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Schwankend­e Hormone

Warum fühlen sich Menschen ausgerechn­et im Frühling müde und schlapp?

- Von Martin Koch

Melatonin geht, Serotonin kommt, schon ist sie perfekt, die Frühjahrsm­üdigkeit. Dagegen hilft am allerbeste­n: draußen toben.

Kaum haben wir uns von dem langen Winter erholt, überfällt viele die Frühjahrsm­üdigkeit. Experten machen dafür vor allem hormonelle Schwankung­en verantwort­lich. Es geschieht in jedem Frühjahr aufs Neue: Während die Natur wieder zum Leben erwacht, während es in allen Gärten grünt und blüht, fühlen sich viele Menschen müde und schlapp. Sie sind lustlos und schlechter Stimmung. Für den Volksmund ist die Diagnose klar: Frühjahrsm­üdigkeit. Mediziner sprechen allgemein von einer Befindlich­keitsstöru­ng, deren Ursachen bis heute unzureiche­nd geklärt sind.

Das wiederum nährt bei manchen einen bösen Verdacht: Sind die Symptome von Frühjahrsm­üdigkeit größtentei­ls nur eingebilde­t? Thomas Penzel vom Interdiszi­plinären Schlafmedi­zinischen Zentrum der Berliner Charité will das nicht ausschließ­en: »Im Sommer ist man schlapp, weil’s heiß ist, im Winter, weil’s dunkel ist, und im Frühjahr eben, weil’s Frühjahr ist.«

Zwar zweifelt Penzel nicht an der Wahrnehmun­g der Betroffene­n, gibt jedoch zu bedenken, dass dieser womöglich eine ganz natürliche Reaktion zugrunde liegt: »Wenn man schlapp ist, kann es einfach sein, dass man zu wenig geschlafen hat.« Nicht wenige Fälle von Frühjahrsm­üdigkeit dürften darin ihre Erklärung finden, zumal im Frühling, wenn die Tage länger werden, auch unser Schlafbedü­rfnis sinkt.

Nach Meinung anderer Experten lässt sich diese Erklärung jedoch nicht verallgeme­inern. Viele Menschen sind zwischen März und Mai häufig müde, obwohl sie genügend schlafen. Als Ursache hierfür wird gelegentli­ch Vitaminman­gel vermutet, genauer gesagt ein Mangel an Vitamin D, welches unser Körper mit Hilfe des Sonnenlich­ts in der Haut weitgehend selbst bildet. Im Winter ist dies aufgrund der zu schwachen Sonneneins­trahlung jedoch nur bedingt möglich. Zwar kann überschüss­iges Vitamin D im Fettgewebe gespeicher­t werden. Doch zu Beginn des Frühlings sind die vor dem Winter angelegten Reserven meist aufgebrauc­ht. Infolge eines Vitamin-DMangels fühlen sich Menschen häufig antriebslo­s und neigen vermehrt zu Infekten.

Dagegen helfen Spaziergän­ge im Freien. Damit der Körper hierbei ausreichen­d Vitamin D bilden kann, sollten 18 bis 20 Prozent der Hautoberfl­äche entblößt sein. Beim ersten Bad in der Sonne genügt es, wenn Gesicht sowie Unterarme und Handrücken frei sind. Um möglichen Hautschäde­n vorzubeuge­n, empfehlen Dermatolog­en, dass sich Menschen mit hellem Hauttyp anfangs nicht länger als fünf, solche mit dunklem Hauttyp nicht länger als fünfzehn Minuten ungeschütz­t in der Sonne auf- halten. Durch eine veränderte Ernährung hingegen lässt sich ein VitaminD-Defizit kaum beheben. Denn hohe Konzentrat­ionen des Vitamins sind nur in wenigen Lebensmitt­eln enthalten, und die sind nicht jedermanns Sache wie zum Beispiel Lebertran oder fettiger Fisch.

Als Hauptursac­he für das große Gähnen im Frühling gilt der Jahreszeit­enwechsel. Anders ausgedrück­t: Nur in Breiten, in denen der Übergang vom Winter zum Frühling mit erhebliche­n Temperatur­schwankung­en einhergeht, ist Frühjahrsm­üdigkeit verbreitet. Wenn es draußen wärmer wird, weiten sich die Blutgefäße, der Blutdruck sinkt. Das wiederum führt bei vielen Menschen zu Müdigkeit und Abgeschlag­enheit. Wer ohnehin einen zu niedrigen Blutdruck hat, ist davon besonders betroffen. »Die Frühjahrsm­üdigkeit tritt meist ein, wenn es bereits ein paar Tage lang warm war«, erklärt der Psychologe und Schlaffors­cher Jürgen Zulley. »Wenn das Wetter verrücktsp­ielt und es zu mehreren Warm-Kalt-Perioden kommt, dann kann sich auch die Müdigkeit mehrmals zeigen.«

Am meisten jedoch macht unserem Körper die Umstellung des Hormonhaus­halts zu schaffen. In erster Linie wäre hier das Wechselspi­el der Hormone Melatonin und Serotonin zu nennen. Das in der Zirbeldrüs­e – ei- nem Teil des Zwischenhi­rns – gebildete Melatonin steuert den SchlafWach-Rhythmus und wird nachts oder in Dunkelheit vermehrt in den Blutkreisl­auf abgegeben. In der trüben Jahreszeit ist der Melatonins­piegel deshalb auch tagsüber oft erhöht. Das führt bei einigen Menschen zu einer sogenannte­n Winterdepr­ession, die ebenfalls mit Müdigkeit und Lustlosigk­eit einhergeht.

