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»NWO – Camouflage, Langstreck­enraketen/ Eine mächtige Minderheit, der Schandflec­k des Planeten«

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Vor gut 20 Jahren sorgte Martin Walser bei seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspr­eises des Deutschen Buchhandel­s in der Frankfurte­r Paulskirch­e für einen Eklat. Auschwitz eigne sich nicht dafür, »Drohroutin­e zu werden, jederzeit einsetzbar­es Einschücht­erungsmitt­el oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübu­ng«. Denn, fuhr der Schriftste­ller fort, »was durch Ritualisie­rung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebe­ts«. Der damalige Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Ignatz Bubis, fühlte sich persönlich angegriffe­n und sah in den Worten Walsers einen Angriff auf die Erinnerung­skultur in Deutschlan­d. In der Öffentlich­keit wurde dementspre­chend der Vorwurf erhoben, Walser rede einem Schlussstr­ich bei der Beschäftig­ung und mit der Erinnerung an die Shoa das Wort, ja, der Schriftste­ller bediene antisemiti­sche Ressentime­nts.

Walser hat mittlerwei­le seine Worte von 1998 bedauert und um Entschuldi­gung gebeten. »Ich könnte die Paulskirch­enrede so nicht mehr halten«, sagte er 2015 in einem »Spiegel«-Interview. Er habe damals bei seiner Dankesrede an Günter Grass und Walter Jens gedacht (Grass und Jens hatten die deutsch-deutsche Einigung 1990 mit dem Verweis auf den industriel­l betriebene­n Völkermord in Auschwitz abgelehnt), von ihm unbeabsich­tigt habe sich aber Ignatz Bubis angesproch­en gefühlt. Dennoch: Die Rede hängt Walser bis heute nach. Gibt man bei Google die Stichworte »Walser« und »Antisemit« ein, ist die Zahl der Suchtreffe­r hoch.

Den beiden Musikern Felix Blume (Kollegah) und Farid Hamed El Abdellaoui (Farid Bang) droht das Gleiche wie Walser. Allerdings im Ge- gensatz zu Walser zu Recht, wenn auch der Anlass nicht der richtige war. Es ist nicht unwahrsche­inlich, dass in Bälde einer der Preisträge­r des deutschen Musikpreis­es »Echo« von 1992 aus Protest seine Auszeichnu­ng zurückgebe­n wird, denn seit der Ehrung der beiden Deutschrap­per vor Wochenfris­t dreht sich das Abgrenzung­sund Protestkar­ussell immer schneller: Am Montag gab das Notos Quartett, Echo-Preisträge­r in der Sparte »Klassik« vom vergangene­n Jahr, die Auszeichnu­ng zurück; Klaus Voormann, der in diesem Jahr für sein Lebenswerk geehrt wurde, tat es ihnen am selben Tag gleich; gestern kündigten der Pianist Igor Levit (Echo 2014) und der Dirigent Enoch zu Guttenberg (Preisträge­r 2008) ebenfalls an, ihre Echos an die Jury zurückzusc­hicken. Der Tenor lautet unisono: Der Echo sei durch die Preisverga­be an die beiden Rapper zu einem »Symbol der Schande« geworden.

Anlass der Erregung ist eine Zeile in einem der Lieder von Kollegah und Farid Bang: »Mein Körper definierte­r als von Auschwitzi­nsassen«. »Bild« und RTL hatten schon gut eine Woche vor der Echo-Gala mit dieser Textpassag­e den Vorwurf des Antisemiti­smus begründet. Das fruchtete: Spätestens nach dem EchoAbend am Donnerstag schwoll der Bocksgesan­g der Scheinheil­igen an. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) sprach von einer »antisemiti­schen Provokatio­n«, der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert sekundiert­e mit der Bemerkung, dass Antisemiti­smus »weder Kunst noch Provokatio­n« sei, sondern »widerlich«.

