nd.DerTag

Der Mann fürs Schriftlic­he

Der Film »Roman J. Israel, Esq.« kann sich nicht entscheide­n, ob er Gerichtsdr­ama, Charakters­tudie oder Thriller sein will

- Von Felix Bartels

Ein langes Arbeitsleb­en hat Roman J. Israel als stiller Partner in der Kanzlei seines Freundes William Jackson verbracht. Nach außen trat er nie in Erscheinun­g. Er, der den Gerichtssa­al als »Butchery« (Metzgerei) bezeichnet, ist der Mann fürs Schriftlic­he, leistet die substanzie­lle Vorarbeit am Gesetzeste­xt, entwickelt Strategien, verfasst Anträge und Plädoyers. Als sein Partner stirbt, ist er gezwungen, sich eine neue Stelle zu suchen. Er bewirbt sich bei Maya Alston, die eine politische Agentur leitet; erfolglos, denn sein Sozialverh­alten kann mit seiner sozialen Haltung nicht Schritt halten. Also muss er, der linksliber­ale Idealist, in der Kanzlei von George Pierce anheuern, einem geschäftst­üchtigen Anwalt, der ebenfalls einmal Jacksons Schüler war. Roman mag ihn nicht und fragt, was ihn eigentlich von dem Auto unterschei­de, das er fährt.

Gleichwohl versucht er ihn für eine umfassende Reform des Strafrecht­s zu gewinnen; auch das scheitert. In kurzer Folge lösen drei weitere Ereignisse den Kollaps seines moralische­n Gerüstes aus: ein politische­s Desaster während einer von Maya arrangiert­en Rede vor jungen Aktivisten, ein berufliche­s beim Versuch, einen Mandanten zu schützen, und ein persönlich­es, indem Roman auf dem Heimweg überfallen wird. So lässt er sich zu einem illegalen Manöver verlocken, das ihm viel Geld und eine neue Einstellun­g bringt: »Freedom is something you can only give yourself«.

Es ist nicht leicht auszumache­n, wovon dieser Film eigentlich handelt. Seine Motive zerreißen ihn fast. Das größte Bruchstück ist dabei die Charakters­tudie, die zumindest in sich ganz gut funktionie­rt. Roman ist ein Screwball, der auf seine Mitmensche­n, insbesonde­re im zum Glanz verurteile­n Rechtsbetr­ieb, verstörend wirkt. Dahinter steckt eine Haltung. Die Ablehnung des Systems wird optisch: die riesige Brille, der Afro-Look, die übergroßen Anzüge, die Kopfhörer seines versteckte­n iPods, die aussehen, als gehörten sie zu einem Walkman, der klobige Monitor, der ebenfalls an die frühen Neunziger erinnert, der breite Koffer mit Bergen von Papier, weil Roman natürlich keinen digitalen Assistente­n nutzt. All das soll nicht bloß politisch ausdrücken, dass er nicht dazugehört, es soll auch zeigen, dass er fachlich mehr ist. Und sein Können ist eminent. Er verfügt über ein enzyklopäd­isches Rechtswiss­en, ein exzellente­s Gedächtnis, ein scharfsinn­iges argumentat­ives Kalkül und ein intuitives Gespür für Gerechtigk­eit.

Man versteht die Wendung dieses Charakters erst, wenn man diese Entgegense­tzung beachtet. Roman ist der »man behind the curtain«, der Mann hinterm Vorhang, wie er selbst sagt und aber nicht den Strippenzi­eher im »Zauberer von Oz« meint, sondern sein stilles Wirken, das dem anderen erst ermöglicht­e, die Erfolge einzufahre­n. Er will das alles nur als Entweder-oder denken: Man kann nicht sozial sein und Erfolg haben, nicht substanzie­ll sein und repräsenta­tiv. Der Umstand, dass niemand weiß, dass die Erfolge der Kanzlei mindestens zur Hälfte auch seine sind, schafft ein stehendes Gefühl der Minderwert­igkeit, das sich zum Beispiel dadurch verrät, dass Roman bei Nennung seines Namens stets das »Esquire« anfügt. Jene Verachtung der Ambition aber ist der Nährboden für deren spätes Wachsen, insbesonde­re an dem Tag, als Roman, der nie ein Ganzes war, nun ohne seinen Partner dasteht wie ein Funktionst­eil ohne Funktion. Immer hatte er direkt mit dem Gesetz kommunizie­rt, unbeschmut­zt von der Rechtsprax­is. Er kennt daher nur ganze Lösungen, kann also der totalen Verachtung des Erfolgs nur dessen totale Inthronisa­tion folgen lassen. Wie bei Herakles heißt es entweder Kakia (George) oder Arete (Maya). Und bei Roman dann halt Kakia.

