nd.DerTag

»Rap ist Spiegel einer konservati­ver werdenden Gesellscha­ft«

Der Rapper Retrogott über den Umgang der Hip-Hop-Szene mit dem Vorwurf des Antisemiti­smus

- Foto: imago/Jakob Hoff

Retrogott (bürgerlich: Kurt Tallert) ist Rapper, Produzent und DJ aus Köln. Unter dem Namen »Retrogott und Hulk Hodn« veröffentl­ichte er seit 2009 drei Alben. Nach der EchoVerlei­hung, bei der die Rapper Kollegah und Farid Bang ausgezeich­net wurden, meldete sich Retrogott mit einem Facebook-Post zu Wort, der von Tausenden geliked wurde. Darin kritisiert er vor allem die seiner Meinung nach »hirnlose Verteidigu­ngshaltung« der deutschen Hip-HopSzene. Niklas Franzen sprach mit dem 32-Jährigen über die Echo-Debatte, strukturel­len Antisemiti­smus im Deutsch-Rap und seine Distanzier­ung von eigenen diskrimini­erenden Texten. Der Journalist Oliver Marquart vom Onlinemaga­zin Rap.de hat gesagt, dass die Zeilen von Kollegah und Farid Bang »geschmackl­os, aber nicht antisemiti­sch« seien. Wie sehen Sie das?

Das ist Haarspalte­rei. Wir sprechen hier über einem sehr schamlosen Umgang mit dem Gedenken an den Holocaust, und zwar vor Mainstream­Publikum. Es ist eine Anmaßung und ein Affront gegenüber den Betroffene­n, jegliche Antisemiti­smus-Vorwürfe als »Quatsch« abzutun, wie dies Herr Marquart getan hat.

Würden Sie sagen, dass es einen strukturel­len Antisemiti­smus im deutschen Rap gibt?

In den letzten zehn Jahren hat sich Rap in Deutschlan­d stark nationalis­iert. Damit wurde er immer mehr zum Spiegel einer konservati­ver werdenden Gesellscha­ft. Die Forderung nach einem unbeschwer­ten Patriotism­us hat sich über die letzten Jahre auch auf die Hip-Hop-Szene übertragen. Das durch die deutsche Geschichte ausgelöste Unbehagen und die Verdrängun­g des Holocaust erzeugen in vielen deutschen Köpfen eine diffuse Ablehnung des Judentums. Verschwöru­ngstheoret­isch angehaucht­e Kapitalism­us- und Globalisie­rungs-Kritik stehen hier hoch im Kurs. Ich kritisiere vor allem eine Berichters­tattung, die in ihrer blinden Verteidigu­ngshaltung neurotisch erscheint. So eine Abwehrhalt­ung kann zur Identität werden. Vor fast zehn Jahren textete Samy Deluxe: »Wir haben keinen Nationalst­olz/ Und das alles bloß wegen Adolf - ja toll / Schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich n‘ Österreich­er / (…) Die Nazizeit hat unsere Zukunft versaut«. Das stand noch in der Tradition von Martin Walser. Die Zeilen von Kollegah und Farid Bang sind nun derber und ge- schmacklos­er. Dennoch sehe ich eine Kontinuitä­t zu diesen revisionis­tischen Wünschen. Das Leid der Shoah der Lächerlich­keit preis zu geben, ist auch eine neue Strategie, langsam mit der Vergangenh­eit abzuschlie­ßen. Die Deutschen sind aber nicht in der Position, damit abzuschlie­ßen.

Woher kommt diese Verteidigu­ngshaltung der Hip-Hop-Szene? Manchen ist es vielleicht nicht wirklich bewusst. Den Verdacht hab ich auch manchmal, wenn zum Beispiel das Argument der Kunstfreih­eit angeführt wird. Ich meine, Kunstfreih­eit um jeden Preis, was hat man davon? Ich bin der Meinung, dass Kunst gesellscha­ftliche Auswirkung­en hat – und da habe ich ja selbst keine weiße Weste. Mir ist wichtig, das zu betonen.

Oft wird argumentie­rt, dass BattleRap Tabus brechen müsse und das Bürgertum dies einfach nicht verstehe. Sie haben in Ihrem Facebook-Post die »doppelmora­lische Loyalität gegenüber einer vermeintli­chen Hip-Hop Szene« kritisiert. Als die Deutschroc­kband Frei.Wild, deren Mitglieder eine Nähe zu rechtsnati­onalen Parteien wie beispielsw­eise der FPÖ haben, 2016 einen Echo gewann, war der Skandal deutlich kleiner. Denken Sie nicht auch, dass Kollegah und Farid Bang einer größeren Kritik ausgesetzt sind, weil sie Rapper sind?

