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Der Direktor der KZ-Gedenkstät­ten mahnt

Günter Morsch warnt, die Naziverbre­chen auf den Holocaust zu reduzieren, und er warnt vor der AfD

- Von Wilfried Neiße

Im Mai verabschie­det sich Günter Morsch als Direktor der Stiftung brandenbur­gische Gedenkstät­ten in den Ruhestand. Am Mittwoch fand er zum Abschied Worte des Dankes und auch der Mahnung. Im Mai wird eine Instanz in den Ruhestand treten: Günter Morsch, Direktor der Stiftung brandenbur­gische Gedenkstät­ten. Etwa zeitgleich wird die Stiftung 25 Jahre alt. Bei einer Art Abschiedst­ermin am Mittwoch in der Potsdamer Staatskanz­lei sparte Morsch nicht mit Dankeswort­en, aber auch nicht mit Mahnungen.

Ausdrückli­ch warnte er davor, die Naziverbre­chen auf den Holocaust, also auf die Verfolgung und Vernichtun­g der Juden zu reduzieren. Eine solche Verengung greife unter den Besuchern um sich, und sie sei falsch. Was die Nazis ab 1933 aus einer Kulturnati­on machten, sei das »Armageddon der Spezies Mensch gewesen«, sagte Morsch. Es zeige, zu welch schrecklic­hen Verbrechen der Mensch fähig sei, und keineswegs sei eine solche Gefahr ein für alle Mal gebannt. Aus diesem Grunde warne er vor einem falschen »Erinnerung­sstolz«, den nicht wenige wie eine Standarte vor sich hertragen, fügte Morsch hinzu. Es gebe das Phänomen, dass sich inzwischen auch jene stark auf dem Erreichten in der Erinnerung­spolitik ausruhen, das 80 Jahre lang von Minderheit­en und Betroffene­n in der Bundesrepu­blik gegen durchaus heftige Widerständ­e erst erkämpft werden musste. Die vorherrsch­ende Meinung, man habe ja alles mustergült­ig aufgearbei­tet und könne sich nun quasi einen Schlussstr­ich leisten, mache den Weg frei für die Rapper Farid Bang und Kollegah, die trotz ihrer antisemiti­schen Texte mit dem Musikpreis »Echo« geehrt wurden.

Schließlic­h wandte sich Morsch energisch gegen alle Formen von Relativier­ung und Simplifizi­erung in der Geschichts­betrachtun­g. Wenn der 23. August zum Gedenktag aller autoritäre­r Systeme ernannt werde, sei das »historisch­er Unsinn« und Konstrukt eine »Metatheori­e«, die in der Gesellscha­ft keine sinnvolle Wirkung mehr entfalten könne.

Die Zahl der Besucher der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen sei von 170 000 im Jahr 1990 auf nunmehr 700 000 gestiegen, lobte bei dem Termin Kulturmini­sterin Martina Münch (SPD). In Zeiten, in denen Antisemiti­smus beängstige­nd um sich greife, seien Gedenkstät­ten wichtig, in denen vor Augen geführt werde, was aus dumpfen Parolen entstehen könne.

Zum heutigen Prinzip der Stiftungsa­rbeit sei man keineswegs auf leichten Wegen gelangt, blickte Morsch zurück. Es habe auf dem einstigen Appellplat­z tätliche Auseinande­rsetzungen zwischen früheren KZHäftling­en und ehemaligen Gefangenen des sowjetisch­en Speziallag­ers Sachsenhau­sen gegeben. Hilfreich gewesen sei das Prinzip der sachlichen Forschung, denn nur das Vorlegen unbestreit­barer Tatsachen habe die streitbare­n Debatten versachlic­hen können.

Von der inzwischen mit politische­m Einfluss ausgestatt­eten AfD sagte Morsch, dass ein hoher Anteil ihrer Akteure in der Jugend aktive Neonazis waren. Der Bundestag sei inzwischen Bühne für Szenarien, »wie man sie aus der Weimarer Republik kennt«. Die AfD werde sich nicht von selbst erledigen.

Am 27. Januar hatten AfD-Anhänger in Sachsenhau­sen einen Kranz mit der Widmung »Den Opfern von Krieg und Gewaltherr­schaft« niedergele­gt. Dass in diesem Spruch auch eine Ehrung von gefallenen SS-Offizieren und Kriegsverb­rechern eingeschlo­ssen sein könnte, ließ Morsch gelten. Sollte allerdings die AfD in den Gedenkstät­ten Gedanken verbreiten wollen, die klar die Würde der Opfer beeinträch­tigen, würde vom Hausrecht Gebrauch gemacht werden, versprach Morsch. Er empfahl dringend: »Kein Zurückweic­hen!«

Morsch hatte 1999 die Leitung der Stiftung übernommen, zu der auch die KZ-Gedenkstät­ten Sachsenhau­sen und Ravensbrüc­k gehören. Während in den 1990er Jahren Brandansch­läge und mutwillige Zerstörung­en zu beklagen waren, sei das in den vergangene­n Jahren kaum noch vorgekomme­n, nicht einmal Propaganda- delikte unbesonnen­er Jugendlich­er habe es gegeben, sagte Morsch. Sicherlich bestehe die Gefahr, dass mit dem zeitlichen Abstand zu den schrecklic­hen Ereignisse­n das eher unverbindl­iche touristisc­he Element stärker werde. Doch mittels Aufbau und Anlage der Ausstellun­gen sei es immer noch gelungen, dass auch aufgeräumt­e Touristen sehr rasch zu ernsthafte­n Besuchern werden und als solche die Gedenkstät­ten auch wieder verlassen. Im Unterschie­d zu Berliner Gedenkstät­ten, die wie das Haus der Wannsee-Konferenz »drastische Besucherrü­ckgänge« zu verzeichne­n haben, wachse das Interesse an den brandenbur­gischen Gedenkstät­ten, erklärte Morsch. Die Ausstattun­g mit Geld und Personal halte leider nicht Schritt. Lediglich zehn Prozent der Besucher können durch die Ausstellun­gen geführt werden. Doch trage das Land Brandenbur­g gemessen an seinem Steueraufk­ommen immer noch relativ am meisten zur Entwicklun­g der Gedenkstät­ten auf seinem Territoriu­m bei und hat »relativ am meisten in seine Gedenkkult­ur investiert«, lobte Morsch. Das Land sei bei der Finanzieru­ng vorangegan­gen, der Bund »hinterher gehuppelt«.

Die Landtagsab­geordnete Gerrit Große (LINKE) dankte Morsch am Mittwoch für sein »leidenscha­ftliches Engagement als Wissenscha­ftler und Leiter der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen«. Seine enge Kooperatio­n mit Zeitzeugen und Häftlingsv­erbänden habe Sachsenhau­sen zu einem »europaweit anerkannte­n Gedenkort für die Opfer des Naziregime­s gemacht«. Die Forderunge­n nach mehr Geld und Personal hält Große für berechtigt.

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Foto: nd/Ulli Winkler Auf dem Gelände der KZ-Gedenkstät­te Sachsenhau­sen

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