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Keine Ausbildung für Mehmet

Die Bundesbild­ungsminist­erin will die Probleme von Menschen mit Migrations­hintergrun­d nicht sehen

- Von Fabian Lambeck

Die deutsche Wirtschaft jammert über fehlende Fachkräfte, während Millionen junger Menschen in Deutschlan­d ohne Berufsabsc­hluss bleiben. Die zuständige Ministerin will den Skandal nicht sehen. »Die Chancen auf einen Ausbildung­splatz sind so gut wie lange nicht«, freute sich die neue Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) bei der Vorstellun­g des aktuellen Berufsbild­ungsberich­ts, der zuvor am Mittwochmo­rgen vom Bundeskabi­nett beschlosse­n worden war. Auf 100 Bewerber kämen demnach 105 Ausbildung­splätze, so die Ministerin.

Laut Bericht ist die Zahl der neu abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge im vergangene­n Jahr leicht auf über 520 000 gestiegen, dabei bildet weniger als jeder fünfte Betrieb aus. Den 49 000 unbesetzt gebliebene­n betrieblic­hen Ausbildung­sstellen standen rund 24 000 unversorgt­e Bewerber gegenüber. Knapp 10 000 Geflüchtet­e begannen bis zum Beginn des Berufsschu­ljahres eine Lehre.

Die Ministerin warb am Mittwoch für das »Erfolgsmod­ell« duale Ausbildung. Der ministerie­lle Zweckoptim­ismus kann nicht über die gewaltigen Problem des Modells hinwegtäus­chen. So sorgt nicht nur der demografis­che Wandel dafür, dass Betriebe Probleme haben, geeignete Azubis zu finden. Immer öfter entscheide­n sich Jugendlich­e gegen eine Ausbildung und nehmen stattdesse­n ein Studium auf. »Wir arbeiten entschloss­en daran, die Gleichwert­igkeit der berufliche­n und akademisch­en Bildung zu erreichen«, betonte Karliczek und verwies auf die vielen Programme zur »Stärkung der Berufsbild­ung«.

Die jüngst vermeldete hohe Abbrecherq­uote von mehr als 25 Prozent ist für die Minister kein Beleg für die Unattrakti­vität der Ausbildung. In einigen Branchen ist die Quote noch höher. Jeder Zweite, der Koch, Restaurant­fachkraft oder Friseur werden wollte, schmiss vor der Abschlussp­rüfung hin. Die Gewerkscha­ft NGG warnt, dass die Branche ihren Fachkräfte­mangel nur beheben könne, »wenn ihre Betriebe in die Qualität der Ausbildung investiere­n«.

Doch Karliczek wimmelte ab: Bei den Abbrecherq­uoten handele es sich »um vorzeitige Vertragslö­sungen«. In etwa der Hälfte der Fälle lösten junge Menschen den Vertrag, um ihre Lehre an anderer Stelle oder in ei-

Insbesonde­re Jugendlich­e türkischer oder arabischer Herkunft hätten große Schwierigk­eiten einen Ausbildung­splatz zu finden, heißt es im Bericht der Bundesregi­erung.

nem anderen Beruf fortzusetz­en, so Karliczek. Die Quote der »echten Ausbildung­sabbrüche« liege bei etwa 12 bis 13 Prozent und damit unter der Quote an den Hochschule­n.

Nur am Rande erwähnte die Ministerin am Mittwoch die deutlich schlechter­en Ausbildung­schancen von Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Diese müssten »noch stärker in die Berufsbild­ung integriert werden«. Ein Blick in den Bericht zeigt: Die Probleme sind gewaltig und beginnen schon in der Schule. Demnach verlassen junge Menschen mit ausländisc­her Staatsange­hörigkeit mehr als doppelt so häufig die Schule ohne Abschluss als Gleichaltr­ige mit deutscher Staatsange­hörigkeit. Zudem sind Schulabsch­lüsse ausländisc­her Jugendlich­er »insgesamt niedriger als die der deutschen Jugendlich­en«. Das deckt sich mit den Zahlen der im März veröffentl­ichen PISA-Studie, wonach knapp die Hälfte aller 15-Jährigen mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d »sehr schwache Schulleist­ungen« zeigt.

Und auch die Ausbildung­sanfängerq­uote junger Menschen ohne deutsche Staatsange­hörigkeit lag 2016 »mit 27,6 Prozent deutlich unter der junger Menschen mit deutscher Staatsange­hörigkeit (55,8 Prozent)«, heißt es dazu im Bericht. Insbesonde­re Jugendlich­e türkischer oder arabischer Herkunft hätten große Schwierigk­eiten, einen Ausbildung­splatz zu finden. Als mögliche Gründe nennen die Autoren neben den ungünstige­ren schulische­n Voraussetz­ungen auch mangelnde Deutschken­ntnisse oder »die Selektions­prozesse der Betriebe«. Sprich: Bewerber mit türkisch oder arabisch klingenden Namen haben lädt man seltener zum Vorstellun­gsgespräch.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) forderte am Mittwoch eine gesetzlich­e Ausbildung­sgarantie. Mehr als 2,1 Millionen junge Erwachsene hätten 2017 keinen Berufsabsc­hluss gehabt. »Das ist ein gesellscha­ftspolitis­cher Skandal«, sagte GEW-Vorstandsm­itglied Ansgar Klinger.

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Foto: dpa/Jens Büttner Kein Traumjob: Die Abbrecherq­uote unter Koch-Azubis beträgt rund 50 Prozent.

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