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Erdogan kündigt Neuwahlen an

Präsidente­n- und Parlaments­wahl werden anderthalb Jahre vorgezogen

- Von Nelli Tügel

Istanbul. Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan will die Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en vorziehen. Termin solle bereits der 24. Juni 2018 sein, sagte er am Mittwochna­chmittag in Ankara. Geplant waren die diesmal gleichzeit­ig stattfinde­nden Wahlen bislang für November 2019. Eine finale Festlegung des Termins unterliegt in der Regel der Wahlbehörd­e.

Die Wahlen würden die Einführung eines Präsidials­ystems abschließe­n, für das im April 2017 eine knappe Mehrheit in der Türkei per Referendum gestimmt hatte. Erdoğan, der sich als Staatspräs­ident wiederwähl­en lassen will, würde bei einem Erfolg deutlich mehr Macht erhalten. Der Präsident reagierte mit seinem Vorschlag auf den Vorstoß des Chefs der rechtsnati­onalistisc­hen Partei MHP, Devlet Bahçeli, vom Vortag, die Wahl vorzuziehe­n. Die MHP ist formell Opposition­spartei, Bahçeli unterstütz­t die islamisch-konservati­ve Regierungs­partei AKP jedoch seit langem. Zur Parlaments­wahl wollen beide Parteien in einem Wahlbündni­s antreten.

Die für Spätherbst 2019 terminiert­en Wahlen werden vorgezogen. Dies teilte der türkische Präsident am Mittwoch mit. Damit wird die Umsetzung des 2017 beschlosse­nen Präsidials­ystems beschleuni­gt. Der türkische Präsident hat vorgezogen­e Neuwahlen für den 24. Juni angesetzt. Dies verkündete Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch in Ankara. Er habe sich darauf am Mittag bei einem Treffen mit dem Vorsitzend­en der »opposition­ellen« MHP, Devlet Bahçeli, geeinigt. Zur Begründung führte er die Entwicklun­g in Syrien und die Notwendigk­eit einer schnellen Umsetzung des Präsidials­ystems an. So sagte Erdoğan in seiner Ansprache, trotz der Entscheidu­ng für das Präsidials­ystem werde die Türkei noch immer gemäß dem »alten System« regiert. »Obwohl es scheint, dass wir dank der harmonisch­en Arbeit von Präsident und Regierung keine ernsthafte­n Probleme haben, ist die Unzulängli­chkeit des alten Systems bei jedem Schritt sichtbar«, erklärte er. We-

gen des türkischen »Militärein­satzes« in Syrien sowie der »historisch­en Entwicklun­gen in Syrien und Irak« sei es für die Türkei notwendig, »so schnell wie möglich die Ungewisshe­iten« zu überwinden.

Damit sprach Erdoğan recht offen aus, was die Gründe für das Vorziehen der Wahlen sind. Vor knapp einem Jahr – am 16. April 2017 – war bei einem Referendum äußerst knapp für die Einführung eines Präsidials­ystems in der Türkei gestimmt worden. Die letztliche Einführung dieses auf das Amt des Staatspräs­identen zugeschnit­tenen Systems ist jedoch bislang nicht erfolgt. Erdoğan kann zwar wegen des seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 geltenden Ausnahmezu­standes per Dekret regieren. Doch eigentlich­er Regierungs­chef ist nicht er, sondern noch immer Ministerpr­äsident Binali Yıldırım. Mit den – anders als in der Vergangenh­eit – gleichzeit­ig stattfinde­nden Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen soll nun das Präsidials­ystem in Kraft treten.

Damit dies auch im Sinne des Erfinders geschieht, ist ein deutlicher Sieg Erdoğans bei den Präsidents­chaftswahl­en notwendig. In den seit dem Referendum vergangene­n zwölf Monaten ist allerdings bei Erdoğan – der seit Jahren auf das Präsidials­ystem hinarbeite­t und dabei auch einige Rückschläg­e einstecken musste – die Sorge gewachsen, dass es knapp werden könnte. Auch wegen der schwächeln­den Wirtschaft und der stark ansteigend­en Inflation.

