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Minister macht auf »sensibel«

Niedersach­sen: Behörde hielt Studie zu Behältern mit schwachrad­ioaktivem Abfall zurück

- Von Hagen Jung

Angeblich waren nur sieben Atommüllfä­sser im Zwischenla­ger Leese als problemati­sch anzusehen, doch längst ist klar: Es geht um deutlich mehr von diesen Behältern. Doch das sollte wohl niemand wissen. Hinter meterdicke­n Mauern warten in Leese, einem kleinen Ort im Nordwesten Niedersach­sens, 1484 Fässer voller schwach radioaktiv­er Abfälle auf den fernen Tag ihrer Endlagerun­g. Doch das Land sorgt sich nicht nur darum, dass keine Strahlung nach draußen dringt. Die Behörden sind offenbar auch bemüht, dass über jenen Atommüll keine Besorgnis erregenden Informatio­nen an die Öffentlich­keit gelangen. Weshalb sonst hat das Umweltmini­sterium eine Studie zurückgeha­lten, die bereits seit über einem Jahr belegt: 442 Behälter im Zwischenla­ger Leese gelten als Problemfäs­ser, müssen unter anderem auf Feuchtigke­it, Rost und Dichtigkei­t überprüft und womöglich gründlich »nachbearbe­itet« werden?

Die Fässer – sie enthalten zum Beispiel radioaktiv­e Abfälle aus Röntgenpra­xen oder aus der KrebsStrah­lentherapi­e – hatten bereits 2016 den Umweltauss­chuss des Landtages beschäftig­t. Er wollte Näheres über den Zustand der Behälter wissen und erfuhr von der damaligen rot-grünen Landesregi­erung: Nur sieben der gelben Tonnen seien als problemati­sch anzusehen. Doch kurz danach erhielt das seinerzeit noch von Minister Stefan Wenzel (Grüne) geleitete Umweltmini­sterium das Ergebnis einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie, aus der hervorgeht: Es sind weitaus mehr Fässer, die ernste Sorgen bereiten.

Zu Recht. Denn auch von schwach radioaktiv­em Müll gehen erhebliche Gefahren aus. Zwar ist außerhalb des Lagers dank dessen dicken Mauern keine bedrohlich­e Radioaktiv­ität messbar, doch im Innern ist die Strahlung im Vergleich zu den Werten draußen am Zaun 2600-mal so hoch. Deshalb wurde einem NDR-Fernsehtea­m, dem die 442-Fässer-Studie vorliegt, der Zutritt zu dem Gebäude verwehrt. Vermutlich hätte das TV-Team gern aufgezeigt, wie dicht die Behälter nebeneinan­der stehen. Sehr eng sind sie eingelager­t, nur 70 Zentimeter breit ist ein Gang zwischen ihnen. Eine gründliche Untersuchu­ng, geschweige denn ein »Behandeln« der Problemfäs­ser vor Ort ist somit unmöglich.

Die Konsequenz: Die Behälter müssten zu einem Fachuntern­ehmen transporti­ert werden, in dem die notwendige­n Schritte erfolgen. Das inzwischen SPD-geführte Umweltmini­sterium in Hannover sucht derzeit per Ausschreib­ung einen solchen Betrieb. Doch schon der eines Tages anstehende Abtranspor­t weckt bei der Bürgerinit­iative »Strahlensc­hutz Leese« Bedenken, erinnern sich ihre Aktivisten doch an die Anlieferun­g von Atommüll vor über zehn Jahren. Damals rollte ein Fass vom Lkw auf die Straße und wurde vom Anhänger des Lastwagens überrollt. Es platzte, und sein strahlende­r Inhalt verteilte sich über die Fahrbahn. Mulmig wird den Mitglieder­n der Bürgerinit­iative auch, wenn sie an ein Problemfas­s zurückdenk­en, das 2013 im Lager bei einer offizielle­n Kontrolle entdeckt worden war. Rost hatte an dem Behälter genagt, und Flüssigkei­t war ausgetrete­n, was die Inspekteur­e verwundert­e, denn laut offizielle­r Inhaltsang­abe durfte sich lediglich Papier darin befinden. Die Tonne wurde geöffnet, Flaschen mit unbekannte­n Flüssigkei­ten traten zutage.

Dieser Vorfall hat mit dazu beigetrage­n, dass die Bürgerinit­iative offizielle Informatio­nen zum Lager Leese sehr skeptisch betrachtet. Und verstärkt wird diese Skepsis nun wohl auch durch das Zurückhalt­en der Problemfas­s-Studie. Landesumwe­ltminister Olaf Lies (SPD) wirbt um Verständni­s für sein Vorgehen und erklärte im Rundfunk, Informatio­nen zu Atom und Strahlung seien etwas, mit dem man »sehr sensibel« umgehe. Man müsse in diesem Bereich »mit der notwendige­n und sorgfältig­en Transparen­z arbeiten«, so der Minister. Für die Studie zu den 442 Behälter aber mussten jetzt erst Journalist­en diese Transparen­z herstellen.

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Foto: dpa/Jens Wolf Strahlen bis zum Jüngsten Tag: Atommüllfä­sser, hier im Endlager Morsleben

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