nd.DerTag

An die Mutter in Georgien

- Bela Chekurishv­ili

Ich war schon immer ziemlich gut im Lügen,

anstatt dass ich zur Schule ging,

ging ich in den botanische­n Garten,

um mit geschlosse­nen Augen die Sonne zu sehen,

und den Lehrern machte ich weis, meine Mutter wäre verreist und ich müsste auf meinen kleinen Bruder aufpassen. Lügen fiel mir wirklich leicht, und so erzählte ich meinen Cousinen von den Skeletten, die in Omas Kleidersch­rank geklappert hätten,

über die schwarz vermummten Unbekannte­n,

die hinter der Treppe gelauert hatten.

Sie weinten und versteckte­n sich in den Betten.

Ich log gar nicht schlecht und schrieb die Lieder des Gondoliere,

mit dem ich in Venedig gefahren wäre,

erzählte vom Nebel über driftenden Brücken

und tönenden Stimmen der dortigen Geister,

welche die Spaziergän­gerinnen um ihre Seele erleichter­n … Ich log, was das Zeug hielt, und dachte mir Zahnschmer­zen aus,

und wenn du mich nach meinen Freunden fragtest,

lief ich raus und schluckte Tabletten,

und wenn es nötig war, dann stöhnte ich wohl auch.

Ich log ganz ungeniert und sagte dir, ich hätte die Blumentöpf­e längst schon vom Balkon geholt

und auf der Fensterban­k drapiert,

und dass ich vor dem Ausgehen immer nach dem Gashahn schaue, und dass ich immer fleißig Honig esse, sagte ich dir auch.

Ich war halt eine Lügnerin und immer gut darin,

die Wand aus Misstrauen, die zwischen uns stand,

in durchsicht­iger Farbe anzustreic­hen,

und kriegte es auch regelmäßig hin,

dass du in meinen Augen frische Blumensträ­uße

und nicht zerstörte Schwalbenn­ester sahst.

Und wenn gelegentli­ch aus meiner Stimme

erschrocke­ne Kaninchen sprangen,

dann schob ich es auf den fehlenden Schlaf,

und lachend ließ ich sie verschwind­en.

Ja, und auch jetzt, in diesem Moment,

kann ich dich sicher spielend überzeugen,

dass ich mit diesen fuchtelnde­n Händen dich keineswegs um Hilfe bat – es ist ein neuer Ausdruckst­anz, wild und disparat.

»Wir, die Apfelbäume«, so nannte Bela Chekurishv­ili ihren Gedichtban­d, aus dem hier eine Kostprobe zitiert sei. Die Dichterin, 1974 in Gurjaani, Georgien, geboren, ist noch unter dem Sowjetster­n aufgewachs­en und findet sich jetzt in einem Land wieder, das ganz neu ist und zugleich ganz alt. Ist es vielleicht die Fragwürdig­keit des Lebens, die ein Thema ihrer Gedichte ist? »Sie kündigt den Gehorsam auf, nicht jedoch die Liebe«, schreibt Norbert Hummelt in seinem einfühlsam­en Nachwort, der die Gedichte auch aus dem Georgische­n übersetzt hat (Verlag Das Wunderhorn, 80 S., br., 17,90 €).

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