nd.DerTag

In der Literatenh­ölle

Beka Adamaschwi­li und sein »Bestseller«-Rezept

- Von Irmtraud Gutschke

Auf Seite 157 wird »der Autor plötzlich nachdenkli­ch, was den Sinn dieses Buches betrifft. Er denkt, denkt, denkt, und danach denkt er, er solle nicht so viel Zeit mit dem Denken verlieren, und schreibt weiter.« Dies – kursiv gedruckt – muss nicht ernst genommen werden (wie eigentlich überhaupt nichts im Buch). Doch sei es Lesern als Warnung zitiert: Für sehr ernste Menschen ist Beka Adamaschwi­li nicht der passende Autor. Oder vielleicht doch? Er könnte sie aufheitern, lockerer machen. Denn das Buch dieses jungen Georgiers – Jahrgang 1990, mein Gott! – ist ein fulminante­s Lesevergnü­gen.

Lust am Spiel der Phantasie, während im Literaturb­etrieb ein knallharte­r Verdrängun­gswettbewe­rb herrscht – darum geht es. Pierre Sonnage hatte schon vier Bücher herausgebr­acht, doch zur Vorstellun­g seines jüngsten Romans waren gerade mal zwölf Zuhörer gekommen. Dass dies nicht an der Qualität seines Schreibens liegen müsse, könnte man ihn trösten, sondern an der Menge der Autoren. Zählt er sich nicht auch zu jenen, »die lieber Bücher schreiben als lesen«? Na bitte, er hat das Problem doch verstanden. Also wählt er eine PR-Aktion, die ihn nichts weiter kostet als das Leben.

Kunst oder Leben – jedem Künstler stellt sich diese Frage, wenn auch nicht unbedingt in Pierres Konsequenz. Was versäumst du, wenn du deine Tage nur am Schreibtis­ch verbringst? Wie sündigst du anderersei­ts gegen deine Fähigkeite­n, wenn du dich zu leben entscheide­st, ohne die Schreibere­i? Welche Lust ginge dir verloren? Kannst du die Waage halten? Nein! Immer wirst du etwas vermissen. Und andere vermissen dich, weil das Schreiben so selbstbezo­gen macht. Ja, völlig egozentris­ch ist Pierres Entschluss, »an seinem dreiunddre­ißigsten Geburtstag Suizid zu begehen«. Und es muss auch gleich der Burj Khalifa sein, das höchste Gebäude der Welt, um einen »PR-Schritt ins Leere« zu tun.

Zum Glück, wir sehen ihn nun nicht zerschmett­ert, sondern erstaunlic­h unversehrt vor einem großen Tore stehen. Bewacht wird es von einem lächelnden Mann in mittelalte­rlicher Tracht und einem großen Hund, der Feuer speit. Der sei von Herrn Conan Doyle geschaffen. Der »Hund von Baskervill­e« also – das Wiedererke­nnen erfreut. Von dieser Freude lebt das Buch: Rätsel und Assoziatio­nen als Spielmater­ial für passionier­te Leser. Der Mann mit italienisc­hem Akzent stellt sich als Dante Alighieri vor und gibt auf einer elektronis­chen Tafel »1984« ein. Willkommen also in der Literatenh­ölle.

Während Pierre sich dort umsieht, erste Bekanntsch­aften schließt, in Shakespear­es »Hotello« von Yorick, dem Schädel, empfangen wird und in seinem Zimmer rätselhaft­e Botschafte­n vorfindet, liest Lucy, seine irdische Verehrerin, seinen neuen Roman und versucht, der Chiffre darin auf den Grund zu kommen: »3 35. 18.39«. Überhaupt lebten Pierres Bücher ja von solch einer »Verstricku­ngshandlun­g«. Da könnte man sich eigentlich schon denken, worin seine Höllenstra­fe bestehen müsste.

Während Pierre jedenfalls einen Unbekannte­n mit Kapuze aus seinem Hotelzimme­r laufen sieht, Arthur Conan Doyles Hilfe in Anspruch nimmt und über das Wort »Nevermore« auf die Spur des »Raben« und damit zu Edgar Allan Poe in die Rue Morgue kommt, knackt Lucy das Passwort seines E-Mail-Accounts und findet darin eine für sie bestimmte Nachricht. Im Anhang ist von einem gewissen Claude die Rede, der sonntags entspannte, aber eigentlich ein Serienmörd­er war. Wohnte so einer nicht genau gegenüber? Eines Tages, so viel sei verraten, wird Lucy (in einem Alter, »wo Mädchen eher ihr Tagebuch verstecken als ihr Alter«) bei Claude im Zimmer stehen, der sogar noch jünger scheint. Indes wird es nicht so ausgehen, wie man vermuten könnte. Schließlic­h soll man in Spannung gehalten werden. In angenehmer Spannung. Das Bedrohlich­e dieser Welt bleibt draußen.

Denn warum wurde denn Stephen King öfter gelesen als »Ulysses«? »Weil niemand mehr den Nerv hatte, sich mit Joyces vielschich­tigen Ideen zu befassen«, war doch »das Leben der Menschen beschwerli­ch genug, als dass sie es sich noch schwerer machen müssten«. Nicht durch »tiefgründi­ge Philosophi­e« wird ein Buch heutzutage zum Bestseller, sondern durch einen guten Titel, einen originelle­n Einband, einen populären Autor, einen geringen Umfang ... Und Adamaschwi­li fügt hinzu: »eine Handlung frei von Anspielung­en, minimalist­ische Anmerkunge­n und natürlich PR«. Mit Anspielung­en und Anmerkunge­n verwöhnt er uns allerdings, wie gesagt, zu unserem Vergnügen. Und augenschei­nlich wurde auch Sybille Heinze davon angesteckt, die das Original in ein gut lesbares Deutsch gebracht hat. PR kann der Verlag kaum bieten. Aber Adamaschwi­li ist, so erfahren wir, in seinem Brotberuf selbst Mitarbeite­r einer Werbeagent­ur, hat früh schon Kurzgeschi­chten in Magazinen und Zeitungen publiziert und machte als Blogger durch satirisch-humoristis­che Postings auf sich aufmerksam.

»Bestseller« ist sein literarisc­hes Debüt und wurde in Georgien sogleich ein solcher. Auf Seite 61 erinnert sich Lucy an ein Zitat von Pierre: »Bücher sind Glückssach­e, bei manchen verliert man Zeit durchs Lesen, bei manchen noch mehr durchs Nichtlesen …« Das passt.

Beka Adamaschwi­li: Bestseller. Roman. Aus dem Georgische­n von Sybilla Heinze. Voland & Quist. 172 S., geb., 18 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany