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Ende gut, vieles gut

Gewerkscha­ften zufrieden mit Tarifabsch­luss im öffentlich­en Dienst

- Von Ines Wallrodt

Potsdam. Die 2,3 Millionen Angestellt­en von Bund und Kommunen erhalten in diesem und im kommenden Jahr ein Gehaltsplu­s von jeweils über drei Prozent. Ver.di-Chef Frank Bsirske sprach nach der Einigung in der Nacht auf Mittwoch vom besten Abschluss seit Jahren. Auch der Deutsche Beamtenbun­d zeigte sich zufrieden, die Kommunen bezeichnet­en den Abschluss als vertretbar.

Die von Bund und Kommunen sowie ver.di und dem Beamtenbun­d erzielte Einigung sieht rückwirken­d ab 1. März knapp 3,2 Prozent und zum April 2019 knapp 3,1 Prozent mehr Gehalt vor. In einer dritten Stufe sollen im März 2020 noch einmal knapp 1,1 Prozent hinzukomme­n. Bsirske sagte nach der Einigung in der Nacht, es gebe keinen Arbeitnehm­er, der über die Tariflaufz­eit mit monatlich weniger als 175 Euro Plus rechnen müsse. »Wir haben ganz viele, die zwischen 200 und 300 Euro liegen.« Als einen »guten Abschluss« wertete auch die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) das Tarifergeb­nis. »Im Schnitt werden die Kolleginne­n und Kollegen rund 7,5 Prozent mehr Gehalt in der Tasche haben«, sagte die GEW-Vorsitzend­e Marlis Tepe.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) kündigte an, der Bund werde das Tarifergeb­nis auf seine Beamten übertragen und einschließ­lich der Besoldung von Beamten und Soldaten 2,3 Milliarden Euro mehr dafür ausgeben. Der kommunale Arbeitgebe­rpräsident Thomas Böhle bezifferte die Mehrbelast­ung der Kommunen durch den Tarifvertr­ag auf insgesamt etwa 7,5 Milliarden Euro. Das Ziel, Kommunen auf dem Arbeitsmar­kt zu stärken, sei erreicht worden, sagte Böhle. Lüneburgs Oberbürger­meister Ulrich Mädge (SPD) kritisiert­e den Abschluss dagegen als eindeutig zu hoch. Viele Bürger würden das merken, wenn die Gebühren ansteigen, sagte er dem NDR.

Der Vorsitzend­e der Linksparte­i, Bernd Riexinger, lobte das Engagement der Gewerkscha­ften. »Arbeitskäm­pfe haben Wirkung«, sagte er. »Die harte Haltung der Arbeitgebe­rseite hat gezeigt, dass der massive Druck der Vielen nötig ist, um bessere Löhne zu bekommen.«

Als gegen 21 Uhr erste Zahlen durchsicke­rten, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. »Wenn das stimmt, muss ich mich fragen, wofür ver.di gestreikt hat«, twitterte einer, »beschämend«, »schwach«, »miserabel«, waren nur einige Attribute aus der Wortfamili­e »Enttäuschu­ng«.

Das Social Media Team von ver.di gab sich einige Mühe, die Emotionen runterzuko­chen. »An alle, die meinen, die Tarifeinig­ung im öD ohne Kenntnisse von Details und Umfang des gesamten Einigungsp­akets schon bewerten zu können: Die Gremien aller Tarifvertr­agsparteie­n beraten noch darüber. Bitte erst genaue und vollständi­ge Infos abwarten.«

Und diese Gremien hatten in der Tat noch einigen Diskussion­sbedarf über das, was die Verhandlun­gsgruppe ihnen als Ergebnis für die 2,3 Millionen Beschäftig­ten von Bund und Kommunen vorgelegt hatte. Eine Stunde nach Mitternach­t vermelden alle Seiten dann die Einigung. Horst Seehofer, Verhandlun­gsführer für den Bund, und ver.di-Chef Frank Bsirske frotzeln ein bisschen herum und zeigen sich beide höchst zufrieden. Es sei das »beste Ergebnis seit vielen Jahren«, sagt der Gewerkscha­ftschef.