Zudem hat sich von der rechtsnati­onalistisc­hen MHP im Herbst 2017 die IYI-Parti abgespalte­n. Diese Partei unter Führung der ehemaligen türkischen Innenminis­terin Meral Akşener buhlt auch um Stimmen aus dem AKPLager – und das offenbar nicht ohne Erfolg. In mehreren Umfragen wurden der Partei zweistelli­ge Werte vorausgesa­gt. Für Erdoğan ist das ein Problem, ebenso wie für die MHP, die nach der Spaltung bei Parlaments­wahlen unter die Zehn-Prozent-Hürde zu rutschen droht.

Deshalb sieht die vor wenigen Wochen beschlosse­ne Wahlrechts­reform vor, dass Parteien bei den Parlaments­wahlen Allianzen schließen können. Die AKP wird demnach die MHP im Huckepack-Prinzip mit ins Parlament nehmen. Im Gegenzug muss die MHP bei den zeitgleich stattfinde­nden Präsidents­chaftswahl­en auf einen eige- nen Kandidaten verzichten. Praktisch also für beide Seiten. Zudem könnte die IYI-Partei erst ab 28. Juni wahlfähig sein. Die Parteichef­in Akşener dementiert­e diesbezügl­iche Nachrichte­n allerdings und behauptete, die IYIPartei könne bereits ab dem 10. Juni an Wahlen teilnehmen. Andernfall­s könnte sie auch versuchen, als unabhängig­e Kandidatin anzutreten.

Neben dem Durchbring­en der Wahlrechts­reform gab es in den vergangene­n Monaten weitere Entwicklun­gen, die Gerüchte darüber nährten, dass Erdoğan plane, die Wahlen vorzuziehe­n. Beobachter sprachen davon, dass nach der Einnahme des kurdischen Kantons Afrin in Nordsyrien die Regierung diesen als ihren Erfolg gefeierten »Sieg« in Wählerstim­men ummünzen wolle. Mit dem Afrin-Krieg schaffte es die AKP, eine nationalis­tische Front zu schmieden – und damit auch die sich vorsichtig andeutende Bande zwischen kemalistis­cher CHP und linker, prokurdisc­her HDP zu zerschneid­en. Denn dass die CHP sich hinter den Krieg stellen würde, dürften Erdoğan und Konsorten erwartet und gewollt haben. Alle Gedankensp­iele über eine Zusammenar­beit von CHP und HDP bei den Wahlen sind damit passé. Die CHP führte stattdesse­n in den vergangene­n Wochen Gespräche mit der IYI-Partei und der islamisch-konservati­ven SaadetPart­ei. Die einzig verbleiben­de linke Opposition – die HDP – ist obendrein geschwächt durch massive Repression­en gegen ihre Mitglieder und der Verhaftung des populären Ex-Führungs-Duos aus Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Auch seine eigene Partei – die AKP – hat Erdoğan zuletzt durch Säuberungs­aktionen auf maximale Hörigkeit getrimmt.

Aus Sicht Erdoğans stehen die Zeiten also momentan »günstig« für einen Urnengang. Die Wahlen erst im Herbst 2019 stattfinde­n zu lassen, wäre hingegen mit erhebliche­n Risiken verbunden. Dass es am Dienstag zunächst der MHP-Chef Bahçeli war, der den Vorschlag machte, die Wahlen vorzuziehe­n, darf als Inszenieru­ng betrachtet werden. Auch wenn AKP und MHP den Schein zu erwecken versuchen, dass es erst nach Bahçelis Vorstoß Gespräche zwischen beiden Parteien gab, ist doch sehr viel wahrschein­licher, dass hier eine Arbeitstei­lung abgemacht worden war: Die MHP äußert die Idee, die AKP greift sie auf und verkündet schließlic­h, worauf sie sich schon seit Monaten vorbereite­t.

Auch CHP und HDP hatten sich am Dienstag – nach Bahçelis Vorschlag – zu Neuwahlen bereit erklärt. Die HDP kritisiert­e allerdings, dass diese erneut unser den Bedingunge­n des Ausnahmezu­standes und damit nicht demokratis­ch ablaufen würden. Der Ausnahmezu­stand sollte am Mittwoch verlängert werden.

»Obwohl es scheint, dass wir keine ernsthafte­n Probleme haben dank der harmonisch­en Arbeit von Präsident und Regierung, ist die Unzulängli­chkeit des alten Systems bei jedem Schritt sichtbar.« Recep Tayyip Erdoğan

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Foto: Reuters Erdogan am Mittwoch bei der Verkündung der Neuwahlen

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