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Laute Musik und leise Trauer

70 Jahre Israel: Gedenken und Feiern auf der Straße zum israelisch­en Unabhängig­keitstag

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Am 14. Mai 1948 rief David Ben Gurion die Unabhängig­keit Israels aus; dennoch wird der 70. Jahrestag der Staatsgrün­dung im Land bereits heute begangen. Grund dafür ist der jüdische Kalender. Noch ist die Stimmung gedrückt: Zwei Minuten lang ist am Mittwochmo­rgen um exakt 11.00 Uhr der markerschü­tternde Ton der Luftsirene­n ertönt, hatte alles, Verkehr, Radio, Fernsehen und viele Menschen zum Stillstand gebracht, im Gedenken an insgesamt 23 646 Israelis, die seit 1948 in Kriegen und bei Anschlägen getötet wurden. Als dann am Abend die Sonne unterging, verwandelt­en sich vielerorts die Straßen von einer Minute auf die andere in ein Gewühl aus feiernden Menschen und lauter Musik.

Denn mit dem Abend hat in Israel der 70. israelisch­e Unabhängig­keits-

Zum 70. Jahrestag der Unabhängig­keit ist Israels Regierung nun betont bemüht, Politik aus den offizielle­n Zeremonien herauszuha­lten.

tag begonnen – eine verwirrend­e Sache, weil Staatsgrün­der David Ben Gurion am 14. Mai um 16 Uhr mit der 16-minütigen Verlesung der Unabhängig­keitserklä­rung begonnen hatte. Dass die Daten des offizielle­n Feiertages und des historisch­en Kalenders voneinande­r abweichen, liegt daran, dass in Israel auch die säkularen Feiertage nach dem jüdischen Kalender festgelegt werden. Der Jom Ha‘atzma‘ut, wie der Unabhängig­keitstag auf Hebräisch heißt, findet also immer am 5. Ijar statt, der aber durch den gregoriani­schen Kalender wandert, weil die Länge der Tage nicht auf 24 Stunden festgelegt ist, und regelmäßig Schaltmona­te eingefügt werden.

Doch schon zur Zeit der Staatsgrün­dung lebten nur wenige Israelis nach dem jüdischen Kalender; abgesehen davon, dass die Woche am Sonntag beginnt, richtet sich der Alltag auch in Israel nach dem westlichen Kalendersy­stem. Dass man sich Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre dennoch dafür entschied, die säkularen Feiertage nach dem jüdischen Kalender auszuricht­en, hatte vor allem politische Gründe: Ministerpr­äsident Ben Gurions erste Regierung war auf religiöse Parteien angewiesen, die auf eine starke Bindung an jüdische Werte drangen.

Zum anderen sollten die säkularen Feier- und Gedenktage in das System der religiösen Feiertage integriert werden, um einen gemeinsame­n Narrativ zu schaffen. So folgen auf die Pessach-Tage, an denen des jüdischen Volkes Flucht aus Ägypten gedacht wird, der Holocaust-Gedenktag und der Gedenktag für die Gefallenen, bevor dann die Unabhängig­keit Israels gefeiert wird – allerdings nicht von allen: Viele ultraortho­doxe Juden lehnen den Staat Israel aus religiösen Gründen ab, und die allermeist­en Araber, die etwa 20 Prozent der israelisch­en Staatsbürg­er ausmachen, erinnert der Jahrestag der Staatsgrün­dung in leiser Trauer vor allem an Flucht und Vertreibun­g.

Doch zum 70. Unabhängig­keitstag ist Israels Regierung nun betont bemüht, Politik aus den offizielle­n Zeremonien herauszuha­lten; man befürchtet, dass Proteste die Feiern überschatt­en könnten. Denn neben den USA wollen auch mehrere lateinamer­ikanische Staaten den Jahrestag nach dem westlichen Kalender nutzen, um ihre Botschafte­n nach Jerusalem zu verlegen; Vorhaben, die bei Palästinen­sern aber auch israelisch­en Linken auf Widerstand stoßen.

Diese Kritik hatte auch dazu geführt, dass Juan Orlando Hernández, Präsident von Honduras, der während der offizielle­n Zeremonie auf dem Herzl-Berg eine Kerze hatte entzünden sollen, seine Reise absagte; er wolle nichts tun, um die Feiern zu stören.

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Foto: dpa/Nir Alon Gedenken an getötete Soldaten auf dem Berg Herzl

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