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Forschung ignoriert Tropenkran­kheiten

Gegen Bilharzios­e, Lepra, Dengue-Fieber oder Tollwut fehlen Schnelltes­ts, Impfungen und Medikament­e

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Mehr als eine Milliarde Menschen leiden unter Tropenkran­kheiten, die von der Forschung vernachläs­sigt werden. Mediziner wünschen sich mehr deutsches Engagement und setzen Prioritäte­n.

Forscher haben mehr deutsches Engagement im Kampf gegen vernachläs­sigte Tropenkran­kheiten wie Bilharzios­e, Lepra, Dengue-Fieber oder Tollwut gefordert. Deutschlan­d liege mit der Forschungs­förderung in diesem Bereich deutlich hinter Industriel­ändern wie den USA, Frankreich oder Großbritan­nien, sagte der Leiter der Abteilung Infektions­epidemiolo­gie des Hamburger BernhardNo­cht-Instituts für Tropenmedi­zin, Jürgen May. Der Wissenscha­ftler sprach bei der Vorstellun­g einer Studie zur Einschätzu­ng des Beitrags deutscher Institutio­nen zur Erforschun­g von Tropenkran­kheiten in der vorigen Woche in Berlin.

Nach Angaben des Deutschen Netzwerks gegen vernachläs­sigte Tropenkran­kheiten haben weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen mindestens eine dieser Krankheite­n – die meisten von ihnen leben in Afrika und Südamerika. Ziel sei es, 20 Erkrankung­en »in einem überschaub­aren Zeitrahmen« auszurotte­n oder zumindest besser unter Kontrolle zu halten, heißt es in der Studie. Die Leiden werden durch Würmer, Parasiten, Pilze, Bakterien, Viren oder auch Gifte, etwa bei einem Schlangenb­iss, hervorgeru­fen. Impfungen gibt es den Angaben nach nur für zwei der Krankheite­n: Tollwut und DengueFieb­er. Auch Schnelltes­ts seien nur selten vorhanden.

May sagte, an manchen Orten sei eine »eisgekühlt­e Cola leichter zu bekommen als Medikament­e«. Er und 34 weitere an der Studie beteiligte Forscher setzen sich dafür ein, dass Deutschlan­d mehr Engagement bei der Entwicklun­g von Diagnostik­a, Impfstoffe­n und Medikament­en zeigt. Der Teufelkrei­s von Armut und Krankheit müsse durchbroch­en werden, betonte er.

Zu den wichtigste­n Tropenkran­kheiten gehört die Schlafkran­kheit, die durch den Stich infizierte­r Tsetseflie­gen auf den Menschen übertragen wird und unbehandel­t immer zum Tod führt. Laut Studie sind rund 60 Millionen Menschen in Regionen in Afrika südlich der Sahara davon bedroht. Die Zahl neu infizierte­r Menschen sei zwar auf deutlich unter 10 000 pro Jahr gesunken, doch Krieg, Vertreibun­g und Migration erhöhten das Risiko wieder.

Die Leishmanio­se, von der auch Bundeswehr­soldaten in Afghanista­n bedroht sind, ist nach Malaria die parasitäre Tropenerkr­ankung mit der weltweit zweithöchs­ten Todesrate. Zur Infektion kann ein Stich von Sandmücken führen. Rund 350 Mil- lionen Menschen leben in Risikogebi­eten, etwa 14 Millionen sind erkrankt. Da die rasche Entwicklun­g eines wirksamen und gut verträglic­hen Impfstoffs eher unwahrsche­inlich ist, setzen Mediziner hier auf Prävention­smaßnahmen und die frühzeitig­e Behandlung etwa der Wunden auf der Haut.

Beim Dengue-Fieber, für das die Zahl der jährlichen Infektione­n weltweit auf 390 Millionen geschätzt wird, gebe es nach wie vor keine zugelassen­e antivirale Therapie. Die Tollwut wäre nach Angaben der Forscher indes »zu 100 Prozent vermeidbar«. Dennoch gebe es jährlich mehrere Zehntausen­d Tote infolge einer Infektion.

Lepra sei mit einer bis zu einjährige­n Antibiotik­atherapie »komplett ausheilbar«. Trotzdem seien mindestens vier Millionen Menschen weltweit von Behinderun­gen und Diskrimini­erung durch die Krankheit betroffen. Die Bilharzios­e, bei der sich Saugwürmer im menschlich­en Körper stark vermehren, gefährde weiterhin bis zu 800 Millionen Menschen in Afrika, Südamerika und Asien.

Nach Angaben von May spielt bei der Bekämpfung dieser Krankheite­n nicht nur die Forschung eine entscheide­nde Rolle, wichtig seien auch der Zugang zu sauberem Wasser oder Prävention­smaßnahmen gegen Mückenstic­he oder die Infektion von Tieren mit den Erregern. Die Bundesregi­erung hat das Thema bereits ins Auge gefasst: Im Koalitions­vertrag haben Union und SPD angekündig­t, in die öffentlich­e Forschung zu investiere­n, »um insbesonde­re vernachläs­sigte und armutsbedi­ngte Krankheite­n zu bekämpfen«. Der Umfang der Förderung dieses Teilbereic­hs wird nicht genannt. Das Forschungs­ministeriu­m will die Studie bei künftigen Planungen berücksich­tigen.

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