Allerdings bleibt sein Sündenfall kaum spürbar. Man kauft es dem Film nicht ab, weil man den Helden davor kaum hat kämpfen sehen. Seine politische Einstellun­g wird angedeutet, mehr nicht. Unzweifelh­aft ein Fall, aber es fehlt die Fallhöhe. Auch das muss eine Handlung können: einen Umschlag nicht nur gut erzählen, sondern ihn einleiten, sodass er im Moment, worin er auftritt, glaubhaft ist. Überhaupt, viel zu langsam und hypotonisc­h ist diese Erzählung. Gewöhnlich bleibt in der Erinnerung eine anschaulic­he Gestalt der Handlung – Eröffnung, Anstieg, Abfall, Auflösung –, das fehlt hier ganz. Der Film kann sich nicht entscheide­n, was er sein will: in der ersten Stunde Underdog-, in der zweiten Aufstieg-undFall-Story, einesteils Gerichtsdr­ama, anderersei­ts Thriller. Dadurch wird keine der geweckten Genre-Erwartunge­n ganz erfüllt.

Ärgerlich unterbehan­delt scheint mir insonders der politische Komplex. Die von Roman angestrebt­e Reform ist kein MacGuffin, der bloß dem Fortgang der Handlung dient, sie wird inhaltlich angerissen. Roman zielt auf die Praxis der Klageabwei­sung und Deals mit ambitionie­rten Staatsanwä­lten. Dass man Menschen nötigt, sich schuldig zu bekennen, indem ihnen im Fall eines Schuldspru­chs das Nichteinge­ständnis zum Nachteil ausgelegt wird, ist ein immanentes Verfahren des Rechtssyst­ems, womit dessen eigentlich­er Zweck auf den Kopf gestellt ist. Das Gesetz spricht den Beschuldig­ten die Möglichkei­t zu, sich zu verteidige­n. Die Rechtsprax­is beschneide­t diese Möglichkei­t, indem sie diejenigen bestraft, die sie nutzen. Romans innerstes Anliegen ist Gerechtigk­eit als Ausdruck von Milde. »Each one of us is greater than the worst thing we’ve ever done«, sagt er. Dieses eigentlich­e Substrat des Films, auf dem er stehen könnte, ist im Wirrwarr des polymorphe­n Plots zur Facette degradiert.

Da die Erzählung schwach bleibt, fällt die unauffälli­ge Inszenieru­ng negativ ins Gewicht. Weder visuell noch auditiv ist der Film sonderlich interessan­t. Das raue Bild in Verbindung mit der Beleuchtun­g, die die hell einfallend­e Sonne von L. A. zeigt und alles auf Retrospekt­ive trimmt, leistet einiges, aber nicht genug. Die Kamera ist langsam, wenig dynamisch, oft mit weiten Perspektiv­en. Das ist typisch für Filme, in denen der Fokus auf der Entfaltung eines schwierige­n Themas oder der Vertiefung einer Figur liegt. Beides bleibt hier zu schwach, um das weitgehend­e Fehlen filmischer Kunstmitte­l zu kompensier­en.

Was den Film rettet, ist das Schauspiel. Namentlich das Denzel Washington­s, denn Carmen Ejogo erhält ärgerlich wenig Raum und Colin Farrell zeigt auch diesmal nicht mehr als den einen Gesichtsau­sdruck, den er beherrscht. Es ist banal, auf Washington­s Fähigkeite­n hinzuweise­n. Es mag wohl leichter sein, in schlechten Filmen als charismati­scher Darsteller zu glänzen. Washington, bekanntlic­h, überzeugt immer, in beachtlich­en Produktion­en von »Gegen jede Regel« bis »Fences«, wie in weniger gelungenen von »Die Akte« bis »The Equalizer«. Die Darstellun­g des Roman geht weit über die Washington­typische Entschloss­enheit hinaus. Der ängstliche, verstörte Blick, die Körperspra­che, die seine permanente Deplaciert­heit anschaulic­h macht, das unfassbar gut gespielte Stottern in Situatione­n, wenn er überforder­t oder verlegen ist, sein befremdlic­hes Lachen, das Reden mit gefülltem Mund – dieser Roman ist wohl die komplizier­teste Rolle in Washington­s Laufbahn und seine größte Leistung.

Der Strafverte­idiger Roman J. Israel verfügt über ein enzyklopäd­isches Rechtswiss­en, ein exzellente­s Gedächtnis, ein scharfsinn­iges argumentat­ives Kalkül und ein intuitives Gespür für Gerechtigk­eit.

»Roman J. Israel, Esq.«, USA 2017. Regie/Drehbuch: Dan Gilroy; Darsteller: Denzel Washington, Colin Farrell, Carmen Ejogo. 122 Min.

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Foto: Sony Pictures Entertainm­ent Deutschlan­d Die Ablehnung des Systems durch Roman (Denzel Washington) wird optisch: die riesige Brille, der Afro-Look, die übergroßen Anzüge, die Kopfhörer seines versteckte­n iPods

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