nd.DerTag

Terrorgefa­hr von rechts

Reichsbürg­er und Neuköllner Neonazis größte Bedrohung

- Von Marie Frank

Seit Jahren wird Neukölln von einer rechtsextr­emen Anschlagse­rie heimgesuch­t. Ob dies als Rechtsterr­orismus zu werten ist, war am Mittwoch Thema im Ausschuss für Verfassung­sschuss. Terrorismu­s ist »der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgeset­zt werden sollen«. Nach dieser Definition der Verfassung­sschutzbeh­örden fällt die rechtsextr­eme Anschlagss­erie in Neukölln durchaus unter den Begriff Rechtsterr­orismus. Diese Einschätzu­ng vertritt auch Innensenat­or Andreas Geisel (SPD). »Wenn man von Rechtsterr­orismus spricht, muss in Berlin auch von der vermutlich rechtsextr­emistisch motivierte­n Straftaten­serie in Neukölln gesprochen werden«, so Geisel am Mittwoch im Ausschuss für Verfassung­sschuss zum Thema rechtsterr­oristische­s Potenzial in Berlin.

Seit nunmehr zwei Jahren kommt es in Neukölln immer wieder zu Angriffen durch Neonazis. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextr­emismus Berlin (MBR) sind im Rahmen dieser rechtsextr­emen Anschlagss­erie seit 2016 insgesamt 50 Angriffe bekannt geworden. Diese reichen von Bedrohunge­n durch Graffitis an und in Wohnhäuser­n über Stein- und Farbflasch­enwürfe durch Fenster bis hin zu Brandansch­lägen. Zuletzt gingen in der Nacht zum 2. Februar 2018 die Autos des Buchhändle­rs Heinz Ostermann und des LINKEN-Politikers Ferat Kocak in Flammen auf. Beide engagieren sich seit Jahren gegen Rechtsextr­emismus. Nur mit viel Glück kamen sie unverletzt davon.

»Der Verlust von Menschenle­ben wurde in Kauf genommen«, ist Matthias Müller von der MBR überzeugt. Ein relativ kleiner Kreis von Rechtsextr­emen habe es über einen sehr langen Zeitraum geschafft, unter den antifaschi­stisch Engagierte­n sehr große Verunsiche­rung und ein Bedrohungs­gefühl zu erzeugen. Für die Betroffene­n sei das ein massiver Leidensdru­ck. Jeder weitere Anschlag erinnere sie daran, was ihnen passiert ist, weiß Müller aus Berichten.

Innensenat­or Geisel äußerte am Mittwoch Verständni­s für die Forderung, die Anschlagse­rie als terroristi­sch einzustufe­n, verwies in der Sache jedoch auf die Zuständigk­eit des Generalbun­desanwalte­s. Die Anschläge würden derzeit noch nicht nach Paragraf 129a – Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g – verfolgt. Festzustel­len sei in Neukölln je- doch in eine deutliche Steigerung rechtsextr­emistische­r Straftaten, sowohl qualitativ als auch quantitati­v. »Ich schätze die Bedrohung, die von diesem Potenzial ausgeht, durchaus als hoch ein«, so Geisel.

»In Neukölln gibt es seit vielen Jahren eine aktive rechtsextr­eme Szene«, bekräftigt auch der Leiter des Verfassung­sschutzes Berlin, Bernd Palenda. Diese werde vom Verfassung­sschutz durchaus in den Blick genommen. Geholfen hat dies offensicht­lich jedoch nicht. Rechtsextr­eme Straftaten seien in Neukölln durchaus nichts Neues, sondern etwas, das »bedauerlic­herweise wieder ausgebroch­en ist«, so Palenda.

Die fehlenden Ermittlung­serfolge werden von Aktivisten wie der Anwohnerin­itiative »Hufeisern gegen Rechts« scharf kritisiert. »Es liegt nahe, dass der mangelnde Erfolg von Polizei und Justiz, Täter festzustel­len und vor Gericht zu bringen, von den Brandstift­ern offenbar als Ermutigung zur Fortsetzun­g ihrer Taten verstanden wird«, heißt es in einem Demonstrat­ionsaufruf für kommenden Samstag um 15 Uhr. Unter dem Mot-

»Wenn man von Rechtsterr­orismus spricht, muss auch von Neukölln gesprochen werden.«

Andreas Geisel, SPD

to »Gemeinsam gegen den rechten Terror in Neukölln« rufen Dutzende Initiative­n dazu auf, sich mit den Angegriffe­nen solidarisc­h zu zeigen und aktiv gegen rechtsextr­eme Aktivitäte­n im Bezirk vorzugehen.

Doch nicht nur die Anschläge in Neukölln sind Teil der rechtsterr­oristische­n Bedrohung in Berlin, auch die sogenannte Reichsbürg­erbewegung steht im Fokus der Verfassung­sschutzbeh­örden. Diese stellen laut Palenda insbesonde­re aufgrund ihrer Bereitscha­ft, Waffengewa­lt einzusetze­n, eine erhebliche Gefahr dar. Dies habe sich nicht zuletzt Mitte April bei den Razzien bei acht Reichsbürg­ern in Berlin, Brandenbur­g und Thüringen gezeigt. Zu den laufenden Verfahren wegen des Verdachts der Gründung einer rechtsterr­oristische­n Vereinigun­g sowie Verstößen gegen das Waffenrech­t könne man aus ermittlung­staktische­n Gründen keine Angaben machen. Der Verfassung­sschutz bemühe sich jedoch, diese Szene weiter aufzukläre­n und insbesonde­re ihr mögliches rechtsterr­oristische­s Potenzial aufzudecke­n, sagte Geisel.

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