Ich denke schon. Die Problemati­k im Rap ist nur eine Facette gesamtgese­llschaftli­cher Probleme. Der ganze Klamauk über die Nazi-Zeit, etwa Bücher wie »Er ist wieder da«, stört mich. Da ich aber selbst Rap-Musik mache und die jetzigen Akteure Deutungsho­heit über dieses Genre beanspruch­en, sehe ich mich hier in der Lage, etwas sagen zu müssen. Die nationalis­tische Gefühlsdus­elei und das Umhertänze­ln um völkische Klischees im Rock sind mir zuwider. Deshalb sind die Zeilen, um die es jetzt geht, aber nicht besser.

Wie erklären Sie sich den Riesenerfo­lg von Kollegah und Farid Bang? Vielleicht das alte Rezept von Sex und Gewalt, vielleicht haben sie wirklich geniale Reimketten. Ehrlich gesagt will ich mir diesen Riesenerfo­lg gar nicht erklären. Und die Tabubrüche?

Die sind wichtig. Sie tänzeln um das Tabu, kokettiere­n mit einer faschistoi­den Ästhetik, inszeniere­n Führertum. All dies entspricht einem sehr abgestumpf­ten Geist, der aber weit verbreitet sehr entfesselt auftritt in seiner Bedürfnish­altung und in seinen Forderunge­n nach Konsum und bedingungs­loser Selbstverw­irklichung. Es gibt eine gesellscha­ftliche Entfremdun­g mit wenig moralische­r und viel materielle­r Orientieru­ng. Das bedienen Kollegah und Farid Bang auf eine sehr sexy Art und Weise für junge Leute.

Sie kommen wie Kollegah und Farid Bang aus dem Battle-Rap. Es gehört zu Ihrem Geschäft, andere verbal fertig zu machen. Wo sind für Sie die Grenzen?

Meine Freiheit soll nicht die Freiheit anderer einschränk­en. Gerade was Sexismus und Homophobie angeht, bin ich sensibler geworden. Ich erfahre das aber gar nicht als Begrenzung. Es gibt ja viele andere Möglichkei­ten.

In der Vergangenh­eit haben Sie zum Teil selbst diskrimini­erende Spra- che benutzt. Mittlerwei­le haben Sie sich von den Texten distanzier­t. Wie ist es zu dem Wandel gekommen? Ich habe viele Konfrontat­ionen gehabt und durfte in bestimmten autonomen Zentren nicht spielen. Die Dialogbere­itschaft in einigen Veranstalt­ungsorten wie dem Conne Island in Leipzig führt dazu, mich zu hinterfrag­en. Auch ein Aufenthalt in Chile hat mich politisier­t. Dort suchen Menschen in ihrer Musik Einklang mit dem, was sie denken, fühlen und was ihren Alltag bestimmt. Das war mir aus Deutschlan­d fremd. Hier wird vieles aus einer rein ästhetisch­en Perspektiv­e bewertet. Wenn ich dort erzählt habe, dass ich Musiker bin, war die Reaktion immer: »Wow, du machst Musik, dann kannst du zu vielen Menschen sprechen. Worum geht es in deinen Texten?«. Das hat dazu geführt, dass ich angefangen habe, wirklich nachzudenk­en.

Trotzdem machen Sie keinen klassische­n linken Polit-Rap. Warum? Ehrlich gesagt würde mich das Etikett weniger stören als »Deutschrap«. Ich will aber nicht eindimensi­onal moralisier­en und gern ein bisschen provoziere­n. Ich finde, Kunst darf und sollte auch Unbehagen auslösen – aber eben nicht zerstöreri­sch gegenüber Anderen. Und es muss funky sein.

Und wie gehen Sie mittlerwei­le damit um wenn Sie Diskrimini­erung jeglicher Art mitbekomme­n, sei es vom Publikum oder von Kollegen? Ich mache Menschen darauf aufmerksam. Mehrmals habe ich Sätze zu hören bekommen wie: »Ey, das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen schwul an, aber ich hab dich voll viel in meiner Kindheit gehört.« Solche Aussagen offenbaren viel über die Beeinfluss­ung durch die Musik. Ich gebe den Leuten dann explizit zu verstehen, dass ich nicht mehr hinter meinen alten Texten stehe. Also eigentlich stand ich nie richtig dahinter, ich habe provokativ damit gespielt. Ich würde auch den meisten jetzigen Rappern nicht unterstell­en, dass sie wirklich so denken. Ihnen ist nur nicht bewusst, dass sie durch ihr Reden bereits Handeln.

Ist jetzt ein Disstrack von Ihnen an Kollegah oder Farid Bang zu erwarten?

Nein, auf gar keinen Fall. Ich suche keine künstleris­che Auseinande­rsetzung. Ab und zu muss ich Leuten sagen, was ich beruflich mache. Wenn ich sage, dass ich Rap auf Deutsch mache, assoziiere­n mich diese Leute auch automatisc­h mit dem, was im Mainstream als Rap verkauft wird. Es geht mir mit meiner Kritik auch darum, mein Terrain abzustecke­n und mich zu distanzier­en.

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