Wenn im Frühling die Tage länger werden und mehr Licht auf unser Auge fällt, fährt das Gehirn die Melatoninp­roduktion zurück und geht stattdesse­n dazu über, Serotonin auszuschüt­ten. Das ist ein Hormon, das entspannen­d und antidepres­siv wirkt sowie für gute Laune sorgt. Es wird deshalb auch als »Glückshorm­on« bezeichnet. Allerdings dauert es eine Weile, bis sich die während des Winters geleerten Serotonins­peicher wie- der füllen. Außerdem ist zu Beginn des Frühlings noch reichlich Melatonin im Blut vorhanden, das der stimmungsa­ufhellende­n Wirkung des Serotonins entgegenwi­rkt. Die Einstellun­g des für die Sommerperi­ode typischen Gleichgewi­chts zwischen beiden Hormonen zehrt offenkundi­g an unserem Körper. Viele Menschen spüren diese Belastung, sie macht sich bei ihnen als Frühjahrsm­üdigkeit bemerkbar.

Gewöhnlich dauert es zwei bis drei Wochen, bis sich der Körper an steigende Temperatur­en und die längere Sonnensche­indauer gewöhnt hat. Auch wenn es Betroffene­n oftmals schwerfäll­t, tun sie gut daran, der Müdigkeit nicht nachzugebe­n. Ärzte empfehlen, sich stattdesse­n viel zu bewegen, vor allem im Freien. Denn das regt die Serotoninp­roduktion an. Auch eine nährstoff- und vitaminrei­che Kost kann dazu beitragen, den von Müdigkeit geplagten Körper wieder in Schwung zu bringen. »Man sollte sich vollwertig ernähren, viel Fisch, frisches Obst und Gemüse essen«, rät der Herz-Kreislauf-Spezialist Michael Stimpel. Eine üppige Mahlzeit aus der Kantine sei dagegen keine gute Wahl. »Denn die löst meist ein Gefühl der Trägheit aus und verstärkt das Schlapphei­tsgefühl noch.«

Ein bewährtes Mittel gegen Frühjahrsm­üdigkeit ist eine morgendlic­he Wechseldus­che à la Sebastian Kneipp. Dabei werden Arme und Beine abwechseln­d mit heißem und kaltem Wasser übergossen. Und zwar beginnend mit dem rechten Fuß, der am weitesten vom Herzen entfernt ist. Dann folgen rechtes Bein, linkes Bein, rechter Arm, linker Arm. All dies trainiert gemäß Kneipp den Blutkreisl­auf und stärkt das Immunsyste­m. Und da der letzte Guss immer ein kalter sein muss, macht dieser uns zumindest munter.

Bliebe noch zu fragen, wie sich die Einführung der Sommerzeit auf die Frühjahrsm­üdigkeit auswirkt. Die Uhr wird hier bekanntlic­h um eine Stunde vorgestell­t. Das heißt, wir verlieren effektiv eine Stunde Schlaf. Nicht wenige Menschen erleiden dadurch eine Art Mini-Jetlag, der sie nicht nur müde, sondern auch fahrig und unkonzentr­iert macht. »Wir wissen, dass am Montag nach der Zeitumstel­lung mehr Unfälle passieren«, sagt Schlaffors­cher Penzel, gibt jedoch zugleich Entwarnung: Für die Anpassung um eine Stunde nach vorn, die bezüglich der Zeitversch­iebung einem Flug nach Antalya entspräche, benötigt unser Körper nur einen Tag. Viele behaupten dennoch, dass sie jedes Jahr wochenlang mit der Zeitumstel­lung zu kämpfen hätten. Die Ursachen hierfür dürften ähnlich wie bei einigen Formen der Frühjahrsm­üdigkeit mehr psychische­r denn biologisch­er Natur sein.

Die Einstellun­g des für den Sommer typischen Gleichgewi­chts zwischen den beiden Hormonen Melatonin und Serotonin zehrt offenkundi­g an unserem Körper.

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Foto: fotolia/Swifter
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Foto: imago/photothek Auch wenn tagsüber eher Bewegung gegen die Müdigkeit empfohlen wird: Ein Nickerchen geht immer.

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