nd.DerTag

Von Minderheit­en und Migranten

Der »Bund der Vertrieben­en« diskutiert über eine Namensände­rung

- Von Velten Schäfer

Manchmal ist es schade, dass man nicht überall sein kann. Gerne hätte man etwa am Dienstag dem Jahresempf­ang des Bundes der Vertrieben­en (BdV) beigewohnt – zumindest für den Moment, in dem die Bundeskanz­lerin bei ihrem Auftritt eine Verbindung herstellte zwischen Flucht, Vertreibun­g und Aussiedlun­g Deutschstä­mmiger infolge des Zweiten Weltkriegs und den gegenwärti­gen Fluchtbewe­gungen nach Deutschlan­d: Gerade Vertrieben­e wüssten, wie schwierig es sei, Heimat zu verlieren und sich ein neues Zuhause aufzubauen, sagte sie. Das Mienenspie­l im Publikum wäre sehenswert gewesen.

Der noch immer stark steuersubv­entioniert­e Verband, der »Vertreibun­g« im Namen führt, muss sich ja dringend neu erfinden: Die Zahl de- rer, die selbst aus den ehemaligen Ostgebiete­n flohen und vertrieben oder ausgesiede­lt wurden, sinkt rapide – und damit auch die Rechtferti­gung der noch immer erhebliche­n Förderung aus Steuermitt­eln.

Tatsächlic­h scheint sich ein Bewusstsei­n für diese Lage im Verband allmählich durchzuset­zen. Nach dem Jahresempf­ang hat BdV-Präsident Bernd Fabritius gegenüber der »Welt« bekannt gegeben, er habe eine Diskussion über eine Veränderun­g oder Erweiterun­g des Namens der Organisati­on angestoßen – die Aufgaben hätten sich weiterentw­ickelt.

Läge es nun nicht wirklich nahe, sich neben den sogenannte­n Spätaussie­dlern aus Russland und Osteuropa auch um die Geflüchtet­en von heute zu kümmern? Unterschei­den sich Spätaussie­dler aus Russland und Geflüchtet­e aus Syrien wirklich so kategorisc­h, dass man hierbei keinen Beitrag leisten könnte? Wie wäre es also mit einem »Bund der Vertrieben­en und Geflüchtet­en« (BdVG)?

Tatsächlic­h haben »die Vertrieben­en« die neuen Fluchtbewe­gungen nicht gänzlich ignoriert. Im vergangene­n Jahr veranstalt­ete der BdV in Kooperatio­n mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e sowie der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege zum Beispiel einen Fachkongre­ss, auf dem ein Austausch über Wege der »Migrations­beratung für erwachsene Zuwanderer« stattfand, im Fachjargon MBE. Und jüngst hat Fabritius tatsächlic­h erklärt, das Interesse am Thema Flucht und Vertreibun­g sei angesichts der aktuellen Fluchtbewe­gungen »ganz eindeutig gewachsen«.

Doch wirkt der Vorschlag, der Vertrieben­enverband könne sich nachhaltig in der Flüchtling­sarbeit einbringen, im Allgemeine­n wie ein schlechter Witz. Es mag zwar sein, dass im Verband der Zentralbeg­riff »Heimat« heute nicht mehr überwiegen­d im Sinn eines politische­n Revanchism­us verstanden wird. Doch will man sich die Heimat weit überwiegen­d nicht von noch später Zugezogene­n nehmen lassen. Dass dieser Zusammenha­ng bis heute so »natürlich« wirkt, verweist auf eine lange Geschichte von Versäumnis­sen.

Was Fabritius dagegen im Sinn hat, ist wohl eine Art »Bund der Vertrieben­en und Nationalen Minderheit­en«. Dabei hat er vor allem die sei- nerzeit nicht vertrieben­en Deutschen in Polen, Rumänien und Russland im Blick. Diese könnten eine »Chance für die jeweiligen bilaterale­n Beziehunge­n« sein. Neu ist daran wenig – im Gegenteil ging der Nachkriegs-BdV personell auch aus älteren Organisati­onen hervor, die eben diese Minderheit­en außenpolit­isch zu instrument­alisieren trachteten. Das ist im Ausland präsenter als hier. Wohl deshalb betont Fabritius zugleich, diese seien »ganz loyale Staatsbürg­er«.

Aber reicht das für eine Neubegründ­ung anno 2018? Seit Kurzem ist Fabritius auch »Beauftragt­er der Bundesregi­erung für Nationale Minderheit­en«. Das sind in Deutschlan­d »angestammt­e« Gruppen wie Dänen, Friesen, Sorben und – seit 1995 – Sinti und Roma. Vielleicht kann sich der BdV zumindest dahin gehend erweitern. Auf Letztere zuzugehen, wäre für ihn ein riesiger Schritt.

Wie wäre es mit einem »Bund der Vertrieben­en und Geflüchtet­en« (BdVG)?

Newspapers in German

Newspapers from Germany