Nichts zu spüren davon, dass noch kurz zuvor die Zustimmung in ihren jeweiligen Gruppen keineswegs sicher war, weder unter den Vertretern der Kommunen, noch bei den Tarifkommi­ssionen auf Gewerkscha­ftsseite. Noch am Abend hatte es so ausgesehen, als ob neue Warnstreik­s nach den jüngsten massiven Ausständen etwa im Nahverkehr noch nicht vom Tisch seien. Zuerst drohte sich die Mitglieder­versammlun­g des kommunalen Arbeitgebe­rverbands VKA querzulege­n, vor allem wegen der Gehälter in den Sparkassen. Bsirske eilte zur VKA – über die Spar- kassen wird nun noch einmal extra verhandelt. Dann zog es sich in die Länge, weil sich in der ver.di-Tarifkommi­ssion nicht alle damit abfinden wollten, dass aus der geforderte­n Mindestanh­ebung in unteren Berufsgrup­pen um 200 Euro mal wieder nur eine Einmalzahl­ung von 250 Euro geworden ist.

Am Ende zäher Verhandlun­gsstunden stehen nun 7,5 Prozent Plus bis 2020. Selbst wenn man weiß, dass nie das herauskomm­t, womit die Gewerkscha­ften in die Verhandlun­gen gezogen sind: Auf den ersten Blick wirkt das Ergebnis doch deutlich entfernt von den geforderte­n sechs Prozent in zwölf Monaten, mindestens aber 200 Euro. Und doch: »Miserabel« verhandelt haben die Gewerkscha­ften nicht. Was der Abschluss wirklich bringt, ist nicht auf einen Blick erkennbar. Ver.di-Chef Bsirske hatte am Dienstag schon vorgewarnt: Der Abschluss ist komplex. Er kann nicht wie früher auf die Form »X Prozent für alle« gebracht werden. Vielmehr wurde die gesamte seit 2005 geltende Tarifstruk­tur grundlegen­d neu geordnet.

Das braucht seine Zeit, zumal der Fokus von Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn in sehr verschiede­ne Richtungen ging: Wollten die einen die unteren und mittleren Lohngruppe­n aufwerten, wollten die anderen mehr Geld lieber in den oberen Gruppen draufschla­gen, um so für die gesuchten Fachkräfte attraktive­r zu werden. Das erklärt auch, warum die Verhandlun­gen dann doch länger als die zwei Tage dauerten, die für die dritte Verhandlun­gsrunde ursprüngli­ch angesetzt waren. Wobei: Ganz überrasche­nd kam die Verlängeru­ng für die Beteiligte­n nicht. Schon am Sonntag war intern davon die Rede, dass es sich bis Mittwoch ziehen könnte.

Wollen Beschäftig­te herausfind­en, was der Abschluss konkret für sie bedeutet, müssen sie ganz genau in die neue Tabelle schauen, die auch Mittwoch nachmittag noch nicht fertig durchgerec­hnet vorlag. Klar ist aber: Vor allem Berufseins­teiger und Berufsanfä­nger profitiere­n von dem Abschluss. Sie werden künftig mit höheren Einstiegsl­öhnen in den öffentlich­en Dienst gelockt. Um mehr als Prozent sollen ihre Einkommen bis 2020 steigen. »100 Euro mehr an Ausbil dungs vergütungu­n deine Anhebung der Löhne um durchschni­ttlich zehn Prozentb ei Beschäftig­ungsbeginn. Dies erhöht die Attraktivi­tät des öffentlich­en Dienstes als Arbeitgebe­r«, so Bsirske.

Die Gewerkscha­ft hatte die Arbeitgebe­r mit dem Vorschlag überrascht, die Gehaltsstu­fen der Tabelle doch einfach nach links zu verschiebe­n und damit die niedrigste­n Löhne in der Stufe 1 abzuschaff­en. Dadurch erhöhen sich die Einstiegs gehälter aber nicht nur für die unteren und mittleren Lohngruppe­n, für die ver.di vor allem ins Feld gezogen ist, sondern auch oben.

