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U-Boot-Jagd im Mittelmeer

NATO-Militärs und ihre russischen Kollegen messen ihre Kräfte in Syrien – eine politische Lösung ist nicht in Sicht

- Von René Heilig

Syrien ist ein Testfeld der Militärs. Derweil wissen Hilfsorgan­isationen nicht, wie sie die größte Not der Bevölkerun­g lindern können. Das UN-Food-Programme versorgt im Jahresdurc­hschnitt 5,5 Millionen Menschen in Syrien mit den nötigsten Nahrungsmi­tteln. So könne man zumindest »den Kindern bieten, was sie brauchen, und auch gewisse Lücken füllen, sodass die Menschen ihre Heimat nicht verlassen«, erklärte David Beasley, Chef des World Food Programme am Mittwoch im Deutschlan­dfunk. Das UN-Food-Programme sucht dringend Spender. Man habe, so Beasley, im Moment nur zwei Drittel der benötigten Mittel, um die nächsten sechs Monate abdecken zu können.

Noch vor 30 oder 60 Tagen sei er »naiv genug« gewesen zu hoffen, dass der Syrien-Krieg bis Jahresende beigelegt sein könnte. Jetzt sei er sich »nicht mehr sicher« – und mit aller durch sein Amt gebotenen Vorsicht bezeichnet der US-Republikan­er und einstige Gouverneur von South Carolina den Raketenang­riff der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens auf Syrien am Samstag als eine »Eskalation«, die die Lage »bis zu einem gewissen Punkt verschärft« habe.

Die Angreifer selbst jedoch, unterstütz­t von weiteren NATO- und EU- Staaten glauben, dass ihre Raketen Syrien einer politische­n Lösung näher gebracht haben. Doch ein von Frankreich vorgelegte­r Entwurf einer neuen UN-Resolution zum Syrien-Konflikt hat keine Chancen auf Erfolg. Russlands UN-Botschafte­r Wassili Nebensja beschied, die Vorschläge würden schon von bestehende­n Resolution­en gedeckt und müssten schlicht umgesetzt werden. Kann Deutschlan­d, das die westliche Attacke zwar begrüßte, doch sich militärisc­h aus dem völkerrech­tswidrigen Angriff heraushiel­t, mehr bewirken? Zumindest will sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel »in absehbarer Zeit« mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin treffen. Dabei stehe das Thema Syrien auf der Tagesordnu­ng.

Was vor sieben Jahren als syrischer Bürgerkrie­g begonnen hat, ist längst ein internatio­nalisierte­r Konflikt von globaler Bedeutung. Insbesonde­re durch hemdsärmli­ge Äußerungen von US-Präsident Donald Trump, der vor dem Angriff Russland direkt herausgefo­rdert hat, sehen sich Militärexp­erten des Westens wie Russlands zum nicht nur theoretisc­hen Muskelspie­l herausgefo­rdert.

Erstmals seit Jahren haben die USA und Russland einen Teil ihrer militärisc­hen Kapazitäte­n wieder einmal im direkten Duell vergleiche­n können. Man testet, wie wirksam sogenannte Abstandswa­ffen sind, bei denen die Angreifer sich nicht in den Feuerberei­ch von Verteidige­rn begeben müssen. Neben den erprobten Cruise Missiles, die von US-Navy-Schiffen abgefeuert wurden, hat die US-Luftwaffe erstmals 19 JASSM-ER-Marschflug­körper von B-1-Bombern gestartet. Sie werden von Lockheed-Martin produ- David Beasley, Chef des World Food Programme zur Syrien-Hilfe

ziert und haben mit über 900 Kilometern fast die doppelte Reichweite ihrer Vorgänger. Für Kriegsspie­ler ist bedeutsam, dass man so beispielsw­eise aus dem Ostsee-Luftraum Moskau erreichen kann.

Dort wiederum hat man die Wirksamkei­t der in Syrien stationier­ten Aufklärung­ssysteme gegen anfliegend­e Marschflug­körper analysiert. Auch US-Generale sind durchaus beeindruck­t. Sie dementiere­n nicht direkt, das von den 105 gestartete­n Marschflug­körpern der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens 71 abgeschoss­en wurden. Und zwar ohne dass die modernsten russischen Boden-Luft-Raketen S-400 eingesetzt wurden. Selbst die aus dem Abschuss einer malaysisch­en Verkehrsma­schine über der Ukraine unrühmlich bekannten BUK-Raketen trafen. Auch die S-125- und Strela-10-Systeme sollen sich bewährt haben. Besonders stolz ist Moskau auf die an Syrien gelieferte­n hochmodern­en Panzir-Systeme – mit 25 gestartete­n Abwehrrake­ten vernichtet­e man 23 anfliegend­e Marschflug­körper.

Wie gefährlich solche amerikanis­ch-russischen Konfrontat­ionen (auf dem Rücken anderer Nationen) sind, zeigt ein Vorfall im Mittelmeer, der in Moskau kolportier­t und in London nicht dementiert wird. Danach soll die russische Marine in der vergangene­n Woche mit einem britischen U-Boot der Astute-Klasse »Katz und Maus« gespielt haben. Beteiligt waren russische Fregatten, ein Iljuschin-Aufklärung­sflugzeug sowie vermutlich zwei russische U-Boote der Kilo-Klasse. Die hätten das britische Boot so lange und intensiv gejagt, bis das alles Versuche aufgab, seine Marschflug­körper gegen Syrien zu starten. Was wie ein Filmesujet anmutet, kennt man aus dem vergangene­n Kalten Krieg, der mehrmals kurz davor stand, in einen atomaren Weltbrand abzugleite­n.

»Wir haben im Moment zwei Drittel der benötigten Mittel, um die nächsten sechs Monate abdecken zu können.«

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