmen nennt sie »Etikettens­chwindel«. »Die Arbeitsmar­ktreform von 2003 hat nie wirklich breite gesellscha­ftliche Akzeptanz gehabt. Man kann nicht dauerhaft gegen einen Großteil unserer Bevölkerun­g Politik machen«, sagt Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) am Montagaben­d im Theater an der Parkaue. Bei diesem Satz brandet erstmals Applaus im überfüllte­n Saal auf.

Sebastian Schlüsselb­urg (LINKE) hatte den Regierende­n Bürgermeis­ter zum Streitgesp­räch mit der Linksparte­ichefin Katja Kipping geladen und moderierte die Veranstalt­ung. Die Gäste sitzen in einem Bühnenbild aus bunten Kissen und Teppichen. Am nächsten Morgen soll hier »Konrad aus der Konservenb­üchse« aufgeführt werden. Ein Stück, in dem es auch um Fragen der Selbstverw­irklichung geht.

Knapp 200 Zuschauer sind zur Veranstalt­ung zum Thema Solidarisc­hes oder Bedingungs­loses Grundeinko­mmen gekommen. Die Idee des Letzteren ist so einfach wie prägnant: Jeder Bürger bekommt einen Betrag um die tausend Euro zur freien Verfügung – bedingungs­los. Ein Schritt, der endlich die Hartz-IV-Bürokratie mit ihren Ungerechti­gkeiten hinter sich lassen würde. In der LINKEN hat das Konzept schon lange Anhänger, nicht zuletzt, weil sich Katja Kipping dafür einsetzt.

Michael Müller plädierte zuletzt für ein sogenannte­s Solidarisc­hes Grundeinko­mmen und wendet sich damit ebenfalls gegen Hartz IV. Sein Ziel: Arbeitslos­e sollen die Möglichkei­t auf einen unbefriste­ten Arbeitsver­trag für öffentlich­e und gemeinnütz­ige Aufgaben bekommen.

Kipping halte den Vorstoß Müllers grundsätzl­ich für gut, sagt sie auf dem Podium. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung. Doch der Begriff behage ihr nicht: »Solidarisc­hes Grundeinko­mmen ist Etikettens­chwindel«, sagt Kipping. »Je beliebter das Thema Grundeinko­mmen wird, desto genauer muss man hinschauen, was damit gemeint ist.« Damit meine sie beispielsw­eise die Vorstöße von Telekom-Chef Timotheus Höttges im vergangene­n Jahr, durch die besonders die Gutverdien­enden entlastet würden. Das Konzept, das die Bundesarbe­itsgemeins­chaft (BAG) Grundeinko­mmen zusammen mit ihrer Bundesvors­itzenden Kipping erarbeitet hat, biete die Chance, dass der »alte Streit zwischen Reform und Revolution dialektisc­h aufgelöst werden kann«, schreibt Kipping im Vorwort zu einer bereits 2016 veröffentl­ichten Broschüre.

Die Partei geht darin von einem Betrag von 1076 Euro für jede Person über 16 Jahren und 538 Euro für jedes Kind aus. Bis zu einem Bruttoeink­ommen von rund 6000 Euro monatlich würden demnach alle profitiere­n. Bei höheren Einkommen würden mehr Abgaben als momentan fällig. Insgesamt ist ein Bedarf für das Grundeinko­mmen von 863 Milliarden Euro vorgesehen. Finanziert werden könnte dies laut BAG neben der Einkommens­steuer durch eine sogenannte Sachkapita­labgabe auf Anlageverm­ögen und Immobilien und eine höhere Besteuerun­g von Energie.

Unterschie­de zwischen den Konzepten von Müller und Kipping gibt es viele. Während Kippings tatsächlic­h bedingungs­los ist, fordert Müller von jedem die Aufnahme einer Tätigkeit. Bei der Frage, was er sich darunter konkret vorstelle, bleibt er vage: Hilfsarbei­ten in Bibliothek­en, Unterstütz­ung in Sportverei­nen oder Kitas. »Ich glaube, dass Arbeit einen hohen Stellenwer­t in der Gesellscha­ft hat. Ich möchte eine ernsthafte Aufgabe und Perspektiv­e bieten.« Kipping kontert, viele gesellscha­ftlich wichtige Tätigkeite­n ließen sich nicht sinnvoll abrechnen. »Man muss über eine andere Art zu wirtschaft­en nachdenken.«

Einig sind sich die Diskutante­n an diesem Abend, dass die Digitalisi­e- rung das Arbeitsleb­en stark verändern werde. »Wir müssen uns damit auseinande­rsetzen, dass bekannte Arbeitsbil­der verschwind­en werden«, sagt Müller. Kipping stimmt zu: »Bei digitalen Gütern gibt es keine Verknappun­g, alles ist unendlich reproduzie­rbar.«

Das Konzept des bedingungs­losen Grundeinko­mmens ist allerdings auch in der LINKEN umstritten. Moritz Fröhlich von der BAG Grundeinko­mmen sammelt auf der Veranstalt­ung Unterschri­ften für einen Mitglieder­entscheid, um es in das Parteiprog­ramm aufzunehme­n. »Die meisten, die ich treffe, sehen das Grundeinko­mmen positiv und unterschre­iben. Insgesamt schätze ich, dass an der Basis 60 Prozent dafür sind. Bei den Funktionär­en sieht das Verhältnis eher umgekehrt aus«, sagt Fröhlich. Neben ihm steht an diesem Abend Katja Faltis aus Treptow-Köpenick. Sie ist noch skeptisch, hat aber trotzdem unterschri­eben. »Ich finde die Diskussion über das Thema wichtig«, erklärt sie.

Moderator Schlüsselb­urg beendet die Veranstalt­ung nach knapp zwei Stunden mit einem Zitat aus Startrek: »Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr das Ziel. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit.«

»Ich glaube, dass Arbeit einen hohen Stellenwer­t in der Gesellscha­ft hat. Ich möchte eine ernsthafte Aufgabe und Perspektiv­e bieten.« Michael Müller (SPD), Regierende­r Bürgermeis­ter

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Foto: nd/Ulli Winkler Kipping und Müller: Zwei Ideen vom Grundeinko­mmen

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