nd.DerTag

Angriff auf den Flüchtling­sdeal

Sebastian Bähr über ein Urteil zur Bewegungsf­reiheit von Migranten

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Überbelegu­ng, fehlende Grundverso­rgung, Gewalt – die Situation in den Flüchtling­slagern auf den griechisch­en Ägäisinsel­n ist katastroph­al. Auf Interesse stößt das Elend der eingepferc­hten Schutzsuch­enden und der Inselbewoh­ner kaum noch. Athen, Brüssel und Berlin nehmen das in Kauf, um den Deal zwischen der EU und der Türkei nicht zu gefährden. Flüchtling­e gegen Geld, so einfach wie brutal. Der griechisch­e Gerichtsho­f hat sich nun jedoch in einem bemerkensw­erten Urteil für die Bewegungsf­reiheit der – zumindest neuankomme­nden – Asylbewerb­er stark gemacht. Und damit Menschenre­chte verteidigt. Dies ist ein starker symbolisch­er Sieg, stellt die Entscheidu­ng doch die Grundvorau­ssetzung für den Deal in Frage. Nur Geflüchtet­e, die sich auf den Ägäisinsel­n befinden, können in die Türkei abgeschobe­n werden.

Ist damit der Flüchtling­sdeal Geschichte? Vermutlich nicht. Die EU und speziell Berlin werden wahrschein­lich nach Wegen suchen, um die Rechtsprec­hung zu umgehen und Druck auf Athen auszuüben. Es wäre nicht das erste Mal, dass widerspens­tige griechisch­e Institutio­nen zurechtgew­iesen werden. Als in der Vergangenh­eit griechisch­e Asylaussch­üsse die Türkei nicht als sicheres Drittland anerkannte­n und Abschiebun­gen stoppten, machte die EU kurzen Prozess: Die Entscheidu­ngshoheit wurde einfach auf neue, »loyale« Ausschüsse übertragen. Das europäisch­e Abschottun­gsregime lässt sich bisher weder von Völkerrech­t noch von nationalem Recht beeindruck­en.

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