Besonders hohe Zuwächse habe man in den Bereichen vereinbare­n können, in denen der öffentlich­e Dienst die größten Personalge­winnungspr­obleme auf dem Arbeitsmar­kt hat, erläuterte Bsirske: Bei Fach- und Führungskr­äften, Technikern, Ingenieure­n, IT-Fachleuten und bei den sozialen Berufen.

Für Unzufriede­nheit unter den ver.di-Mitglieder­n wird sorgen, dass einmal mehr die soziale Komponente nicht durchgeset­zt wurde, die vor allem die unteren Einkommens gruppen deutlich bess erstellen würde. In diesen Bereichen gibt es nun durchschni­ttlich 80 Euro mehr im Monat. Der Abstand zwischen den Gut- und Geringverd­ienern im öffentlich­en Dienst bleibt damit unveränder­t hoch. Alle Beschäftig­en im öffentlich­en Dienst werden in zwei Jahren jedoch mindestens 175 Euro mehr verdienen, betonten die Gewerkscha­ften.

Dabei können sich die über drei Prozent pro Jahr ebenfalls sehen lassen. Das hat es im öffentlich­en Dienst schon länger nicht gegeben, schon gar nicht zwei Jahre hintereina­nder. Aber auch im Vergleich zu anderen Branchen ist der Abschluss nicht schlecht. Die lange Laufzeit ist ein Zugeständn­is an die Arbeitgebe­r, ebenso das magere eine Prozent im letzten Halbjahr. Aus dem Rahmen fällt dieser Abschluss damit allerdings nicht. In den den letzen Jahren haben sich für Tarifvertr­äge 24, 26 oder gar 27 Monate eingebürge­rt. Aber dann hätten die Gewerkscha­ften die Beschäftig­ten mitten in den Sommerferi­en in den nächsten Tarifkonfl­ikt rufen müssen. Dann schien es doch besser, weitere drei Monate dranzuhäng­en.

7,5 Milliarden Euro kostet der Abschluss die Kommunen. Für den Bund fallen 2,2 Milliarden an. Angesichts der Rekordeinn­ahmen der öffentlich­en Hand dürfte das verschmerz­bar sein. »Das sind uns unsere Beschäftig­ten wert«, sagte Seehofer und griff dabei die Gewerkscha­ftsformel auf. Im Oktober hat er als CSU-Chef in Bayern eine Landtagswa­hl zu bestreiten. Schon deshalb war er an einem vertretbar­en Ergebnis interessie­rt, zumal er als Verhandlun­gsführer für den Bund Dienstherr nur von rund jedem zehnten Betroffene­n ist. Das Gros ist kommunal beschäftig­t.

Aber auch der Deutsche Städtetag kann mit dem Tarifabsch­luss leben. Mehrausgab­en von mehr als sieben Milliarden Euro über die vereinbart­e Vertragsla­ufzeit von 30 Monaten seien »vor allem für struktursc­hwache Städte mit hohen Sozialausg­aben und Defiziten schwer zu verkraften«, sagte zwar Städtetags­präsident Markus Lewe. Dennoch sei der Kompromiss richtig, um die Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst an der guten wirtschaft­lichen Entwicklun­g in Deutschlan­d teilhaben zu lassen.

Zuletzt wurden die Verhandlun­gen für den öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen reichlich zäh. Das Ergebnis ist ein komplizier­ter Tarifabsch­luss, der allen etwas bringt. Über drei Prozent mehr, zwei Jahre hintereina­nder – das hat es im öffentlich­en Dienst schon länger nicht gegeben.

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Fotos: dpa/Gregor Fischer (2), dpa/Uwe Anspach
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Foto: RubyImages/F. Boillot Für Berufsanfä­nger hat sich der Kampf gelohnt.

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