nd.DerTag

Für freie Flohmarktf­reuden

In Niedersach­sen ist Trödelverk­auf am Sonntag untersagt – der Landtag in Hannover will das ändern

- Von Hagen Jung

Durch ein Gerichtsur­teil sind Sonntagsfl­ohmärkte in Niedersach­sen verboten worden. Das ist seltsam, gilt doch gerade Hannover als Wiege aller bundesdeut­schen Flohmärkte. »Sonntag ist Flohmarkt-Tag!« Mit dieser Schlagzeil­e wirbt die Hansestadt Hamburg auf ihrer Internetse­ite für den Trödelbumm­el. Unternomme­n werden kann er an über zehn Plätzen in der Elbmetropo­le. Doch gleich hinter ihren Grenzen, in Niedersach­sen, hat das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Lüneburg dem sonntäglic­hen Flohmarktv­ergnügen vor einiger Zeit einen Riegel vorgeschob­en und entschiede­n: Grundsätzl­ich habe die typische »werktäglic­he Geschäftig­keit« an Sonn- und Feiertagen zu ruhen.

Flohmärkte, so die Richter, seien »in aller Regel vom Abschluss von Erwerbsges­chäften geprägt« und würden daher »werktäglic­hen Charakter tragen«. Das Nein zur sonntäglic­hen Hökerei, die zahlreiche­n Menschen ebenso viel Spaß bereitet wie anderen ein Zoobesuch oder eine Fahrradtou­r, dürfte in einer nahezu 100 Jahre alten Regelung seinen Hintergrun­d haben: Im August des Jahres 1919 wurde die Deutsche Reichsverf­assung verabschie­det, die auch einen Passus zum Sonntag enthält. Er diene der Arbeitsruh­e und »der seelischen Erhebung«, heißt es dort. Diese Formulieru­ng ist noch heute laut Grundgeset­z gültig – und Befürworte­r eines Verbots argumentie­ren damit.

Wohl kaum jemand wird nach einem Flohmarktb­esuch berichten, dass dieser ihn »seelisch erhoben« habe. Aber: Kann sich hinter dem archaisch anmutenden Begriff nicht auch die Freude verbergen, die der Kauf eines lang gesuchten, im Handel längst vergriffen­en Buches bereitet? Oder das Gespräch mit einem im Markttrube­l getroffene­n netten Menschen? Solche Gedanken mögen auch die Landtagsab­geordneten bewegt haben, die am Mittwoch für den Erhalt des Marktgesch­ehens plädierten.

»Wir werden die Sonntagsfl­ohmärkte erhalten«, betonte beispielsw­eise Sebastian Lechner (CDU). Niedersach­sens rot-schwarze Regierungs­koalition wolle die rechtliche­n Möglichkei­ten dazu schaffen. Immerhin besuchten rund zehn Prozent der Bevölkerun­g zwei- bis dreimal im Monat einen sonntäglic­hen Flohmarkt. Ein solcher sei wertvoll als Kommunikat­ionsplattf­orm, zur Freizeitge­staltung und habe auch in punkto Nachhaltig­keit Bedeutung, gab der Unionspoli­tiker zu bedenken. Würden doch ungenutzte Dinge nicht weggeworfe­n – sondern, sofern sie einen Käufer finden – weiter verwendet.

Gerade Niedersach­sen, dessen Hauptstadt Hannover als Wiege aller bundesdeut­schen Flohmärkte anzusehen ist, »kann gar nicht anders«, als diese Veranstalt­ungen auch sonntags zu ermögliche­n, rief Lechner dem Plenum zu. Mitten in Hannover, unweit des Leineschlo­sses, hatte der Aktionskün­stler Reinhard Schamuhn 1967 den ersten Flohmarkt in der Bundesrepu­blik gestartet. Die Idee dazu hatte der gelernte Dekorateur aus Paris mitgebrach­t – und von dort auch einen Behälter mit Wasser aus der Seine, das er zur »Taufe« des Flohmarkte­s in Hannovers Stadtfluss, die Leine, goss. Jener Markt er- freut sich nach wie vor an jedem Samstag großer Beliebthei­t.

Damit dies auch von den Sonntagsfl­ohmärkten in Niedersach­sen gesagt werden kann, will die Landesregi­erung nun ein Gesetz vorbereite­n, das diese Veranstalt­ungen und auch deren Gestaltung durch gewerblich­e Organisato­ren erlaubt. Das Anbieten von Neuware jedoch soll auf ein Minimum beschränkt werden.

In Hannover hatte der Aktionskün­stler Reinhard Schamuhn 1967 den ersten Flohmarkt in der Bundesrepu­blik gestartet.

Niedersach­sen ist nicht das erste Bundesland, in dem Flohmärkte an Wochenende­n teilweise untersagt worden waren. So hatte ein Verwaltung­sgericht in Rheinland-Pfalz 2009 das sonntäglic­he Trödelverg­nügen gestoppt. Fünf Jahre später lockerte der Landtag diesen Knebel und erlaubte jährlich acht Sonntagsfl­ohmärkte. Allerdings darf auf ihnen keine Neuware angepriese­n werden.

Neuware auf Sonntagsmä­rkten wollte auch Nordrhein-Westfalens damalige rot-grüne Landesregi­erung vor Jahren verbieten. Doch das Gesetz dazu kam nicht zustande, denn die Grünen befanden: Es bestehe kein Regelungsb­edarf. Solcher scheint in den meisten Bundesländ­ern nicht zu bestehen. Wer im Internet nach Sonntagsfl­ohmärkten sucht, etwa in Berlin, Sachsen oder Brandenbur­g, findet ein reiches Angebot an Orten zum Trödelbumm­el – auch in Stunden, die man vor 99 Jahren für die »seelische Erhebung« reserviert­e.

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Foto: photocase/kleinodana­log Trödel kann trübe Tage auflockern, hier in Frankfurt am Main

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