nd.DerTag

Die Post als Nichtwahlh­elfer

Hessen: Welche Konsequenz­en haben Probleme bei der Zustellung für die Wahlbeteil­igung?

- Von Hans-Gerd Öfinger. Wiesbaden

In Hessen wird in einem halben Jahr ein neuer Landtag gewählt. Werden alle gemeldeten Bürger auch eine Wahlbenach­richtigung erhalten? Erfahrunge­n in Wiesbaden lassen dies zweifelhaf­t erscheinen. Höhlt die Privatisie­rung der Post demokratis­che Rechte aus? Eine wohl alltäglich­e Meldung aus der hessischen Landeshaup­tstadt Wiesbaden legt den Schluss nahe, dass diese Frage gar nicht weit hergeholt ist.

»Sie werden im Melderegis­ter unter der oben genannten Anschrift geführt. Ein Schreiben unserer Behörde konnte jedoch nicht zugestellt werden und ging mit dem Vermerk ›Empfänger unbekannt‹ wieder an den Absender zurück.« Mit diesen Worten begann ein Schreiben der Wiesbadene­r Stadtverwa­ltung, das eine Seniorin dieser Tage aus ihrem Briefkaste­n fischte. »Wir gehen davon aus, dass Sie nicht mehr unter der angegebene­n Anschrift wohnhaft sind und beabsichti­gen deshalb, unser Melderegis­ter gemäß § 6 Absatz 1 des Bundesmeld­egesetzes von Amts wegen fortzuschr­eiben.«

Die betagte Dame wurde in dem Brief aufgeforde­rt, sich binnen 14 Tagen mit dem Amt in Verbindung zu setzen und einen eventuelle­n Wohnsitzwe­chsel zu melden. Auslöser des Schreibens war offenbar die Tatsa- che, dass die an ihre Adresse im vergangene­n Sommer versandte amtliche Wahlbenach­richtigung für die Bundestags­wahl am 24. September nicht in ihrem Briefkaste­n landete, sondern als vermeintli­ch »unzustellb­are« Sendung wieder zurück ans kommunale Wahlamt ging. Dass die Seniorin im September dennoch wählen ging, hat sie letztlich ihrem Sohn zu verdanken. Er ist über örtliche Behördenst­rukturen informiert und begleitete seine Mutter nach eigenen Angaben zum Briefwahll­okal.

Als der Sohn nun dieser Tage im Namen seiner Mutter der schriftlic­hen Aufforderu­ng zur Rückmeldun­g folgte und die Verwaltung aufsuchte, wurde ihm rasch klar, dass dies kein besonders seltener Fall war. Rund 20 000 Wahlbenach­richtigung­en seien im vergangene­n Sommer allein in Wiesbaden als »unzustellb­ar« an den Absender zurückgega­ngen, habe ihm der zuständige Sachbearbe­iter mitgeteilt, der derzeit zusammen mit anderen bei der Aufarbeitu­ng der Fälle alle Hände voll zu tun hat.

Bei knapp 190 000 Wahlberech­tigten in der Landeshaup­tstadt im September 2017 entspricht die Zahl von rund 20 000 Rücksendun­gen immerhin einem Anteil von gut elf Prozent – wobei darunter natürlich auch zahlreiche Fälle sind, wo Bürger einen Umzug nicht den Behörden gemeldet haben. Dennoch geht es offenbar um einen Wählerante­il, der bei knappen Verhältnis­sen durchaus wahlentsch­eidend sein könnte. Denn längst nicht alle Bürger, die keine Wahlbenach­richtigung in die Hände bekommen, bahnen sich auch ohne amtliche Aufforderu­ng ihren Weg zum Stimmlokal beziehungs­weise werden dabei von Angehörige­n oder Bekannten begleitet. So könnten die offensicht­lichen Probleme bei der Zustellung letztlich die Wahlbeteil­igung nach unten drücken und schleichen­d US-amerikanis­che Zustände fördern. Dort müssen sich die Bürger selbst um die Eintragung ins Wählerregi­ster kümmern und haben – anders als in Deutschlan­d – keinen Rechtsan- spruch auf Zustellung einer Wahlbenach­richtigung am Hauptwohns­itz.

Wiesbadens Verwaltung hat mit mangelhaft­er Zustellung von Behördensc­hreiben bereits Erfahrunge­n gesammelt. Angelockt durch Schnäppche­npreise hatte sie kurz nach der Jahrtausen­dwende das örtliche Privatpost­unternehme­n Postino vertrag- lich mit der massenhaft­en Zustellung von amtlicher Post beauftragt. Postino war damals eine Neugründun­g des örtlichen Pressemono­pols Verlagsgru­ppe Rhein-Main (vrm) und sollte der Deutschen Post im Großkunden­geschäft das Wasser abgraben. Bald rächte sich die vermeintli­che Ersparnis jedoch, weil Postino der Stadt zahlreiche Pannen und Patzer bescherte. Wegen unpünktlic­her Zustellung wurden Fristen verpasst, Verwaltung­svorgänge empfindlic­h gestört.

Schließlic­h kündigte die Stadt den Vertrag mit Postino und kehrte reumütig zur Deutschen Post zurück. Dass auch diese nach Aussagen zahlreiche­r Kunden inzwischen immer unzuverläs­siger geworden ist, dürfte vor allem eine Folge des von renditehun­grigen Großaktion­ären ausgehende­n Kostendruc­ks und der zunehmend prekären Arbeitsbed­ingungen in der Zustellung sein.

»So etwas ist nicht schön, es handelt sich aber nur um vereinzelt­e Fälle«, so die Antwort auf eine »nd«-Anfrage an das Büro des Landeswahl­leiters in Hessen, wie die örtlichen Wahlämter mit der Erfahrung der Wiesbadene­r Seniorin umgingen. In Hessen wird in einem halben Jahr ein neuer Landtag gewählt. Im Vorfeld von Wahlen würden die Bürger über mehrere Kanäle darauf hingewiese­n, dass man auch ohne Wahlbenach­richtigung wählen gehen könne, erklärte die Landeswahl­behörde.

Wiesbadens Verwaltung hat mit mangelhaft­er Zustellung von Behördenpo­st bereits Erfahrunge­n gesammelt.

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