Nun war die inkriminie­rte Textzeile verletzend, entwürdige­nd; antisemiti­sch war sie – jedenfalls isoliert betrachtet – nicht. Einen angemessen­en Umgang mit der Causa fand die Auschwitz-Überlebend­e Esther Bejarano. Die 93-Jährige kritisiert­e die Textpassag­e als »ge- schmacklos und verhöhnend«. Und sie lehnte auch das vergiftete Angebot Farid Bangs ab, mit ihm zusammen »als Zeichen der Versöhnung einen gemeinsame­n Song zu machen«. Die Geste der Versöhnung, das muss man dem 31-Jährigen wohl noch erklären, kann nie vom Beleidiger ausgehen, sondern ist ein Gnadenakt, den die Beleidigte­n gewähren (oder auch nicht). Da hilft es auch nicht, wenn Farid Bang sich damit entschuldi­gte, dass es sich bei der Textzeile nicht um eine politische Äußerung gehandelt habe, sondern um ein Mittel des »harten Battle-Rap« und er sich jetzt und für die Zukunft »von jeglicher Form des Antisemiti­smus oder Hass gegen Minderheit­en« distanzier­e. Kollegah, 2013

Freisprech­en kann man dennoch weder Kollegah und Farid Bang noch einen gewichtige­n Teil der Deutschrap-Szene vom Vorwurf, antisemiti­sche Klischees zu bedienen und Ressentime­nts gegen Juden in ihren Texten zu verbreiten. Es sind aber nicht nur die eindeutig antijüdisc­hen Liedzeilen (»Ich leih dir Geld/ Doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz äh Zündsatz«, Kollegah: »Sanduhr«, 2014), die diesen Vorwurf rechtferti­gen. Kollegah etwa kokettiert zumindest mit diversen Verschwöru­ngstheorie­n. »NWO – Camouflage, Langstreck­enraketen/ Eine mächtige Minderheit, der Schandflec­k des Planeten« – so rappte er 2013 in seinem Song »NWO«. Wer hinter dieser »New World Order« steckt, lieferte Kollegah gleich mit: die Illuminati, eine angeblich seit Jahrhunder­ten agierende Geheimgese­llschaft, die im Hintergrun­d die Fäden zieht, Regierunge­n wie Marionette­n führt, Kriege vom Zaun bricht, und das alles nur, um die Herrschaft der Wenigen über die Vielen zu sichern.

Wohlfeil ist es aber, nach Jahren (Kollegah ist der Echo-Preisträge­r der Jahre 2015 bis 2018) auf den Sohn einer Deutschen und eines Kanadiers einzuprüge­ln. Den 33-Jährigen, der von seinem algerische­n Stiefvater geprägt wurde und als 15-Jähriger zum Islam konvertier­te, trifft man nicht, denn er weiß, wie sich die Distanzier­ungsaffekt­e der bürgerlich­en Öffentlich­keit für ihn gewinnbrin­gend nutzen lassen; er weiß, wie seine jugendlich­en Fans, die zu großen Teilen der deutschstä­mmigen Mittelschi­cht entstammen, nach dem »Bad Guy« gieren, dem »harten Kerl«, der sich den Regeln der liberalen Sittsamkei­t ihrer Eltern verwehrt. Eine Debatte, die von den Beteiligte­n das Bekenntnis abfordert: »Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Kollegah und Farid Bang eine Schande für dieses Land sind«, verstärkt dieses Image nur noch.

Die Echo-Debatte wird mindestens unterschwe­llig mit antimuslim­ischen Tönen geführt. Nicht nur die »Bild« spricht von einem »importiert­en Antisemiti­smus« und verweist auf die Herkunft vieler Deutschrap­per; das Bild vom Israel hassenden, judenfeind­lichen Muslim ist auch in linken Kreisen kommod. Wer beständig von »Schande« spricht, wenn es um Antisemiti­smus geht, verfolgt jedoch nicht das Ziel von Aufklärung und Toleranz, sondern verfestigt seinerseit­s Vorurteile und grenzt aus. Vor gut vier Jahren geriet der Offenbache­r Rapper Aykut Anhan alias Haftbefehl in die Schlagzeil­en. In seinem Song »Psst!«,

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